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# taz.de -- Novelle des Berliner Polizeigesetzes: Juristischer Murks
> Experten halten den Entwurf für das neue Polizeigesetz für unausgegoren
> und fehlerhaft. Die Grünen warnen bereits vor der Schwächung des
> Rechtsstaats.
Bild: Eins, zwei, Polizei: Der Einsatz von Bodycams soll massiv ausgeweitet wer…
Berlin taz | Fehlende Regelungen, unklare Formulierungen, „rechtlich mehr
als fragliche“ Begründungen: Der Jurist Thomas Feltes lässt kaum ein gutes
Haar an dem von Schwarz-Rot im Oktober vorgelegte Novelle des Allgemeinen
Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (Asog).
Am Montag wird sich der Innenausschuss des Abgeordnetenhauses erstmals
intensiv mit [1][dem neuen Polizeigesetz] befassen. Mehrere Expert:innen
sind zu einer Anhörung geladen, darunter auch Feltes. Einen Vorgeschmack
auf sein für CDU und SPD wenig schmeichelhaftes Urteil liefert der
emeritierte Professor für Kriminologie und Polizeiwissenschaft der
Ruhr-Universität Bochum dabei in einer vorab verfassten Stellungnahme.
So schreibt Feltes über den im Asog neu vorgesehenen flächendeckenden
Einsatz von Distanzelektroimpulsgeräten, besser bekannt als Elektroschocker
oder Taser: Dass diese hier „teilweise als milderes Mittel gegenüber dem
Schlagstock“ eingestuft werden, „kann nicht nur wissenschaftlich nicht
belegt werden, sondern ist im Gegenteil wissenschaftlich widerlegt“.
In den USA etwa gehe man jährlich von mehr als 50 Todesfällen nach
Taser-Einsätzen aus. „Taser können töten“, belehrt Feltes die
Innenpolitiker:innen der Koalition über die Waffe, für deren
großflächigen Einsatz sich Innensenatorin Iris Spranger (SPD) [2][schon
unter Rot-Grün-Rot ins Zeug geworfen] hatte.
## Bodycam-Einsatz in der Form verfassungswidrig
Der renommierte Jurist Thomas Feltes steht mit seiner Kritik an der
Asog-Novelle keineswegs allein auf weiter Flur. Geradezu vernichtend ist in
dieser Hinsicht aber das Urteil der Landesdatenschutzbeauftragten Meike
Kamp. In ihrer Stellungnahme für die Anhörung im Parlamentsausschuss nimmt
Kamp ausschließlich die Regelungen zum Einsatz von Bodycams auseinander –
ebenfalls ein [3][bereits älteres Lieblingsvorhaben von Senatorin
Spranger]. Das neunseitige Schreiben Kamps liegt der taz vor, zuerst hatte
der Tagesspiegel berichtet.
Nicht zuletzt der vorgesehene „Einsatz von körpernah getragenen Kameras in
Wohnungen“ durch Polizei, Feuerwehr und Ordnungsämter wäre demnach in der
geplanten Form „verfassungswidrig“. Berlins oberste Datenschützerin
kritisiert in diesem Zusammenhang vor allem, dass hierfür kein
richterlicher Beschluss vorgesehen ist, weder im Vorfeld der Maßnahme noch
im Anschluss. In der Gesetzesbegründung nennt Schwarz-Rot den sogenannten
Richter:innenvorbehalt kurzerhand „entbehrlich“.
Ein Unding, urteilt nicht nur Meike Kamp mit Verweis auf die im Grundgesetz
verankerten Bestimmungen zur Unverletzlichkeit der Wohnung. Auch die
Berliner Grünen zeigen sich fassungslos über den Entwurf, den CDU und SPD
vorgelegt haben. „Die Neufassung des Asog zeugt in der aktuellen Form von
einem erschreckend laxen Umgang mit verfassungsrechtlichen Fragen“, sagt
[4][Grünen-Landeschef Philmon Ghirmai] zur taz.
Im besten Fall ließe sich sagen, dass der Gesetzentwurf „handwerklich nur
schlecht gemacht“ ist. Das mache es aber nicht weniger besorgniserregend.
Ghirmai sagt: „CDU und SPD sind offenbar bereit dazu, Grundrechte und
Gewaltenteilung mit einem Federstrich abzuräumen.“ Auch der Grünen-Chef
kritisiert unter anderem den fehlenden Richter:innenvorbehalt.
## Exekutive soll Aufgaben der Judikative übernehmen
Dazu gehört in dem Fall auch, dass nach dem Willen von Schwarz-Rot nicht
Richter:innen, sondern die Datenschutzbeauftragten der Polizei, Feuerwehr
oder Bezirksämter vor einer weiteren Nutzung der Bodycam-Aufnahmen
sicherstellen sollen, dass die Daten nicht „dem Kernbereich privater
Lebensgestaltung“ zuzurechnen sind. Abgesehen davon, dass
Datenschutzbeauftragte eine richterliche Überprüfung nicht ersetzen
könnten, übernähmen Mitglieder der Exekutive jetzt auch noch Aufgaben der
Judikative. Der Grünen-Politiker sieht hierin eine klare Schwächung des
Rechtsstaats.
Damit nicht genug, lasse die Asog-Novelle „jegliches Gespür vermissen für
die praktischen Folgen im Alltag der Beamt:innen“. Das zeige sich bei den
etlichen offenen Fragen zur Nutzung der Bodycams, noch deutlicher aber bei
den Regelungen zum Einsatz von Tasern.
Tatsächlich legt der Gesetzentwurf von CDU und SPD fest, dass Taser nicht
angewendet werden dürfen „gegen Personen, die dem äußeren Eindruck nach
noch nicht 14 Jahre alt sind, erkennbar Schwangere und Personen mit
bekannten oder dem äußeren Anschein nach vorhandenen Vorerkrankungen des
Herzkreislaufsystems“.
Dem äußeren Eindruck, dem äußeren Anschein nach: Solche weichgespülten
Formulierungen führten auch für Polizist:innen „zu maximaler
Rechtsunsicherheit“, sagt Philmon Ghirmai: „Ausbaden müssen es dann die
Beamt:innen.“
## SPD will sich Richter:innenvorbehalt nicht verschließen
Jetzt mal halblang, heißt es hierzu aus der SPD. „Wir haben damit die
Interessen der Bürgerinnen und Bürger im Blick, um Berlin lebenswerter und
sicherer zu machen“, sagt Jan Lehmann, der Sprecher für Datenschutz der
SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, zur taz.
Insgesamt seien die Stellungnahmen von Thomas Feltes und Meike Kamp
„äußerst hilfreich“. Man nehme alle Hinweise „gern auf“ und werde sic…
den Argumenten selbstverständlich auseinandersetzen. Schließlich, so
Lehmann, befinde sich die Asog-Novelle aktuell im parlamentarischen
Beratungsverfahren und sei mithin in der Form auch längst noch nicht
beschlossen. Er jedenfalls würde sich beispielsweise in seinem Bereich
Datenschutz dem Richter:innenvorbehalt „nicht verschließen“.
Dem Landesvorsitzenden der Grünen ist das zu wenig. Zumal das Ende der
Fahnenstange nach Ansicht von Philmon Ghirmai nicht erreicht sei. In einer
bereits angekündigten weiteren Überarbeitung des Polizei- und
Ordnungsgesetzes will Schwarz-Rot unter anderem Verschärfungen beim Thema
anlasslose Polizeikontrollen, bei [5][Video- und
Telekommunikationsüberwachung] angehen.
Ghirmai befürchtet, dass es dann im Hinblick auf den Schutz der Freiheits-
und Bürger:innenrechte noch dicker kommt: „Der Koalition fehlt hier
Maß und Mitte.“
13 Nov 2023
## LINKS
[1] /Neues-Polizeigesetz-fuer-Berlin/!5961246
[2] /Alleingang-von-Berlins-Innensenatorin/!5897837
[3] /Spranger-fordert-nach-Silvester-Bodycams/!5903973
[4] /Gruenen-Chef-zur-Koalitionen/!5915274
[5] /Innere-Sicherheit-in-Berlin/!5923457
## AUTOREN
Rainer Rutz
## TAGS
Schwarz-rote Koalition in Berlin
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