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# taz.de -- Gedankenkarussell zum Nahost-Krieg: Können wir bitte aufhören …
> Warum emotionalisiert dieser Konflikt nicht nur Juden und Palästinenser,
> sondern uns alle? Eine Kolumne, entstanden im Hadern um Klarheit.
Bild: Auf einer Pro-Palästina-Kundgebung in Berlin vom 15. Oktober 2023
Es sind in der Hauptsache bloße Fragmente, lose Gedanken; entstanden im
Hadern um Klarheit. Im Widerspruch zu den Vielen, die Nahost für ein
Fußballspiel halten und den Rest der Welt für Cheerleader:innen. Viele in
meinem persönlichen Umfeld empfinden ähnlich, darunter Juden und
Palästinenser. Gerade auch hier in Berlin, zwischen der [1][Synagoge am
Fraenkelufer] in Kreuzberg und der [2][Sonnenallee in Neukölln].
Disclosure für die Hater: Ich bin in Kabul geboren, also in einem
muslimischen Land. Aufgewachsen in Berlin, der ehemaligen Hauptstadt des
Dritten Reichs, wo eiskalte Nazi-Maschinenmenschen den perfiden Mord an
Millionen Jüdinnen und Juden organisierten. Von hier aus herrschte das
NS-Regime über die ihm treu ergebenen Massen, die danach beeindruckend
massenhaft im Widerstand gewesen sein wollten.
1994 bereiste ich als Schüler für mehrere Wochen Israel und – aus
Sicherheitsgründen leider nur kurz – einige der palästinensischen Gebiete.
Es war der Moment des Gaza-Jericho-Abkommens, Shakehands zwischen Rabin und
Arafat. Palästinensische und israelische Polizisten säumten gemeinsam
dieselbe Straßenkreuzung. Das war eine andere Zeit. Die Welt war eine
andere. Ende Disclosure.
## Größter Massenmord an Juden seit dem Holocaust
Jeder, der das Existenzrecht Israels für selbstverständlich hält, kommt
nicht umhin, den Israelis eine umfassende Reaktion auf das Massaker vom 7.
Oktober zuzugestehen. Ich zähle mich zu diesen Menschen. Dieser Konflikt
ist jahrzehntealt, der aktuelle Krieg aber begann vor wenigen Wochen mit
dem größten Massenmord an Juden seit dem Holocaust.
Die blutrünstigen Attacken der Hamas machen die unschuldigen Opfer im
Gazastreifen nicht weniger unschuldig. Über die Hälfte der Bevölkerung sind
Kinder und Jugendliche. Selbst wenn man den Palästinensern in Gaza
absurderweise vorwerfen möchte, sie hätten bei den letzten Wahlen vor über
15 Jahren mehrheitlich für die Hamas gestimmt, waren das nicht die Kinder
und Jugendlichen von heute. Es gab sie damals schlichtweg nicht oder sie
waren keine fünf Jahre alt.
Warum emotionalisiert dieser Konflikt nicht nur Juden und Palästinenser,
sondern uns alle? Weshalb bringt es Muslime auf die Palme, wenn es um
Israelis gegen Palästinenser geht, der Umgang der Chinesen mit den Uiguren,
ihrer massenhaft internierten muslimischen Minderheit, bringt die meisten
Muslime aber nicht mal in die Nähe einer Palme? Warum treiben Nachfahren
der Maschinenmenschen den Teufel mit dem Beelzebub aus, [3][indem sie
Antisemitismus mit Rassismus begegnen]?
Es ist nicht so, dass ich keine Ideen für die Antworten auf diese Fragen
hätte. Aber in Zeiten, in denen die Antworten vieler apodiktisch scheinen,
stellen sich manche Fragen umso lauter.
Können wir bitte aufhören, Antisemitismus unter Muslimen als Fata Morgana
abzutun und einsehen, dass auch Juden rassistisch sein können?
Du bist wegen der wachsenden Muslimfeindlichkeit in Sorge und sitzt auf
gepackten Koffern? Auch diese Angst teilen wir mit Jüdinnen und Juden in
Deutschland.
Als antisemitischer und rassistischer Menschenhasser würde ich mir dieser
Tage ausgiebig ins rechte Fäustchen lachen. Das Land rückt Jahr für Jahr
weiter nach rechts, präziser: Der rechte Rand rückt stetig weiter in die
Mitte. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis er in einem der Bundesländer
mitregiert. Und ausgerechnet zwei seiner Hauptfeinde gehen aufeinander los.
Wir Juden und Muslime, ob gläubig oder nicht, werden eher früher als später
Seite an Seite hier in Deutschland den Kampf gegen den wachsenden
Rechtsextremismus altbekannter Herkunft verstärken müssen. Der sogenannte
Nahe Osten wird dann ziemlich fern sein.
27 Oct 2023
## LINKS
[1] /Synagoge-in-Kreuzberg/!5591281
[2] /Umgang-mit-propalaestinensischen-Demos/!5965168
[3] /Nahost-Krieg-in-der-virtuellen-Welt/!5963795
## AUTOREN
Bobby Rafiq
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