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# taz.de -- Islamische Bestattungen: Mit Habeck auf dem islamischen Friedhof
> In Berlin dürfen Muslime ihre Toten auf Wunsch auch ohne Sarg in einem
> Leichentuch beerdigen. Über ein Begräbnis mit einer großen
> Trauergemeinde.
Bild: Der Islamische Friedhof in Berlin-Neukölln, ein Archivbild von 2012
Mit tieftraurigen Gesichtern standen ihre vier Söhne und einige der
Enkelkinder an diesem grauen Berliner Novembertag im Torbogen des
Friedhofs. Betrübt begrüßten sie jeden der ankommenden Trauergäste bereits
an dieser Stelle persönlich; der Wagen des Bestatters sollte jeden Moment
einfahren. Darin der Sarg ihrer geliebten, über achtzigjährigen Frau Mama.
Eine stolze, weltliche Frau war sie, das bekam auch ich aus der Ferne mit.
Unsere Familien schätzen und kennen sich aus längst vergangenen
West-Berliner Tagen. Ich war damals noch ’n kleener Steppke. Wir teilen das
gleiche Schicksal: geflohen vor dem Sowjetkrieg in Afghanistan.
Dieser Friedhof bietet als einer von wenigen Orten in Berlin Flächen für
islamische Bestattungen. Beisetzungen nach (mehr oder weniger) muslimischer
Tradition werden nicht auf herkömmlichen Flächen durchgeführt. Die Gräber
müssen, vereinfacht gesagt, nach Mekka ausgerichtet sein. Frömmigkeit ist
keine zwingende Voraussetzung für eine Beerdigung dieser Art. Mitunter
spielt Identität eine große Rolle, allemal außerhalb der ursprünglichen
Heimat – besonders für die erste Generation.
So war auch diese Trauergemeinde ein dem Anlass entsprechend dunkel
gekleidetes, aber dennoch buntes Sammelsurium von – rund 150 – Menschen:
gläubig, fromm, zweckreligiös, säkular, agnostisch, atheistisch,
rebellisch, vielleicht auch radikal, das vermag ich nicht zu sagen. Es
waren Ärzte und andere Akademiker:innen darunter, Künstler:innen,
Erwerbslose, Angestellte, Selbständige, Verzweifelte, Orientierungslose,
Junge, Alte, ach, halt einfach Menschen mit verschiedenen Biografien.
Die letzten Meter begleiten die Angehörigen und ihre Gäste den Sarg nicht
einfach nur, sie tragen ihn auf ihren eigenen Schultern, abwechselnd, immer
auf 6 Paar verteilt. Am Grab angekommen, wird er vorsichtig herabgelassen
und anschließend von den Trauernden mit Erde zugeschüttet, bis das Grab
vollständig geschlossen ist. Seit 2010 dürfen Muslime in Berlin ihre Toten
auf Wunsch auch ohne Sarg, in einem Leichentuch beerdigen.
## Unglaublich viel Kraft gespendet
Vor, während und nach dieser Zeremonie wird gemeinsam mit einem eigens
engagierten Imam gebetet beziehungsweise spricht dieser die nötigen Gebete
– neben möglichen letzten Abschiedsworten der Angehörigen. Diese auf manche
vielleicht befremdlich wirkende Prozedur in einer kurzzeitig
zusammengekommenen Gemeinschaft der Trauernden kann einem unglaublich viel
Kraft spenden. Wer sich darauf vorbehaltlos einlässt, spürt, wie tröstend
das sein kann – fernab der eigenen Weltanschauung, der tatsächlichen
Religiosität, ideologischen und parteipolitischen Prägung.
Als ich vor einigen Wochen diesem Abschied beiwohnte, kam ich nicht allein.
Ich hatte den kompletten aktuellen innenpolitischen Diskurs im Gepäck, der
sich durch den Nahostkrieg über uns alle hinweg wölbt und die wildesten
Kapriolen hier in Almanistan schlägt. Neben den üblich ätzenden
Verdächtigen sah ich vor allem zwei Politiker vor mir, die mir bisher
selten in diesen Zusammenhängen erschienen: Frank-Walter Steinmeier und
Robert Habeck, mit ihren vielbeachteten Reden in den vergangenen Wochen.
Beide sind klüger als die klassischen Hetzer. Sie wissen, dass die große
Mehrheit der tatsächlichen und als solche gelesenen Muslime genauso ticken
wie diese Trauergemeinde. Sie sind ebenso bunt und widersprüchlich. Wie und
warum überhaupt sollen wir uns von Terrorismus, von der Hamas und anderem
geistig-seelischen Schund distanzieren?
Und mal praktisch gefragt: Wo überhaupt soll das passieren? Auf den
Marktplätzen dieser Republik? Vor Gericht oder in den Räumen der
Bundestagsfraktionen? Ich bin mir sicher, wären sie wirklich dagewesen, sie
hätten sich geschämt.
8 Dec 2023
## AUTOREN
Bobby Rafiq
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