# taz.de -- Umgang mit propalästinensischen Demos: Verboten oder nicht verbote… | |
> In vielen deutschen Städten wurden propalästinensische Demonstrationen | |
> verboten.Wieso entscheiden Gerichte unterschiedlich zu den Kundgebungen? | |
Bild: Polizisten umringen am Potsdamer Platz propalästinensische Demonstration | |
FREIBURG taz | In vielen Städten wie Berlin, Frankfurt am Main und Hamburg | |
wurden propalästinensische Demonstrationen recht [1][pauschal verboten]. | |
Oft wurden danach die Gerichte angerufen. Mal wurden die Verbote gekippt, | |
oft aber bestätigt. Anhand welcher Kriterien entscheiden die Gerichte? Die | |
Versammlungsfreiheit ist ein Grundrecht, sie ist eine Freiheit, die vor | |
allem Minderheiten schützt. Durch Kundgebungen auf der Straße können so | |
auch Themen und Positionen, die nicht im Parlament oder in den Talkshows | |
vertreten sind, auf die gesellschaftliche Tagesordnung gesetzt werden. Das | |
Bundesverfassungsgericht hat schon oft betont, dass das Demonstrationsrecht | |
für die Demokratie „schlechthin konstituierend“ ist. | |
Geschützt sind also auch Demonstrationen mit empörenden Inhalten. | |
Demonstrationen müssen nicht ausgewogen sein. Wer Israel kritisiert, muss | |
nicht gleichzeitig die [2][Hamas] kritisieren. Wenn Kanzler Olaf Scholz | |
sagt „Die Sicherheit Israels und seiner Bürger ist Staatsräson“, dann hat | |
das für die Zulässigkeit der Demonstrationen keine Bedeutung. Maßstab für | |
die Gerichte sind die Versammlungsgesetze. Bis zur Föderalismusreform 2006 | |
gab es nur ein Versammlungsgesetz im Bund. Seitdem können die Bundesländer | |
aber eigene Versammlungsgesetze beschließen, wovon etwa die Hälfte der | |
Länder Gebrauch gemacht hat, etwa Berlin, Hessen und Nordrhein-Westfalen. | |
Im Kern geht es bei Demonstrationsverboten aber immer um die Frage, ob eine | |
„unmittelbare Gefahr“ für die „öffentliche Sicherheit“ besteht, das h… | |
insbesondere, ob mit Straftaten zu rechnen ist. So wäre es „als Billigung | |
von Straftaten“ (§ 140) strafbar, den Hamas-Terror-Angriff öffentlich zu | |
bejubeln. Die Parole „Bombardiert Tel Aviv“ wäre eine „öffentliche | |
Aufforderung zu Straftaten“ (§ 111), der Ruf „Tod den Juden“ ist eine | |
Volksverhetzung (§ 130). Seit 2020 ist auch das Verbrennen israelischer | |
(und anderer ausländischer) Fahnen strafbar (§ 104). Wenn das Existenzrecht | |
Israels verneint wird, etwa durch den Slogan „From the River to the Sea, | |
Palestine shall be free“, ist das bisher wohl nicht strafbar. Der hessische | |
Justizminister Roman Poseck (CDU) schlägt deshalb vor, das Strafgesetzbuch | |
– ein Bundesgesetz – entsprechend zu ergänzen. Die Berliner Polizei will | |
die Leugnung des Existenzrechts Israels jedoch schon heute als | |
Volksverhetzung verfolgen. Dagegen spricht aber, dass sich die | |
Volksverhetzung gegen Teile der inländischen Bevölkerung richten muss. | |
## Gerichte müssen Prognosen vornehmen | |
Da es bei den Verboten um zukünftige Demonstrationen geht, müssen die | |
Gerichte eine Prognose über deren wahrscheinlichen Ablauf treffen. Wenn | |
schon der Aufruf zur Demonstration strafbar ist, fällt die Prognose leicht. | |
Ansonsten wird oft auf ähnliche Veranstaltungen des gleichen oder anderer | |
Veranstalter in der gleichen Stadt oder in anderen Städten abgestellt. | |
Welche Prognosen aus früheren Ereignissen abgeleitet werden können und | |
dürfen, ist oft umstritten. Daher kommen die Gerichte so häufig zu | |
unterschiedlichen Ergebnissen. | |
Das präventive Verbot einer Kundgebung muss jedoch immer das letzte Mittel | |
sein. Als milderes Mittel kommen Auflagen an die Veranstalter in Betracht, | |
etwa dass der Veranstalter mit seinen Ordnern dafür sorgen muss, strafbare | |
Transparente zu entfernen und strafbare Sprechchöre zu unterbinden. | |
Ob den Veranstaltern die Durchsetzung solcher Auflagen zugetraut wird, | |
hängt auch von deren Verhalten ab. Wer verspricht, Straftäter aus der | |
Kundgebung auszuschließen, kann im Streitfall seine Demonstration eher | |
durchführen als ein Veranstalter, der jegliche Beschränkungen von | |
propalästinensischen Kundgebungen als „rassistisch“ bezeichnet. Über | |
Demonstrationsverbote entscheiden die Verwaltungsgerichte. In der Regel | |
handelt es sich dabei um Eilverfahren, weil ja noch vor einer konkret | |
geplanten Kundgebung entschieden werden muss. Deshalb können die Gerichte | |
hier nur eine „summarische“ (das heißt grobe) Prüfung vornehmen. Wenn das | |
Verbot wahrscheinlich rechtswidrig ist, dann kann die Demonstration | |
stattfinden. | |
23 Oct 2023 | |
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## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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