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# taz.de -- Kita will Namen „Anne Frank“ ablegen: Getilgtes Gedenken
> Eine Kita in Sachsen-Anhalt will nicht mehr nach NS-Opfer Anne Frank
> benannt sein. Wunsch sei ein Name „ohne politische Hintergründe“, so die
> Leitung.
Bild: Das Foto von Anne Frank im National World War II Museum in New Orleans
Magdeburg/Berlin taz | Der Fakt an sich ist verstörend, die Begründung erst
recht: Im sachsen-anhaltischen Tangerhütte soll eine Kindertagesstätte, die
vor mehr als 50 Jahren nach dem jüdischen Mädchen und Holocaust-Opfer Anne
Frank benannt worden ist, künftig nicht mehr so heißen. Das sei der
gemeinsame Wunsch von Eltern und Erzieher:innen und solle demnächst dem
Stadtrat zur Entscheidung vorgelegt werden, berichtete am Wochenende die
[1][Magdeburger Volksstimme]. Der neue Name des Kindergartens soll
„Weltentdecker“ lauten.
Die Zeitung zitierte die Kita-Leiterin Linda Schichor mit den Worten, der
Kinderrat der Einrichtung habe einen Namen gewählt, der kindgerechter sei.
Die Geschichte von Anne Frank sei gerade für kleinere Kinder schwer
fassbar. Auch Eltern mit Migrationshintergrund könnten mit dem Namen oft
nichts anfangen. „Wir wollten etwas ohne politische Hintergründe“, so
Schichor. Es laufe eine Unterschriftensammlung für den neuen Namen.
Nach allem was bekannt ist, geht der Vorschlag, auf den Namen zu
verzichten, nicht auf Forderungen von rechts zurück – selbst wenn die „AfD
ein Faktor in der Stadt“ ist, wie Ortskundige sagen. Er kommt viel eher aus
der bürgerlichen Mitte.
## Bürgermeister will „nicht Moralapostel spielen“
Auch [2][Bürgermeister Andreas Brohm] (parteilos) ist in die Diskussion
einbezogen. Er ist Mitglied des Präsidiums des Evangelischen Kirchentages
und seit fast zehn Jahren Stadtoberhaupt. Brohm hatte 2018 an der
Festveranstaltung zum 50. Geburtstag des Kindergartens teilgenommen. Trotz
des Hamas-Terrors gegen Israel ist er offen für die Umbenennung.
Es gebe ein neues pädagogisches Konzept für die Einrichtung, so Brohm. Wenn
Eltern und Mitarbeiter:innen einen Namen wollten, der dieses Konzept
besser abbilde, habe dies „gegenüber der weltpolitischen Lage mehr
Gewicht“. Es sei ein „Abwägungsprozess“, so Brohm zur taz. „Ich finde,
Demokratie muss aushalten, dass man Dinge einfach ausdiskutiert.“ Er wolle
in dieser Diskussion „nicht der Moralapostel“ sein.
Kritik kommt von der Opposition im Landtag. Henriette Quade (Linke) sagte
der taz: „Die Kita umbenennen zu wollen, halte ich angesichts des
allgegenwärtigen Antisemitismus für ein falsches Signal.“ Sebastian
Striegel (Grüne) forderte, der Name solle bleiben: „Über die Person Anne
Frank kann eine Beschäftigung mit Menschenwürde und universalen Werten auch
kindgerecht vermittelt werden.“
## Verband Jüdischer Gemeinden ist irritiert
Auch der Landesverband Jüdischer Gemeinden Sachsen-Anhalt zeigte sich
irritiert über die Pläne zur Umbenennung des Kindergartens. Mit Blick auf
den erstarkenden Antisemitismus sagte Verbandschef Max Privorozki der taz,
die Namensänderung gerade jetzt erzeuge einen unguten Beigeschmack und
komme womöglich im unpassenden Moment. „Kleine Kinder in Tangerhütte können
genauso gut die Welt entdecken in einer Anne-Frank-Kita wie in einer
Weltentdecker-Kita!“
Der Hinweis auf Eltern mit Migrationshintergrund, die mit dem Namen von
Anne Frank oft nichts anfangen können, sei das beste Argument gegen die
Namensänderung. „Dieses Argument bedeutet, dass die Integration dieser
Eltern in die deutsche Gesellschaft misslingt.“ Statt den Kita-Namen zu
ändern, sollten die Eltern lieber zu einer Lesung des Tagebuches von Anne
Frank oder auch zu einem Workshop zum Thema eingeladen werden.
David Begrich vom Verein Miteinander wirft den Beteiligten in Tangerhütte
mangelnde Sensibilität vor. Er unterstelle den Beteiligten ausdrücklich
nicht Antisemitismus, sagt er der taz. Allerdings bitte er darum, dass
diese ihr Handeln „in einem größeren gesellschaftspolitischen Zusammenhang
sehen“.
Zu diesem gehöre auch, dass 2006 im sachsen-anhaltischen Pretzien
(Salzlandkreis) sieben junge Männer aus der Neonazi-Szene das Tagebuch der
Anne Frank verbrannt haben. „Alles Lüge“, soll einer gerufen haben. Es gebe
gute, erprobte und [3][altersgerechte Konzepte zur Vermittlung des Lebens
der Anne Frank] und ihres weltberühmten Tagebuchs an Kinder und
Jugendliche, so Begrich.
## Diskussion über Namensänderung hält an
Am Montag deuteten Bürgermeister Brohm und die Einheitsgemeinde Stadt
Tangerhütte vage einen Rückzieher an. „Kita,Anne Frank' – Entscheidung
einer Namensänderung steht vorerst nicht an“, hieß es in einer Erklärung
[4][auf der Homepage der Stadtverwaltung]. Die Diskussionen um einen neuen
Namen würden immer noch laufen, „ohne dass aktuell eine Entscheidung
darüber anstünde“.
Selbstverständlich werde mittelfristig auch „die aktuell öffentlich
geführte Diskussion um die Namensgebung mit einfließen“. Einen Termin, zu
dem der Stadtrat entscheidet, gibt es noch nicht. Brohm betonte: „Viele
konstruktive Anregungen und Vorschläge haben uns dazu erreicht, für die wir
sehr dankbar sind. Diese werden dem Abwägungsprozess eine neue Dynamik
verleihen, was wir sehr begrüßen.“
In vielen ostdeutschen Städten sind Kindertagesstätten nach Anne Frank
benannt, etwa in Frankfurt (Oder), Anklam, Fürstenwalde und Rostock, aber
auch im baden-württembergischen Heilbronn. 2021 wollte die
Kindertagesstätte im thüringischen Elxleben ihren Namen „Anne Frank“
ablegen und sich in Anlehnung an den örtlichen Faschingsverein „Elchzwerge“
nennen. Der Plan wurde damals nach Protesten der Jüdischen Landesgemeinde
rasch aufgegeben.
Hinweis der Redaktion: Der Text wurde am Montag, 6. November, gegen 15 Uhr
um den Hinweis aus der Stadtverwaltung zur anhaltenden Diskussion um die
Namensänderung ergänzt.
6 Nov 2023
## LINKS
[1] https://www.volksstimme.de/lokal/tangerhuette/anne-frank-kita-tangerhuette-…
[2] /Politik-in-Bautzen/!5274055
[3] /Anne-Frank-Tag-an-deutschen-Schulen/!5856804
[4] https://www.tangerhuette.de/de/aktuelles/kita-anne-frank-entscheidung-einer…
## AUTOREN
Matthias Meisner
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