| # taz.de -- Geld verdienen mit Musik: Da bleibt nur die Fußgängerzone | |
| > Weder Festanstellung im Orchester, noch Schlagerhit gelandet: Warum lässt | |
| > sich der Mittelbau der Musikbranche nicht per Paypal-Button bezahlen? | |
| Bild: Wenn nichts mehr geht ist Straßenmusik noch eine Möglichkeit sich „ e… | |
| Musik ist ein schönes Hobby. So habe ich es gelernt. Nichts, wovon man auf | |
| Dauer seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. In den USA, vielleicht sogar | |
| in Großbritannien mag das anders sein. Aber in Deutschland lässt sich | |
| eigentlich nur in den Nischen Klassik und [1][Schlager auf Dauer ein | |
| auskömmlicher Lebensunterhalt] erwirtschaften. Und eigentlich auch da | |
| nicht. | |
| Wenn man aber dort sowieso nicht hin wollte, blieb das schöne Hobby, das | |
| das Musikmachen auch für 99 Prozent der von späteren Generationen womöglich | |
| weltweit bewunderten Protagonist*innen von Krautrock und | |
| Experimental-NDW bedeutete. Dass es so was wie einen Mittelbau gibt, dass | |
| man also auch dann vom Musikmachen leben kann, wenn man nicht Dauergast in | |
| den Top Ten ist oder eine unkündbare Anstellung in einem Rundfunkorchester | |
| ergattert hat, dass Musiker*innen auf Basis der aus den USA bekannten | |
| Routine Album-Tour-Album-Tour ihren Lebensunterhalt bestreiten können, gibt | |
| es in Deutschland zuerst zu Zeiten des großen CD-Booms der 1990er Jahre. | |
| File Sharing und Streaming schränkten diese Möglichkeit alsbald allerdings | |
| wieder ein. Immerhin blieben: live spielen und Merch verkaufen. Doch dann | |
| kamen die Lockdown-Jahre, und das böse Erwachen in der neuen | |
| Post-Lockdown-Welt ließ auch aus diesem Rettungsfloß die Luft raus. Nach | |
| dem Mittelbau gibt es heute über die noch verfügbaren Kanäle keine | |
| nennenswerte Nachfrage mehr. | |
| Wovon lebt der Mensch, der Musik macht, also heutzutage? Einen | |
| interessanten Tipp gab die „Zwischen zwei und vier“-Redakteurin Melanie | |
| Gollin in dem bei „Low Budget High Spirit“ veröffentlichten Text „Ey, wa… | |
| wollt ihr mein Geld nicht?“. Sie bekennt darin zunächst, weder Vinylplatten | |
| noch Merch zu kaufen, dennoch aber gerne den Künstler*innen ihres | |
| Herzens ein paar Extrataler zustecken zu wollen. Und packt die weltfremd in | |
| ihren Kreativsümpfen vor sich hin brödelnden Loser quasi am Kragen und | |
| ruft: Patreon! Crowdfunding! PayPal-Button auf der Webpräsenz! Fanclub, Abo | |
| …! | |
| Recht hat sie: All dies sind Möglichkeiten für hart arbeitende und schlecht | |
| bezahlte Musikschaffende. Allerdings erfordern sie Kenntnisse, regelmäßige | |
| Pflege und ein paar Extraideen, und ob dann am Ende mehr reinkommt als nach | |
| dreißig Minuten Mucke in der Fußgängerzone, ist auch noch die Frage. Und | |
| sie fressen die Zeit und lenken die Kreativität der Kreativen ab auf die | |
| Bahnen des Marketing, wo man bekanntlich für Erfolge mit seiner Seele | |
| bezahlt. Vielleicht ist die Distribution von „Live music is | |
| better“-Aufklebern, wie es Neil Young 1980 in seinem Song „Union Man“ | |
| empfahl, am Ende doch der bessere Weg. | |
| ## Vorsicht, Digitartists! | |
| Nun mögen moderne Menschen einwenden: Ach, Gottchen, das sind die Probleme | |
| der alten Holzmichls, die noch mit Instrumenten Musikhandwerk betreiben. In | |
| der digitalen Gegenwart spielt das olle „Konzert“ ohnehin keine Rolle mehr, | |
| es gibt ganz andere Performance-Kategorien, man kann durch die Clubs und | |
| Festivals der Welt jetten, und ohnehin ist die Abtrennung des Audiogewerks | |
| von den anderen Künsten soooo 20. Jahrhundert. | |
| Ja, ja. Alles richtig. Aber lasset euch gesagt sein, stolze Digitartists: | |
| Genießt das Hier und Jetzt! Denn ihr seid die Ersten, die von den KIs | |
| gemetzelt werden. Einen [2][Ibiza-Sundown-Set kriegen die schon heute viel | |
| besser hin]. Eure Theatermusiken, Soundtracks, Syncings – auch keine große | |
| Hürde. Und wenn all diese Wehrtürme stolzer Krone-der-Schöpfung-Hybris | |
| geschleift sind, verstimmt vielleicht sogar die Rede vom „schönen Hobby“. | |
| Weil es nichts mehr zu tun gibt. Nur der alte Holzmichl wird sich dann noch | |
| mit „Knockin’ on Heavens Door“ in der U-Bahn-Unterführung eine | |
| Schmalzstulle erkrächzen. | |
| 30 Oct 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Detlef Diederichsen | |
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