| # taz.de -- Dar-Assalam-Moschee in Berlin Neukölln: Beten gegen den Generalver… | |
| > Angst, Resignation, Wut und Trauer: In der größten arabischen | |
| > Moscheegemeinde in Berlin-Neukölln versucht der Imam Taha Sabri, die | |
| > Wogen zu glätten. | |
| Berlin taz | Jeder Jude soll sich hier in Sicherheit fühlen dürfen“, ruft | |
| Imam Taha Sabri auf seiner hölzernen Kanzel, an seine Gemeinde gerichtet. | |
| „Jeder Palästinenser soll sich hier sicher fühlen dürfen.“ Und | |
| unmissverständlich stellt er klar: „Wir verurteilen die Angriffe auf | |
| jüdische Einrichtungen in Berlin“ sowie „alle Versuche, das friedliche | |
| Zusammenleben in Berlin zu stören.“ | |
| Einige hundert Männer unterschiedlicher Herkünfte und Altersstufen drängen | |
| sich an diesem Freitag im Gebetssaal der Dar-Assalam-Moschee in Berlin, | |
| einem Backsteinbau im Norden des Einwandererbezirks Neukölln in der Nähe | |
| des ehemaligen Flughafenfelds, um ihm beim Freitagsgebet zu lauschen. Sie | |
| sind ein Spiegelbild der Bezirks: Einige der jungen Männer tragen schicke | |
| schwarze Jacketts, andere Rapper-Sportswear, einige wenige haben sich eine | |
| Kufiya, das palästinensische Halstuch, umgebunden. Die Frauen sitzen auf | |
| einer Empore, in einem getrennten Bereich. Die meisten Männer im Saal sind | |
| allerdings sichtbar älter, einige längst Rentner. Viele haben Pullover und | |
| Mäntel an. Denn draußen ist es kalt geworden, und es regnet. | |
| Bevor er mit seinem Headset und im weißen Gewand auf die Kanzel gestiegen | |
| war, hatte Taha Sabri noch gesagt: „Ich fühle mich wie in einem Boot auf | |
| einem stürmischen Meer. Die Wellen schlagen von allen Seiten hoch.“ Der | |
| 57-Jährige wirkt müde und blass, er ist gesundheitlich angeschlagen. Aber | |
| er weiß: „Wir tragen eine große Verantwortung. Alle Seiten erwarten etwas | |
| von mir – meine Gemeinde, die Öffentlichkeit.“ | |
| Deshalb eilt er von Termin zu Termin und versucht, die Wogen zu glätten. | |
| „Trösten, beruhigen, Gesicht zeigen, verurteilen“, sagt er. Zusammen mit 22 | |
| weiteren Berliner Imamen hat er wenige Tage nach dem Angriff der Hamas und | |
| dem [1][Jubel einiger Dutzend Jugendlicher auf Neuköllner Straßen] eine | |
| schriftlichen Erklärung verfasst. „Mord, Hass und Gewalt dürfen niemals | |
| geduldet oder gar bejubelt werden“, heißt es darin. „Unsere Gedanken und | |
| Gebete sind bei den Opfern und Angehörigen der Terrorakte und der | |
| Vergeltungsschläge.“ | |
| [2][Seit die Hamas vor knapp zwei Wochen ihren Großangriff auf Israel | |
| startete], über 1.400 Menschen ermordete und rund 200 als Geiseln | |
| entführte, hat Sabri alle Hände voll zu tun. Denn Israels Armee reagierte | |
| mit großer Härte, ließ Tausende Bomben auf den Gazastreifen regnen und | |
| schnitt die ohnehin schon abgeriegelte Enklave erst recht von der Außenwelt | |
| ab. Kein Wasser, Strom oder Benzin durften zeitweise dorthin gelangen. Über | |
| 4.000 Menschen im Gazastreifen sind in diesem Krieg nach offiziellen | |
| Angaben bereits ums Leben gekommen. | |
| [3][Vor dem Grenzübergang in Ägypten stauten sich Lkw-Kolonnen mit Lebens- | |
| und Arzneimitteln], bis diesen Samstag die ersten 20 von ihnen die von | |
| Israel und Ägypten kontrollierte Grenze passieren durften. Das alles nimmt | |
| Taha Sabri und viele Menschen in seiner Gemeinde stark mit. Manche haben | |
| Verwandte, Angehörige und Freunde verloren, die im Gazastreifen leben. | |
| „Einer hat Verwandte, die umgekommen sind“, berichtet er. Andere hätten | |
| Angehörige, die zum dritten Mal umgezogen seien auf der Flucht vor den | |
| Bomben. „Es ist paradox: Ich bin selbst emotional, aber muss die Gemüter | |
| beruhigen“, sagt er. | |
| Auch als er auf der Kanzel steht, kehrt Sabri sein Innerstes nach außen. | |
| „Für mich sind es gerade einige meiner schwersten Tage als Imam“, gesteht | |
| er offen. „Wir erleben eine sehr schwierige Zeit.“ Dann spricht er vom | |
| Grundgesetz und der Verantwortung jedes Einzelnen, die Menschenwürde zu | |
| wahren, über den Schmerz und die Wut. Er berichtet, dass er am Tag zuvor | |
| bei der [4][Synagoge in Berlin war, auf die ein Brandsatz geworfen wurde], | |
| und dass er sich mit dem Rabbiner dort einig war, dass Konflikte aus dem | |
| Nahen Osten nicht nach Berlin getragen werden sollten. | |
| Er kritisiert die zahlreichen [5][Verbote von palästinensischen | |
| Demonstrationen in Berlin], mahnt aber, dass man sich an die Gesetze halten | |
| müsse, und verurteilt Angriffe auf die Polizei: „Das ist nicht in Ordnung.“ | |
| Auch den Streik der Geschäftsleute erwähnt er: An diesem Freitag hatten | |
| rund um die Sonnenallee, die größte arabische Geschäftsstraße Berlins, fast | |
| alle Geschäfte, Imbisse und Supermärkte geschlossen – aus Unmut darüber, | |
| dass andere Formen des Protests in den vergangenen Tagen untersagt worden | |
| waren. Ein großes, gespenstisches Schweigen lag über dem Bezirk, aber der | |
| Regen spülte die Nervosität der vergangenen Tage weg. | |
| [6][Taha Sabri] selbst stammt aus Tunesien und lebt seit 2005 in Berlin. | |
| Seine Moschee beherbergt die größte arabische Gemeinde der Stadt, ihr | |
| gehören viele palästinensische Muslime an, aber auch Flüchtlinge aus Syrien | |
| und afrikanischen Ländern. Manche der Besucher, gerade die Jüngeren, | |
| sprechen kein Arabisch: für sie übersetzt ein Dolmetscher die Predigt | |
| simultan ins Deutsche, Kopfhörer liegen dafür bereit. Die Gemeinde | |
| finanziert sich überwiegend aus Spenden, was in einem der ärmsten Viertel | |
| Berlins nicht einfach ist, denn viele Gemeindemitglieder haben kaum Geld. | |
| Aber es sind auch „Ärzte, Apotheker und Ingenieure“ darunter, sagt Taha | |
| Sabri. „Dar-Assalam“ heißt „Haus des Friedens“, und das möchte die Mo… | |
| gerne sein. [7][Doch sie stand in den vergangenen Jahren immer wieder im | |
| Zentrum von Kontroversen und Kritik]. Der Vorwurf lautete, Taha Sabri habe | |
| Verbindungen zur Muslimbruderschaft, was er vehement abstreitet. Zwei Jahre | |
| lang wurde die Gemeinde im Bericht des Berliner Verfassungsschutzes | |
| aufgeführt, wogegen sie erfolgreich klagte. Inzwischen hat sich die | |
| Gemeinde aber etabliert, Sabri erhielt für seinen „Einsatz im | |
| interreligiösen Dialog“ 2015 sogar den Verdienstorden des Landes Berlin. Am | |
| vergangenen Freitag waren Kamerateams der Nachrichtenagentur Reuters und | |
| des RBB und ein Reporter des Tagesspiegels da – „es war wie bei einer | |
| Pressekonferenz“, stöhnt ein Gemeindemitglied. Anschließend heißt es in den | |
| Berichten, der Imam habe seine Gemeinde zur Besonnenheit aufgerufen und an | |
| die deutsche Verantwortung für den Holocaust erinnert. Eine Predigt, wie | |
| sie sich jeder Integrationsbeauftragte wünscht. An diesem Freitag kommt | |
| nach dem Gebet noch ein befreundeter Pfarrer vorbei, um sich auszutauschen. | |
| Trotzdem wurde der alte Vorwurf, Sabri stehe der Muslimbruderschaft nahe, | |
| jetzt wieder vor einem Millionenpublikum aufgewärmt. Bei Markus Lanz | |
| behauptete der konservative „Terror-Experte“ Guido Steinberg, | |
| „islamistische Organisationen“ seien in den Islamverbänden „sehr stark | |
| vertreten“, während im Hintergrund ein Bild der Dar-Assalam-Moschee | |
| eingeblendet wurde. Viele junge Türken und Palästinenser in Deutschland | |
| würden sich „einen islamischen Staat“ wünschen, in dem Hände abgehackt | |
| werden, legte Steinberg noch einen drauf, schränkte dann aber auf | |
| skeptische Nachfrage der Spiegel-Journalistin Melanie Amann ein: Sein | |
| Eindruck sei „nicht messbar, nur anekdotisch“. | |
| Der Imam Taha Sabri macht sich aufgrund solcher Aussagen Sorgen, dass seine | |
| Moschee zu einer Zielscheibe für Extremisten werden könnte. In Bochum | |
| schmierten Unbekannte am Mittwoch zwei Davidsterne und ein Hakenkreuz an | |
| eine Moschee, in Bottrop wurde am Samstag eine andere Moschee mit dem | |
| Slogan „Kill Islam“ beschmiert. Über 600 islamfeindliche Straftaten | |
| registrierte das Bundesinnenministerium allein im vergangenen Jahr | |
| bundesweit. Ob seine Gemeinde die Lanz-Sendung mitbekommen hat? An diesem | |
| Freitag sind weniger Menschen gekommen als in der Woche zuvor. Das mag am | |
| Regen liegen, der es verhindert, dass sich die Gläubigen auch vor dem | |
| Gebäude im Hof zum Gebet versammeln. Es kann auch an der Polizei liegen, | |
| die demonstrativ vor der Tür steht, um zu schauen, dass dort „keine | |
| verbotenen Fahnen gezeigt“ werden, wie es ein Beamter auf Nachfrage sagt. | |
| Es kann aber auch am Medienrummel liegen. Manche Mitglieder der Gemeinde | |
| glauben, es wäre besser, wenn Taha Sabri weniger aktiv wäre – dann würde | |
| möglicherweise auch das Medieninteresse nachlassen. Aber das ist für Taha | |
| Sabri keine Option, auch wenn er sagt: „Manche warten nur darauf, dass die | |
| Moschee irgendeinen Fehler macht, um sie ins schlechte Licht zu rücken.“ | |
| Adil M., ein Mitglied seiner Gemeinde, der seinen richtigen Namen und sein | |
| Bild nicht in der Zeitung sehen möchte, stammt aus dem Gazastreifen. Vor | |
| 25 Jahren kam er zum Studium nach Berlin, inzwischen arbeitet er hier als | |
| Arzt. Seine Eltern leben noch in Gaza. Alle fünf Stunden erhält er eine | |
| Textnachricht von ihnen, das einzige Lebenszeichen: Für mehr reicht der | |
| Strom in Gaza nicht mehr. Mehr als 20 Menschen, die aus anderen Teilen | |
| geflohen sind, hätten in ihrer Wohnung Zuflucht gefunden, sagt er. „Man | |
| erwartet das Schlimmste und sieht keine Hoffnung am Horizont“, sagt er. | |
| Dass Jugendliche in Neukölln randaliert haben, findet er „verrückt“ und | |
| „nicht islamisch“. Aber er sagt auch, viele wollten „Protest, Mitgefühl … | |
| Trauer zeigen“. Dass in Berlin zuletzt fast alle Demonstrationen verboten | |
| wurden, hält er für kontraproduktiv und vergleicht das Vorgehen des | |
| Berliner Senats mit schwarzer Pädagogik: „Wenn man einen Sohn hat, dann | |
| erzieht man ihn doch nicht nur mit Strafen und Befehlen“, sagt er. „Sondern | |
| auch mit Mitgefühl und Zugewandtheit.“ Die lässt der strenge deutsche Vater | |
| Staat derzeit vermissen. | |
| Mohamed El-Said, 31, ist Ingenieur und Bauunternehmer und an diesem Tag | |
| nach Neukölln zum Freitagsgebet gekommen. Er ist in Berlin aufgewachsen, | |
| seine Eltern kamen 1980 nach Deutschland, aber seine Schwiegereltern leben | |
| im Gazastreifen. „Es ist nicht das erste Mal, dass dort Bomben fallen“, | |
| sagt er. „Aber so schlimm wie jetzt war es noch nie. Und es geht einem noch | |
| näher, wen man einen persönlichen Bezug dazu hat“, sagt er, stockt und | |
| ringt kurz mit den Tränen. Das Nachbarhaus der Schwiegereltern sei | |
| bombardiert worden, er habe die Fotos gesehen, seine Frau sei schockiert. | |
| „Man weiß nicht, wohin die Reise geht.“ | |
| Kurz nach dem Angriff der Hamas und den israelischen Vergeltungsschlägen | |
| habe er sein WhatsApp-Profilbild schwarz gefärbt, erzählt Mohamed El-Said. | |
| „Nur weil ich dort Familie habe, sind die israelischen Toten nicht weniger | |
| wert“, betont er. „Aber wo bleibt die Verhältnismäßigkeit?“ Als Untern… | |
| habe er auch jüdische Freunde und Kunden, das sei nie ein Problem gewesen. | |
| Seine Frau arbeite in einem Krankenhaus, aber keiner ihrer Kollegen habe | |
| sie gefragt, wie es ihr geht, oder Anteilnahme gezeigt. Die | |
| Berichterstattung der deutschen Medien empfindet er als einseitig, fast | |
| rund um die Uhr verfolgt er deshalb Al Jazeera. „Ich sehe beides und kann | |
| vergleichen“, sagt er. Der Nachrichtensender aus Katar habe Korrespondenten | |
| vor Ort und sei nah am Geschehen dran. Außerdem gebe es Influencer, die aus | |
| dem Gazastreifen berichten würden, was ohne Strom und Internet aber | |
| mittlerweile schwierig sei. „Es ist traurig, was dort passiert. Die Leute | |
| verabschieden sich im Gazastreifen per WhatsApp von uns.“ Von der Politik | |
| ist er enttäuscht: „Die Politiker springen von Land zu Land, es wird viel | |
| geredet“, sagt er. „Aber es gibt keinen Waffenstillstand und keine | |
| Einigung.“ | |
| Mohamed El-Said wohnt mit seiner Familie außerhalb von Berlin, am | |
| Stadtrand. Am vorvergangenen Sonntag wollte er zu der Kundgebung am | |
| Potsdamer Platz, die als „Mahnwache“ angemeldet worden war. „Ich bin 40 | |
| Minuten gefahren. Kurz bevor ich da war, erhielt ich die Nachricht, dass | |
| die Demo verboten wurde“, sagt er kopfschüttelnd. Die Kundgebung wurde von | |
| der Polizei aufgelöst, nachdem sich statt der erwarteten 50 plötzlich über | |
| Tausend Menschen eingefunden hatten, es kam zu Tumulten, Festnahmen und | |
| hässlichen Bildern. „Ich habe im Ausland immer geprahlt, in Deutschland | |
| herrsche Gerechtigkeit und Ordnung“, sagt Mohamed El-Said. „Jetzt erhalte | |
| ich von Freunden dort lauter spöttische Kommentare dazu: Wo ist jetzt die | |
| Meinungsfreiheit?“ Es gibt sie aber noch: Am Samstag demonstrierten in | |
| Düsseldorf mehrere Tausend Menschen mit Palästina-Flaggen gegen den Krieg | |
| in Gaza, in München und Münster mehrere Hundert. Dabei blieb es nach | |
| Angaben der Polizei weitgehend friedlich. In Berlin ist man dagegen | |
| besonders strikt, dabei leben in der Hauptstadt so viele Palästinenserinnen | |
| und Palästinenser wie fast nirgendwo sonst außerhalb der Nahost-Region: | |
| ungefähr ein Fünftel der schätzungsweise über 200.000, die über ganz | |
| Deutschland verstreut wohnen. „Ich darf in meiner Stadt nicht friedlich auf | |
| die Straße gehen und sagen: Hier geschieht Unrecht“, ärgert sich Mohamed | |
| El-Said. Erst am Samstag wurde in Berlin wieder eine Demonstration | |
| gestattet. Mehrere Tausend Menschen zogen daraufhin unter Rufen wie „Viva | |
| Palästina“ und „Stoppt den Genozid in Gaza“ von Kreuzberg nach Neukölln. | |
| Rigoros reagiert auch die Berliner Bildungsverwaltung. Am vorvergangenen | |
| Freitag verschickte sie ein Schreiben an alle Schulen, indem sie diese | |
| aufforderte, das Tragen des Palästinensertuchs, der Kufiya, das Zeigen von | |
| Aufkleber mit Aufschriften in den Farben Palästinas (Weiß, Rot, Schwarz, | |
| Grün) sowie Ausrufe wie „Free Palestine!“ zu untersagen. All dies könnte | |
| „in der gegenwärtigen Situation“ den Schulfrieden gefährden. Schulen | |
| sollten dagegen disziplinarische Maßnahmen ergreifen und bei Verdacht auf | |
| eine Straftat – etwa Billigung des Terrors der Hamas – unmittelbar die | |
| Polizei rufen. „Was hat denn die Palästina-Fahne mit der Hamas zu tun?“, | |
| fragt der Unternehmer El-Said, der selbst in Neukölln zur Schule gegangen | |
| ist. Denn die grüne Fahne der Hamas gibt es erst [8][seit 1987, ihrem | |
| Gründungsjahr], die Palästina-Fahne ist sehr viel älter. | |
| Gegen die Maßnahme der Berliner Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch | |
| (CDU) wendet sich jetzt ein Netzwerk aus Akademikerinnen und Akademikern, | |
| Eltern und Lernenden. Sie haben eine „Anlaufstelle gegen | |
| anti-palästinensischen Rassismus für Schüler*innen und ihre Eltern“ | |
| gegründet, sie trägt den Namen „Kifaya“ (Arabisch für: „Es reicht!“)… | |
| wollen Schüler*innen und Eltern unterstützen, die aufgrund ihrer | |
| palästinensischen Herkunft von den Maßnahmen betroffen sind, haben dafür | |
| eine Handreichung formuliert und versuchen, solche Fälle zu sammeln. „Wir | |
| fühlen uns allein gelassen und von den herkömmlichen | |
| Antidiskriminierungsstellen nicht gesehen“, sagt eine Akademikerin, die | |
| Mitglied des Netzwerks ist, aber anonym bleiben will. | |
| Auch andere palästinensische Akademikerinnen und Akademiker wollen sich auf | |
| Anfrage nicht namentlich zu der aktuellen Situation äußern, selbst solche, | |
| die gelegentlich in der Öffentlichkeit stehen – aus Angst vor negativen | |
| Konsequenzen. [9][Dem Journalisten Malcolm Ohanwe wurde von Arte und dem | |
| Bayerischen Rundfunk umgehend die Zusammenarbeit aufgekündigt,] nachdem er | |
| am Tag des Angriffs der Hamas einen problematischen Tweet verschickt hatte. | |
| Die palästinensische Schriftstellerin Adania Shibli, die in Berlin lebt, | |
| sollte in dieser Woche auf der Frankfurter Buchmesse einen Preis bekommen, | |
| [10][die Veranstaltung wurde aufgrund von Antisemitismus-Vorwürfen | |
| verschoben]. Manche schüchtert das ein. „Wenn ich ein falsches Wort sage, | |
| bin ich am nächsten Tag meinen Job los“, fürchtet eine. Von | |
| „Lynchmob-Stimmung“ spricht eine andere. | |
| Am Freitagabend sitzt ein alter, bärtiger Mann, der einen | |
| Palästinenserschal trägt, in einem palästinensischen Kulturzentrum auf | |
| einem Plastikstuhl und starrt traurig auf eine Großbildleinwand, auf der | |
| eine Live-Sendung von Al Jazeera läuft. Er ist Palästinenser aus Damaskus, | |
| wie er sagt – „aus dem Jarmuk-Camp, kennen Sie das?“ – und lebt seit 30 | |
| Jahren in Deutschland. Auch er wirkt müde. In der Ecke des Vereins steht | |
| eine große Deutschlandfahne, an den Wänden stehen Regale voller arabischer | |
| Bücher. An einer anderen Wand hängt ein Porträt der | |
| [11][palästinensisch-amerikanischen Journalistin Shirin Abu Akleh], die vor | |
| einem Jahr von der israelischen Armee erschossen wurde, als sie aus dem | |
| Westjordanland berichtete. | |
| Der Mann hat Verwandte in Gaza, im Westjordanland und in Israel, sagt er, | |
| und telefoniere seit Tagen mit ihnen. „Man schläft kaum.“ Seine drei Kinder | |
| studieren allesamt Jura, fügt er hinzu, hätten jetzt aber „Angst vor der | |
| Hetze gegen Palästinenser“. Mit „Judenhass“ hätten sie nichts zu tun, s… | |
| hätten auch jüdische Freunde und seien hier zu Hause. Als Kind habe er von | |
| seiner Mutter gehört, wie man Tür an Tür miteinander gelebt habe, Juden und | |
| Muslime. „Wir sind nicht gegen Israel als Land, sondern gegen die | |
| Besatzung“, sagt er. Ob sein Verein eine Veranstaltung plane, um auf die | |
| Situation in Israel, Gaza und dem Westjordanland zu reagieren? Er zuckt | |
| resigniert mit den Schultern und fragt: „Was nützt es?“ | |
| 22 Oct 2023 | |
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