# taz.de -- Begegnung in Berlin-Neukölln: „Ah, der Imam trifft den Rabbiner�… | |
> Proteste und Krawalle: Der Gazakrieg reicht bis nach Deutschland. Mohamed | |
> Taha Sabri und Jeremy Borovitz wollen zeigen, dass es auch gemeinsam | |
> geht. | |
Bild: Imam Mohamed Taha Sabri und Rabbiner Jeremy Borovitz kommen gemeinsam bei… | |
BERLIN taz | Als Mohamed Taha Sabri und Jeremy Borovitz auf die | |
Genezareth-Kirche in Berlin-Neukölln zugehen, legt der Imam dem Rabbiner | |
seine Hand auf den Arm. Eine vertraute Geste, die genau dem entspricht, was | |
die beiden Männer an diesem Freitagmorgen als Botschaft in die Welt setzen | |
wollen: Ein Muslim und ein Jude können sich auch in diesen Tagen | |
freundschaftlich begegnen. | |
Wenn es um die Auswirkungen des Terrorangriffs der Hamas am 7. Oktober und | |
des darauf folgenden Kriegs in Gaza geht, steht der Berliner Stadtteil | |
Neukölln immer wieder im Zentrum der Aufmerksamkeit. Muslime aus der | |
[1][inzwischen verbotenen Organisation Samidoun] hatten das Massaker im | |
Süden Israels auf der Neuköllner Sonnenallee mit Süßigkeiten gefeiert. | |
Immer wieder kommt es während der andauernden pro-palästinensischen | |
Demonstrationen zu Krawallen und Auseinandersetzungen mit der Polizei. | |
Was der 7. Oktober für die jüdische Gemeinschaft in der Welt bedeute, sei | |
„schwer in Worte zu fassen“, sagt Jeremy Borovitz. Trotzdem wolle er | |
Brücken bauen. Seit fünf Jahren lebt und arbeitet der Rabbiner in Berlin, | |
als Direktor für Jüdisches Leben und Lernen bei der jüdischen Organisation | |
Hillel Deutschland. Er ist einer der [2][Überlebenden des antisemitischen | |
Anschlags auf die Synagoge in Halle] im Jahr 2019. | |
Der gesellschaftliche Zusammenhalt sei nach dem 7. Oktober enorm gefährdet, | |
sagt Mohamed Taha Sabri. Die Dar-Assalam-Moschee, in der er Imam ist, | |
gehört zu den meistbesuchten Moscheegemeinden in Berlin. Sie ist | |
hauptsächlich arabisch geprägt, unter den Betenden sind viele | |
Palästinenser. | |
## Zusammenhalt vorleben | |
Die Gemeinde stand immer wieder im Zentrum von Kontroversen. Im | |
Verfassungsschutz des Landes Berlin wurde sie mehrfach als der | |
Muslimbruderschaft nahestehend genannt, was Sabri immer wieder entschieden | |
zurückwies – und dagegen auch vor Gericht zog. Nur wenige Tage nach dem 7. | |
Oktober [3][distanzierte er sich deutlich von jenen, die den Terror | |
feierten], und rief während seiner Predigt die Gläubigen dazu auf, mit | |
Vernunft und Mitmenschlichkeit zu reagieren. | |
„Als Imam ist es Teil meiner Aufgabe, Bilder des Zusammenhalts | |
herzustellen“, sagt Sabri. Auch, um der eigenen Gemeinde zu zeigen: „Trotz | |
all unserer Unterschiede in Herkunft oder Religion, wir sind alle Teil des | |
Mosaiks dieser Gesellschaft.“ | |
Sabri und Borovitz sitzen inzwischen in einem Raum in der protestantischen | |
Genezarethkirche, neben ihnen Pfarrerin Juni Hoppe und der Neuköllner | |
SPD-Bundestagsabgeordnete Hakan Demir. Er habe sich nach dem 7. Oktober | |
gefragt, was er als Politiker aus Neukölln in der aktuellen Situation tun | |
könne, erzählt Demir. „Dann habe ich Mohamed und Jeremy gefragt: Habt ihr | |
eigentlich eure Handynummern?“ | |
Aus einem ersten Telefonat wurden mehrere Zoom-Calls und persönliche | |
Treffen, informell, mit Tee und Gesprächen. Im März veranstalteten sie | |
während des Ramadan mitten in Neukölln ein interkulturelles Fastenbrechen | |
mit über 200 Muslim*innen, Christ*innen und Jüd*innen. Und es soll mehr | |
solcher Veranstaltungen geben. „Gerade in diesen Zeiten, die ich als | |
spaltend und polarisierend erlebe, ist es wichtig, Zeichen des | |
Zusammenhalts sichtbar zu machen“, sagt Hoppe. | |
## „Keine magischen Worte“ | |
Viele Menschen in seiner Gemeinde hätten Familienangehörige in Gaza | |
verloren, bei vielen spüre er Zorn und Wut, sagt Sabri. Es müsse möglich | |
sein, diesen Gefühlen Raum zu geben, auf Demonstrationen und Kundgebungen. | |
„Das garantiert unsere Demokratie – aber eben auch nur in den Grenzen der | |
Verfassung.“ Wer zu Gewalt oder Hass aufrufe, müsse mit juristischen | |
Konsequenzen rechnen. | |
Das Geschehen in Israel und Gaza mache ihm natürlich Sorge, sagt Borovitz. | |
„Aber ändern kann ich nur etwas an der Situation hier, nicht dort.“ Sie | |
wollen Gesicht zeigen, sagen der Imam und der Rabbi, und zwar gemeinsam – | |
und so auch in ihre jeweiligen Communities hineinwirken. „Die Leute in | |
meiner Gemeinde sehen: Ah, der Imam hat sich wieder mit dem Rabbiner | |
getroffen“, sagt Sabri. „Wir können den Nahost-Konflikt vor Ort in Neuköl… | |
nicht lösen, aber wir können den Zusammenhalt vor Ort stärken.“ | |
„Wir haben keine magischen Worte oder die Antwort für alle Probleme dieser | |
Welt“, sagt Borovitz. „Wir sind nur ein Beispiel für zwei Menschen, deren | |
Heimat Neukölln ist und die in Neukölln bleiben werden.“ Am Ende gehe es | |
darum, dass er ohne Sorge mit seiner Kippah auf der Straße entlanggehen | |
könne. Gemeinsame Aktionen wie die mit Sabri, so hofft er, könnten dazu | |
beitragen. | |
Borovitz hat seit dem 7. Oktober Antisemitismus auf der Straße erlebt. | |
„Aber neulich war ich vor Pessach mit meiner Tochter im Supermarkt – und | |
ein Mann hat mich freundlich begrüßt und mir gesagt, er habe mich vom | |
gemeinsamen Fastenbrechen wiedererkannt“, sagt Borovitz. Um solche | |
Begegnungen gehe es am Ende des Tages. | |
3 May 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Nach-Verboten-von-Hamas-und-Samidoun/!5974953 | |
[2] /Prozess-zum-Nazi-Anschlag-von-Halle/!5709776 | |
[3] /Dar-Assalam-Moschee-in-Berlin-Neukoelln/!5965171 | |
## AUTOREN | |
Dinah Riese | |
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zu glätten. |