# taz.de -- Aktivistinnen über Krieg in Nahost: „Radikal für Frieden sein“ | |
> Das Bündnis Palestinians and Jews for Peace demonstriert in Deutschland | |
> gegen die Gewalt in Nahost. Kristina Bublevskaya und Nadine Migesel | |
> sprechen über ihre Motivation dafür. | |
Bild: Die Osterzeit ist Friedensdemozeit | |
taz: Frau Bublevskaya und Frau Migesel, ihr Bündnis Palestinians and Jews | |
for Peace organisiert seit Oktober gemeinsame Kundgebungen und | |
Demonstrationen. Was fordern Sie? | |
Kristina Bublevskaya: Aus dem Gefühl der Einsamkeit heraus hat sich nach | |
[1][dem 7. Oktober] unser Bündnis Palestinians and Jews for Peace (PJFP) | |
gebildet. Wir hatten das Gefühl, dass es keinen Raum für die | |
Gleichzeitigkeit von unterschiedlichen Gefühlen wie Wut und Trauer, im | |
Kontext [2][des Israel-Palästina-Konflikts] gab. Wir erlebten, dass man | |
sich für ein Team entscheiden musste und dadurch eine Entmenschlichung des | |
anderen Teams stattfand. | |
Darauf wollten wir antworten und dafür steht auch unser Motto | |
„Rehumanzing“: Dafür, dass wir einander zuhören und gucken, woher der | |
Schmerz und die Angst des anderen kommen. Es gibt so viele verschiedene | |
Perspektiven und Realitäten, die alle eigentlich Platz haben sollten. | |
Nadine Migesel: Wir stellen konkrete Forderungen wie „Ceasfire now“ | |
(Waffenstillstand jetzt; d. R.) und „Release of the hostages now“(Befreit | |
die Geiseln jetzt; d. R.). Die Hauptbestrebung unserer Initiative ist vor | |
allem, die Narrative hier in Deutschland zu verändern. Wir wissen, dass | |
nicht von heute auf morgen Friede Freude Eierkuchen in Israel–Palästina | |
entstehen wird. Wir versuchen, das in unserer Macht Stehende zu tun, um | |
hier für einen differenzierten Austausch zu sorgen. Dadurch sollen | |
Multiperspektiven auf diesen Konflikt sichtbar und einseitige Narrative | |
eines konkreten Feindbilds aufgebrochen werden. | |
taz: Was genau meinen Sie mit einseitigen Narrativen? | |
Migesel: Für mich als Deutsche, als Israelin und als Palästinenserin ist es | |
untragbar, dass Deutschland so lange gezögert hat, sich öffentlich für | |
einen Waffenstillstand auszusprechen. Es ist wichtig, dass Israel ein Recht | |
auf Verteidigung hat. Ich finde jedoch diese uneingeschränkte Unterstützung | |
der deutschen Regierung für die israelische Regierung absolut | |
problematisch. | |
Nach der anhaltenden Gewalt und dem Leiden in Gaza ist aus meiner Sicht | |
zwar ein Shift in der deutschen Zivilbevölkerung wahrnehmbar – jedoch nicht | |
bei den Entscheidungsträgern. Gleichzeitig finde es sehr unreflektiert, wie | |
viele Leute in [3][pro-palästinensischen, linken und in migrantischen | |
Communitys] teilweise über den Krieg reden – als hätte der Angriff der | |
Hamas am 7. Oktober gar nicht stattgefunden. | |
Wie bringen Sie unterschiedliche Menschen bei so einem emotionalisierenden | |
Thema zusammen? | |
Bublevskaya: Allein, dass wir existieren, bringt sehr vielen Menschen viel: | |
Wir zeigen, dass es auch anders geht. Es ist möglich, einen Raum zu | |
schaffen, den man sich selber kreiert, wo es Platz für Gleichzeitigkeiten | |
und Empathie für viele gibt. Durch unsere Veranstaltungen und Demos können | |
diejenigen ins Gespräch kommen und sich zusammentun, die sich nicht nur | |
„für eine Seite“ entscheiden wollen. | |
taz: Wie sieht Ihre Arbeit aus? | |
Migesel: Zum einen organisieren wir Demonstrationen und Mahnwachen, zum | |
anderen machen wir beratende Bildungsarbeit. Wir geben Interviews, haben | |
ein Filmevent mitorganisiert oder nehmen an den Trialogen von Jouanna | |
Hassoun und Shai Hoffmann teil, einem Bildungsformat für Schüler:innen. Die | |
größten Herausforderungen ist es, dabei nicht unsere eigenen Kapazitäten | |
überzustrapazieren und unsere mentale Gesundheit zu schützen. Die andere | |
große Herausforderung ist, in der deutschen Öffentlichkeit nicht gecanceled | |
zu werden. Es ist momentan sehr radikal, sich für Frieden einzusetzen. | |
Bublevskaya: Ein wichtiger Teil unserer Arbeit ist, einen Empowerment-Raum | |
zu schaffen. Mittlerweile haben wir eine Routine in unsere Arbeit gebracht: | |
Einmal in der Woche treffen wir uns in einer Runde von etwa 15 Personen, | |
planen und tauschen uns aus. Obwohl wir alle Vollzeitjobs haben, nehmen wir | |
uns die Zeit und gehen meistens gestärkt aus den Meetings. | |
taz: Sie sagen, sich für Frieden einzusetzen, sei aktuell radikal. Haben | |
Sie überhaupt Hoffnung, dass Dinge sich zum Besseren wenden können? | |
Bublevskaya: Mir geben Menschen vor Ort Hoffnung, die selbst mega betroffen | |
sind, die Angehörige verloren haben und sich trotzdem dafür entscheiden, | |
zusammenzukommen und darüber zu reden. Sie zeigen, dass das der einzige | |
nachhaltige Weg für Frieden ist. | |
Migesel: Auf der persönlichen Ebene geben mir mein Team und meine Freunde | |
von PJFP Hoffnung. Hoffnung gibt mir aber auch Projekte wie das von Jouanna | |
Hassoun und Shai Hoffmann und meine jüdisch-israelische beste Freundin. | |
Dass wir noch befreundet sind und miteinander sprechen, ist leider in den | |
aktuellen Zeiten überhaupt nicht selbstverständlich. Ich habe viele | |
Freundschaften verloren und den Kontakt abgebrochen. Auf der strukturellen | |
Ebene habe ich aktuell nicht so viel Hoffnung. Ich wünsche mir für die | |
Zukunft radikalen Mut und radikale Empathie, damit politische | |
Entscheidungen getroffen werden, die auf Menschlichkeit beruhen. | |
31 Mar 2024 | |
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## AUTOREN | |
Maria Disman | |
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