| # taz.de -- Nobelpreisträgerin Katalin Karikó: Impfgegner hassen ihren Trick | |
| > Katalin Karikó hat die Grundlage für Corona-Impfstoffe geschaffen. Dabei | |
| > hat lange niemand an die mRNA geglaubt, trotzdem hat sie weitergemacht. | |
| Bild: Katalin Karikó gab ihren Job bei Biontech auf, um wieder im Labor arbeit… | |
| Anm. d. Red.: Die taz hat Katalin Karikó vor ihrer [1][Ehrung mit dem | |
| Medizin-Nobelpreis] getroffen. Das Portät erschien erstmalig in der | |
| wochentaz am 23. September 2023. | |
| Durch die Adern von 700 Millionen Menschen fließt Katalin Karikós | |
| Forschung. Die ungarische Biochemikerin hat den Grundstein für die | |
| [2][mRNA-Technologie] gelegt. Diese sperrige Abkürzung geht seit der | |
| Corona-Impfung auch Fachfremden problemlos über die Lippen. Dabei | |
| interessierte sich lange keiner für ihre Forschung. „Ich wurde zur | |
| Absagensammlerin von Fördergeldanträgen“, erinnert sich Karikó bei einem | |
| Treffen in Mainz. | |
| Sie sitzt in lockerer Hose, mit Socken in Trekkingsandalen am Esstisch in | |
| einem provisorisch eingerichteten Apartment. Einbauküche, Ikea-Sessel und | |
| Regal erinnern an ein Hotelzimmer. | |
| Die Wohnung gehört einem Freund, sie darf hier auf der Durchreise zwischen | |
| ihrem Wohnort Pennsylvania in den USA und einer Preisverleihung in Taiwan | |
| unterkommen. Reisen wie diese unternimmt die Biochemikerin seit ihrem | |
| Erfolg viele. Sie hält Vorträge und erhält Auszeichnungen. Vielleicht im | |
| Dezember sogar den Nobelpreis, den sie, wie viele finden, mit ihrer | |
| mRNA-Forschung verdient hätte. | |
| „Ich bin 68 und lebe aus dem Koffer. Wer mag schon das Reisen?“, fragt sie. | |
| Ihre Smartwatch leuchtet auf, ihr Laptop pingt. Still ist es um die | |
| Forscherin nie. „Am wohlsten fühle ich mich, wenn ich in Ruhe forschen | |
| kann“, kommentiert Karikó den Trubel. | |
| ## Karikó forscht seit über 40 Jahren an der mRNA | |
| Forschen, das macht sie bereits seit über 40 Jahren. Unter dem Mikroskop | |
| das immergleiche Untersuchungsobjekt: Messenger-Ribonukleinsäure, kurz | |
| mRNA. Das körpereigene Molekül funktioniert wie eine Kopie der [3][DNA], | |
| die Informationen über den Bau von Proteinen bereitstellt. Proteine braucht | |
| man überall im Körper, etwa zur Bildung von Muskeln und Knochen oder im | |
| Abwehrsystem. | |
| „Weil die mRNA auch Baupläne von Viren, Bakterien und Tumorzellen | |
| bereitstellt, kann der Körper mit einer Impfung trainiert werden“, erklärt | |
| Karikó. Dadurch, so hoffte sie schon früh, können sich schon vor einer | |
| tatsächlichen Erkrankung Abwehrzellen entwickeln. „Und wir haben ja | |
| gesehen, dass es klappt“, erinnert Karikó an die Corona-Impfung auf | |
| mRNA-Basis. | |
| Für Karikó hat die mRNA vor allem einen Vorteil: Man kann sie im Labor ganz | |
| einfach verändern und die Baupläne künstlich herstellen. Mit dieser Idee | |
| ist sie die Grundsteinlegerin für die modifizierte mRNA, mit der heute | |
| Corona-Impfstoffe hergestellt werden. Doch im Gegensatz zur [4][DNA, deren | |
| Möglichkeiten etwa zur eindeutigen Bestimmung von Täter*innen] in den | |
| 80ern und 90ern in der Forschung hoch geschätzt wurde, galt die mRNA für | |
| viele lange als zu teuer in der Herstellung und als zu instabil. Karikós | |
| Vorstellungen wurden lange überhört. | |
| ## Von der Stresstheorie zur mRNA-Forschung | |
| Wieso forschte die Biochemikerin also jahrzehntelang an der mRNA weiter? | |
| Weil sie der Stresstheorie von Janós Selya begegnet ist, glaubt Karikó. Ein | |
| Exemplar seines Buchs, im Frischhaltebeutel verpackt, legt sie bei dem | |
| Besuch in Mainz auf den Tisch. Auf ihren Reisen durch die Welt nimmt sie es | |
| immer mit. Selya, selbst Biochemiker, beschrieb erstmals die Auswirkungen | |
| von Stress auf den Menschen. | |
| Er betonte, dass Stress nicht nur negative Auswirkungen haben kann, sondern | |
| auch positive. Er nannte diesen positiven Stress „Eustress“ und den | |
| negativen Stress „Distress“. Eustress kann motivierend wirken und das | |
| individuelle Wachstum und die Leistung fördern, während Distress zu | |
| gesundheitlichen Problemen führen kann, wenn er über einen längeren | |
| Zeitraum anhält, lernte Karikó beim Lesen. Sie fokussierte sich von nun an | |
| auf den Eustress, der sie im Labor antreibt. | |
| Die Vermeidung von Distress im Forscherinnenalltag wird nach der Lektüre | |
| zu ihrer Lebensphilosophie. Wie das genau funktioniert? Zum Beispiel habe | |
| sie sich bei ihrem ungarischen Professor im Nachhinein bedankt, dass er sie | |
| wegen ausbleibender Ergebnisse rausgeschmissen habe. Vielleicht hätte sie | |
| sonst nicht den Mut gehabt, in die USA auszuwandern. | |
| ## Sie will ein Vorbild sein | |
| Ihre Beharrlichkeit kommt womöglich auch von ihrem frühen Willen, in die | |
| Wissenschaft zu gehen. Mit 14 wurde sie Drittbeste im landesweiten | |
| Biologie-Wettbewerb und entschied sich, Forscherin zu werden. Vorbilder | |
| hatte sie damals keine, weshalb sie heute eines für Kinder sein will. | |
| Karikó studiert Biologie, promoviert und beginnt mit 22 Jahren ihren ersten | |
| Job an der Universität der Wissenschaften in Ungarn. Sie bekommt ein | |
| kleines [5][Labor] und darf endlich das tun, was sie so gern macht: den | |
| ganzen Tag forschen. Ihre Anstellung endet jedoch unfreiwillig, wie sie | |
| erzählt. Schon damals forschte sie an mRNA, aber ihre Ideen waren womöglich | |
| zu kühn und erzielten schlichtweg keine Ergebnisse. Als sie 1985 aus dem | |
| Förderprogramm geschmissen wird, wandert sie in die USA aus. Mit dabei ihre | |
| kleine Tochter und ihr Ehemann, und im Gepäck ein wenig Geld. | |
| Aber auch der Kontinentwechsel brachte nicht mehr Geld für die Forschung. | |
| Die fehlende Finanzierung zeigte das fehlende Interesse an der | |
| mRNA-Technologie. Seit der Pandemie ist das anders, Konzerne wie Biontech | |
| und Moderna stecken Millionen in die Erforschung von mRNA. | |
| ## Erste Versuche führten zu Entzündungsreaktionen | |
| Damals, in den USA der 90er Jahre, klammerte sich Karikó an die kleinen | |
| Erfolge: „Ich habe gemerkt, dass ich immer mehr unterschiedliche mRNA | |
| herstellen konnte“, erinnert sie sich. Dann kam die erste Impfung bei | |
| Mäusen, die erste Implantation von mRNA in das Bein eines britischen | |
| Forschers. | |
| Aber Karikó hatte ein Problem. Die mRNA, die sie damals im Labor herstellt | |
| und verimpfen will, ruft im Körper schwere Entzündungsreaktionen hervor. | |
| „Für mich war das verheerend“, sagt sie, den Kopf in die Hände gestützt. | |
| „Zu diesem Zeitpunkt sah ich zehn Jahre meiner Forschung unbrauchbar | |
| werden.“ Hat sie in diesem Moment ans Aufgeben gedacht? Nein. „Wenn ich mal | |
| nicht weiterwusste, habe ich meine Kollegen gefragt.“ | |
| „Es gab diese Begegnung am Drucker“, erzählt Karikó und meint damit ihr | |
| erstes Zusammentreffen mit dem Immunologen Drew Weissman im Jahr 1998. Als | |
| Karikó ihm erzählte, dass sie in der Lage sei, jegliche Form der mRNA | |
| herzustellen, sei er überzeugt gewesen und verwendete Karikós Technologie | |
| in seiner Impfstoffforschung. Sieben Jahre später, im Jahr 2005, gelang es | |
| ihnen, eine mRNA herzustellen, die keine große Abwehrreaktion im Körper | |
| hervorgerufen hat. | |
| ## Es gibt große Hoffnung in der Krebstherapie | |
| In der Öffentlichkeit fand dieser wissenschaftliche Durchbruch zunächst | |
| wenig Beachtung. Derrick Rossi, ein US-amerikanischer Geschäftsmann, | |
| erkannte aber das Potenzial der Technologie. Er gründete das Unternehmen | |
| Moderna – kurz für modifizierte RNA – und entwickelte das Verfahren weiter. | |
| Ein paar Jahre später wurden die [6][Biontech]-Gründer [7][Uğur Şahin und | |
| Özlem Türeci] auf Karikó aufmerksam. Die Biochemikerin wurde zu ihrer | |
| Beraterin, denn das Unternehmen führte damals als einziges Versuche am | |
| Menschen durch. Knapp zehn Jahre später stellte Biontech in der | |
| Coronapandemie Milliarden Impfdosen mit Karikós mRNA-Technologie bereit. | |
| Ende 2022 hat sie das Unternehmen verlassen, um sich wieder der Forschung | |
| zuzuwenden. Denn in der Therapie mit mRNA sieht die Biochemikerin noch | |
| zahlreiche Möglichkeiten. Und jetzt sind das Geld und die Aufmerksamkeit | |
| für die Technologie vorhanden. Gerade in der Krebstherapie gibt es große | |
| Hoffnungen. | |
| Jetzt, wo die mRNA-Forschung so schnell voranschreitet, fällt es Karikó | |
| zwischen all den Terminen schwer, auf dem neuesten Stand zu bleiben, | |
| erzählt sie. Im Flugzeug zum nächsten Vortrag oder der nächsten | |
| Preisverleihung liest sie deshalb die neuesten Studien. Manchmal bekommt | |
| Karikó aber auch Einladungen, auf die sie keine Lust hat. Zum Besuch im | |
| Vatikan musste ihre Tochter sie erst überreden. Auf ihrem Laptop zeigt sie | |
| dann aber ein Foto, auf dem ihr Enkel gerade vom Papst gesegnet wird. | |
| 22 Sep 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Forschung-zur-mRNA-Technologie/!5964315 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ann-Kathrin Leclere | |
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