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# taz.de -- Den SUVs die Ventile aufdrehen: Linsen oder Couscous
> Es gibt viele Argumente, ein großes Auto zu fahren. In der Stadt
> überzeugt keins. The Tyre Extinguishers haben eine alte Aktionsform neu
> aufgelegt.
Bild: Klimaschutz ganz praktisch: Platter Reifen mit Bekennerschreiben bei eine…
Die Luft ist raus. Ein kleine, schleichende Untergrundbewegung hat [1][am
Wochenende mal wieder zugeschlagen] und an Ventilen dicker Pkw gedreht. Bei
der Berliner Polizei gingen Anzeigen zu 88 Autos ein, die von ihren
Besitzern mit platten Reifen vorgefunden wurden. Die Dunkelziffer dürfte
höher liegen.
Dahinter stecken [2][laut Selbstbezichtigung] radikale Klimaaktivist:innen,
die in Berlin sogar 200 SUVs entwaffnet haben wollen „[3][aus Protest gegen
die Internationale Automobilausstellung (IAA) in München].“ Und sie sind
keineswegs nur im Mutterland des Automobils unterwegs. The Tyre
Extinguishers (die Reifenlöscher) nennt sich die Gruppe, die weltweit
Platten meldet – bis hinunter nach Australien.
Und ja, [4][autogenervten Radfahrern] zaubern solche Meldungen ein Lächeln
ins Gesicht.
Denn eins steht ja unumstößlich fest. Autofahrer sind blöd. Und das gilt
natürlich auch – wie man nach einem Blick hinter die SUV-Lenker dieser
Stadt feststellen muss – für die Autofahrerinnen, die mit den aufgeblasenen
Gefährten durch die City brummen. So oft, wie die sich die Vorfahrt nehmen,
weil sie an das Recht des PS-Stärkeren glauben. So oft, wie die sich
irgendwohin stellen, weil da gerade so schön Platz ist und man ja
garantiert niemanden stört – außer vielleicht die Kinderwagen schiebenden
und Rollstuhl fahrenden Mitbürger:innen. Ach echt, da war ein abgesenkter
Bordstein? Hab ich gar nicht gesehen.
## Tendenz steigend
Wobei man ehrlicherweise hinzufügen muss, dass Autofahrer:innen nicht
blöder sind als Radfahrer:innen oder Fußgänger:innen. Dummerweise
potenziert sich ihr Nervfaktor aber durch die Größe ihres Gefährts. Wer mit
dem Rad unterwegs ist, nimmt etwa 1,5 [5][Quadratmeter des Straßenlandes]
in Anspruch. Ein:e SUV-Hocker:in hingegen beschlagnahmt locker 8 bis 10
Quadratmeter, also in etwa das Sechsfache, Tendenz steigend. Ihr Auto ist
gefühlt 10-mal lauter. Es wiegt 100-mal schwerer. Und verbraucht unendlich
mal mehr Sprit. Aufgeblasener geht es kaum noch.
Natürlich gilt auch im Verkehr die alte Parole: Freiheit ist immer auch die
Freiheit der Anderslenkenden. Aber das heißt ja eben nicht, wie FDPler das
interpretieren würden, dass Motorisierte alles dürfen. Erst recht nicht,
[6][wenn das Klima gerade weltweit baden geh]t.
Darum liegt es auf der Hand, dass Klimaaktivist:innen die alte Idee
des Luftablassens recyceln. Ihre Technik ist simpel. Sie schrauben Ventile
auf, stecken ein Steinchen oder ähnliches in den Verschluss, der den Nupsi
niederdrückt – und dann: Pfffffft.
Neu ist dieses Vorgehen keineswegs. Schon 2007 erregte ein Trupp von
Ventilaufschraubern die Berliner Öffentlichkeit, die per Handzettel hinter
dem Scheibenwischer die SUV-Eigner „auf die möglichen Auswirkungen der
Nutzung hochmotorisierter Autos für den Klimawandel hinwiesen“.
## Fragen Sie bitte Ihren Anwalt
Neu ist diesmal nur, dass sich die heutigen Autoschrauber international
vernetzen und i[7][n einem globalen Englisch kommunizieren]. Zudem
empfehlen sie auf ihrer Webseite die Verwendung von Linsen oder Couscous,
um das Ventil offenzuhalten. Merke: Zeitgemäßer Widerstand muss vegan sein.
Im Jahr 2007 ließ die Polizei den Staatsschutz nach den
Plattfußverursacher:innen fahnden. [8][Drei wurden ertappt] und zwei
Jahre später [9][zu Geldbußen verurteilt]. Drum muss man hier deutlich
darauf hinweisen: Auch wenn die Luftablasser weder Auto noch Reifen an sich
beschädigen, wird die Aktion von Gerichten gemeinhin als Sachbeschädigung
gewertet. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie bitte Ihren Anwalt.
Hinzu kommt natürlich die Standardkritik der Meckernden: Was ist mit denen,
die auf ein Auto im Allgemeinen und einen SUV im Speziellen angewiesen
sind? Klar, wer sich so tief in die Pampa verflüchtigt hat, dass man dort –
auch wegen der wachsenden Zahl von Starkregengüssen – eigentlich nur noch
mit dem Trecker vorankommt, der soll sich gern mit einem SUV glücklich
brummen. Und was ist mit der hochschwangeren Großstädterin, die ihren
humpelnden Schwiegervater samt drei Kleinkindern zum Biomarkt fahren muss?
Oder gar in die Notaufnahme?
Ach, die soll, falls ihr Sportnutzfahrzeug aus welchen Gründen auch immer
nicht fahren kann, einfach ein Taxi benutzen. Das ist zu teuer? Kleiner
Tipp: Wer erst gar kein Auto hat, spart so viel Geld, dass man sich für
jede eilige Fahrt einen Chauffeur leisten kann. Zudem spart das auch noch
Zeit und Nerven, die sonst für die Parkplatzsuche draufgehen.
Erst mal tief durchatmen und dann die Luft rauslassen. Das tut gut. Nicht
nur im übertragenen Sinne.
Und noch etwas macht den Charme dieser Luftikusse aus. Ihre Methode müsste
sogar der FDP gefallen. Denn sie ist technologieoffen. Man kann mit ihr
locker auch [10][E-Fuel-] oder E-Autos aus dem Verkehr ziehen, die zwar
weniger Benzin, aber genauso viel Raum brauchen. Und ganz zur Not sogar mal
ein nervig geparktes Lastenrad.
12 Sep 2023
## LINKS
[1] /Klimaschuetzer-Aktion-in-Berlins-Norden/!5959971
[2] https://twitter.com/T_Extinguishers/status/1700889317185622362
[3] /Protest-gegen-Automobilausstellung-IAA/!5956556
[4] /Mehr-Verletzte-und-Tote-im-Verkehr/!5943694
[5] /Verkehrswende-in-Hamburg/!5853641
[6] /Ueberschwemmungen-in-Libyen/!5956734
[7] https://twitter.com/T_Extinguishers
[8] /Luftschlag/!5194263
[9] /Prozess-gegen-Luftablasser/!5154917
[10] /Steuerverguenstigungen-fuer-E-Fuels/!5957680
## AUTOREN
Gereon Asmuth
## TAGS
Schwerpunkt Radfahren in Berlin
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Autoverkehr
SUV
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Parkplatz
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Verkehrspolitik
Lesestück Recherche und Reportage
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