# taz.de -- Generaldebatte im Bundestag: Scholz streckt Merz die Hand aus | |
> Kaum hat man sich an die Augenklappe gewöhnt, macht der Kanzler einen | |
> neuen Zug. Er bietet der Union einen „Deutschlandpakt“ an. | |
Bild: Lindner, Habeck und Scholz bei der Haushaltsdebatte | |
BERLIN taz | Es passiert selten, dass Olaf Scholz die Unionsfraktion im | |
Bundestag an die Wand redet. Aber in der Generaldebatte am Mittwoch gelang | |
ihm das. Nicht mit gezielten Attacken auf die Union und deren Fraktionschef | |
Friedrich Merz – ja auch die hatte der Kanzler in petto. Sondern indem er | |
Merz und der Unionsfraktion die Hand ausstreckte. | |
Scholz lud die größte Oppositionsfraktion ein, [1][einen „Deutschlandpakt“ | |
zu schließen]. „Lassen Sie uns unsere Kräfte bündeln, damit Deutschland | |
schneller, moderner und sicherer wird“, wandte sich Scholz im Bundestag an | |
die Unionsbank. Es gehe um Arbeit im Maschinenraum, damit der Tanker | |
Deutschland auf Touren komme. | |
Konkret nannte Scholz den Ausbau der erneuerbaren Energien, den Ausbau der | |
Netze und den Abbau von Bürokratie, die sich wie Mehltau über das Land | |
gelegt habe. Scholz will mehr Leute in den Planungsbehörden und schnellere, | |
digitale Genehmigungsverfahren, er will Erleichterungen beim Wohnungsbau, | |
für Schwertransporte und beim Schienenausbau. Um diese Pläne umzusetzen und | |
die Verwaltung auf Touren zu bringen, braucht Scholz die Kommunen und die | |
Länder. Und dort sitzen oft Unions-Ministerpräsident:innen und | |
Bürgermeister:innen am Ruder. | |
Das ist die eine Seite. Andererseits ist es auch ein Pakt gegen die AfD. | |
Die Völkischen legen in Umfragen gefährlich zu und führen sie sogar derzeit | |
an in den drei Bundesländern Thüringen, Sachsen und Brandenburg, wo im | |
kommenden Jahr gewählt wird. Als Abbruchkommando für Deutschland | |
bezeichnete der Kanzler die Fraktion ganz rechts außen im Bundestag, mit | |
ihren Forderungen nach neuen Schlagbäumen in Europa und nach Sozialabbau | |
betreibe sie mutwillige Wohlstandsvernichtung. Die Botschaft: Der | |
eigentliche Gegner sitzt ganz rechts. | |
Friedrich Merz war von dieser demonstrativen Umarmung sichtlich überrascht | |
und musste sich erst mal an der Wange kratzen. Die Zwischenrufe von der | |
Unionsbank erstarben. Der Kanzler hatte sie aus dem Takt gebracht. Denn die | |
Dramaturgie der Generaldebatte war zunächst dem üblichen Muster von Attacke | |
und Konter gefolgt. | |
## Merz aus dem Tritt | |
Merz nutzte seine Rede zum Generalangriff auf die Ampelkoalition, als wäre | |
er noch im Bierzelt in Gillamoos und nicht im Plenarsaal des Bundestags. | |
Scholz habe eine „Zeitenwende“ versprochen, so der CDU-Chef, aber das seien | |
leere Worte geblieben. [2][Der Haushalt der Ampel] werde „der | |
Herausforderung nicht gerecht“. Zwar sei man sich mit der Regierung in der | |
Bewertung des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs auf die Ukraine einig, | |
und das Versprechen, den Verteidigungsetat über ein Sondervermögen auf zwei | |
Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen, halte man für richtig. Aber | |
dieses Versprechen habe die Ampelregierung gebrochen. Das ungeliebte Kind | |
Bundeswehr bleibe „strukturell unterfinanziert“. | |
Mehrfach versuchte Merz so einen Keil in die Reihen der Regierung zu | |
treiben. Innenministerin Faeser habe sich krankgemeldet und dpa-Interviews | |
gegeben. Der große Verlierer sei Boris Pistorius, der | |
Verteidigungsminister. Die Grünen würden bestreiten, dass „illegale | |
Migration“ überhaupt ein Problem sei. | |
Dann wieder buhlte Merz um Lindner, indem er für eine einheitliche, | |
niedrige Unternehmenssteuer und die Abschaffung des Solidaritätszuschlags | |
warb. SPD und Grüne wollten den „betreuenden, bevormundenden, alles | |
finanzierenden Staat“, einen „paternalistischen Staat“. Sie würden „mit | |
Klassenkampf-Rhetorik“ die Leistungsträger:innen besteuern wollen und | |
setzten auf Verbote. | |
Erwartbar platzierte Merz in seiner Rede gezielte Seitenhiebe gegen das | |
Gebäudeenergiegesetz, die Kindergrundsicherung und die Rentenpläne der | |
Ampelregierung. Ältere Beschäftigte bräuchten einen „Anreiz“, um länger… | |
arbeiten. Scholz sei schuld an der schlechten Stimmung im Land, die CDU | |
könne das besser: „Wir wollen den Menschen, den Unternehmen und vor allem | |
den Ingenieurinnen und Ingenieuren etwas zutrauen.“ Es klang wie eine | |
einstudierte Wahlkampfrede, nicht wie die Gegenrede zum Haushaltsentwurf | |
der Bundesregierung. | |
## Noch mehr Geld für die Bundeswehr | |
Dass er das Nato-Ziel aus den Augen verloren habe, wollte Scholz so nicht | |
auf sich sitzen lassen. Er bekräftigte es sogar – und stellte in Aussicht, | |
dass die Bundeswehr künftig zusätzlich 25 bis 30 Milliarden Euro aus dem | |
Haushalt brauchen werde. Der Beifall bei Grünen und SPD hielt sich in | |
Grenzen. Es ist arithmetisch absehbar, dass ein deutliches Plus für den | |
Verteidigungsminister alle anderen Ressortkolleg:innen [3][zu weiteren | |
Kürzungen zwingt]. Denn eine Lockerung der Schuldenbremse oder | |
Steuererhöhungen für Spitzenverdiener:innen und Vermögende scheitern | |
an der FDP. | |
Zuletzt hatte es zwischen den Ampelpartnern hörbar geknirscht. In den | |
lauten Debatten um die Finanzierung der Kindergrundsicherung, das | |
Heizungsgesetz oder um einen subventionierten Industriestrompreis war auch | |
immer wieder Kritik an der von Linder verordneten und von Scholz | |
unterstützten Haushaltsdisziplin aufgeblitzt. Und so erinnerte | |
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich am Mittwoch denn auch daran, dass die | |
Spitzen in der Koalition in den letzten Monaten kein gutes Bild abgegeben | |
hätten. | |
Was Merz kaum erwähnte, war die schwierige wirtschaftliche Lage in | |
Deutschland. Dabei hätte man das eigentlich von dem selbsternannten | |
Wirtschaftsfachmann und einstigen | |
Blackrock-Deutschland-Aufsichtsratsvorsitzenden erwartet. Auch Scholz | |
erwähnte die derzeitige Stagnation nur beiläufig. „Klar, keiner kann | |
zufrieden sein, wenn die Wirtschaft nicht wächst.“ Aber das beste | |
Wachstumsprogramm sei es, wenn Betriebe nicht mehr drei Jahre, sondern drei | |
Monate auf Genehmigungen warten müssten. Besser als eine Dauersubvention | |
jedenfalls. | |
Das war ein Seitenhieb auf den sogenannten Brückenstrompreis, wie der | |
subventionierte Industriestrompreis auch genannt wird, über den es | |
ebenfalls Zwist gibt. Die FDP ist dagegen, SPD-Fraktion und der grüne | |
Wirtschaftsminister Robert Habeck wollen ihn. Genauso wie die | |
Ministerpräsident:innen der 16 Bundesländer, die ihre | |
Ministerpräsidentenkonferenz an diesem Mittwoch extra nach Brüssel verlegt | |
haben, um bei der Kommission für eine solche Subvention zu werben. Auch um | |
sie muss sich Scholz noch bemühen, wenn sein Deutschlandpakt Wirklichkeit | |
werden soll. | |
6 Sep 2023 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Daniel Bax | |
Anna Lehmann | |
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