| # taz.de -- Einigung bei Kindergrundsicherung: Kleinste gemeinsame Sicherung | |
| > Nach zähem Ringen hat sich die Ampelkoalition auf die | |
| > Kindergrundsicherung geeinigt. Sozialverbände zeigen sich vom Ergebnis | |
| > enttäuscht. | |
| Bild: Am Ende zumindest ein Kompromiss: Finanzminister Lindner und Familienmini… | |
| BERLIN taz | Nach monatelangen Verhandlungen hat sich die Bundesregierung | |
| doch noch verständigt: Die Kindergrundsicherung kommt. [1][2,4 | |
| Milliarden] Euro sind dafür im nächsten Haushalt vorgesehen. Das ist | |
| deutlich weniger Geld als die 12 Milliarden Euro, die | |
| Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) ursprünglich angemeldet hatte. | |
| Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hingegen kann zufrieden sein. | |
| Er nannte als haushälterischen „Merkposten“ für die Kindergrundsicherung | |
| im Vorfeld 2 Milliarden Euro. | |
| „Nach Jahrzehnten ist es diese Bundesregierung, die eine Antwort auf | |
| Kinderarmut gefunden hat“, sagte Paus dennoch am Montagmittag in der | |
| Bundespressekonferenz. „Es ist kein Geheimnis, dass ich [2][im Einklang mit | |
| vielen Wissenschaftlern] einen noch größeren Schritt erhofft hätte. Die | |
| Kindergrundsicherung ist eine kluge Investition in die Zukunft unseres | |
| Landes. Deswegen bin ich mit der Einigung zufrieden. Wir haben die Ampel | |
| endlich auf Grün gestellt.“ | |
| „Ich bin heute auch zufrieden. Ich glaube, es ist ein gutes Ergebnis“, so | |
| Christian Lindner. „Die Gespräche habe ich als konstruktiv empfunden. Die | |
| haben sich aus der Komplexität der Materie ergeben und nicht aus | |
| Kontroversen.“ Sozialminister Hubertus Heil (SPD) sagte zur Einigung: „Es | |
| haben die Kinder in Deutschland gewonnen, es ist ein großer Fortschritt | |
| erwirkt worden.“ | |
| Mit der Kindergrundsicherung will die Ampel Leistungen bündeln und | |
| Bürokratie abbauen, ab dem 1. Januar 2025 soll sie in Kraft treten. Dafür | |
| ist ein Grundbetrag vorgesehen, das heutige Kindergeld. Sowie ein | |
| Zusatzbetrag, den Menschen beantragen können, die [3][Kinderzuschlag], | |
| Kinderfreibetrag und Bürgergeld bekommen. Darüber sollen Berechtigte | |
| künftig informiert werden. Eigentlich war auch vorgesehen, dass das | |
| Bildungs- und Teilhabepaket von 15 Euro mit in die Kindergrundsicherung | |
| fließt. Damit werden etwa Vereinsgebühren für Sportkurse und | |
| Musikunterricht übernommen. Diese sollen jedoch weiterhin einzeln | |
| beantragt werden. | |
| ## Lindner will fördern und fordern | |
| Die 2,4 Milliarden Euro werden für die Zusammenführung der Leistungen in | |
| Anspruch genommen werden. Zudem sieht die Koalition vor, dass | |
| Alleinerziehenden in Sozialhilfe und Bürgergeld weniger Unterhaltsvorschuss | |
| angerechnet wird. Bislang wird dieser immer angerechnet, künftig sollen es | |
| nur noch 45 bei niedrigen Einkommen bis 75 Prozent bei hohen Einkommen | |
| sein. Dies gilt allerdings nur bedingungslos, solange das Kind noch nicht | |
| in die Schule geht. Danach müssen Alleinerziehende mindestens 600 Euro im | |
| Monat Einkommen vorweisen. Minijobs gelten nicht. „Mir war wichtig, dass | |
| wir das Prinzip Fördern und Fordern erhalten bleibt“, sagte Lindner in der | |
| Bundespressekonferenz. | |
| Das Statistische Bundesamt rechnet zurzeit das soziokulturelle | |
| Existenzminimum neu aus. „Kinder, die im Kinderzuschlag sind, werden | |
| dadurch von höheren Regelsätzen profitieren“, so Paus. Dabei geht die | |
| Koalition davon aus, dass zunächst etwa 47 bis 48 Prozent der | |
| Leistungsberechtigten den Zusatzbetrag beanspruchen. | |
| Laut Paus könnte es bis 2028 zu einer Steigerung von 10 Prozent pro Jahr | |
| kommen, das wäre ein Posten von 6 Milliarden Euro im Haushalt. | |
| Dass die Koalition sich überhaupt auf die Kindergrundsicherung einigen | |
| würde, war wohl zwischenzeitlich ungewiss: „Es war tatsächlich so, dass es | |
| ein hartes Ringen um die Kindergrundsicherung gab und sie zwischenzeitlich | |
| auch auf der Kippe stand. Letztlich sind aber alle Beteiligten mit dem | |
| gefundenden Kompromiss zufrieden“, erfuhr die taz aus Regierungskreisen. | |
| ## Enttäuschung auch bei den Grünen | |
| „Es ist kein Geheimnis, dass wir uns als Bündnisgrüne eine stärkere | |
| Leistungsanhebung gewünscht hätten“, heißt es in einem | |
| [4][Pressestatement] der Grünen-Bundestagsfraktion. „Im parlamentarischen | |
| Verfahren werden wir nun sorgsam um wichtige Detailfragen ringen.“ | |
| In der Grünen Jugend reagiert man mit Kritik auf die Einigung: „Nein, diese | |
| Kindergrundsicherung holt viele Kinder nicht aus der Armut“, [5][schrieb | |
| die Bundessprecherin Sarah-Lee Heinrich] auf X, vormals Twitter. Auch Heidi | |
| Reichinnek, familienpolitische Sprecherin der Linkspartei, zeigt sich | |
| enttäuscht: „Mit dem heutigen Tag ist klar: Es gibt nicht einmal eine | |
| Kindergrundsicherung light, sondern maximal eine Verwaltungsreform“, so | |
| Reichinnek zur taz. „Keine nennenswerten Leistungserhöhungen und als | |
| Zielvorgabe für 2025 nicht einmal eine um 10 Prozentpunkte [6][verbesserte | |
| Ausschöpfung] beim Kinderzuschlag. So lässt sich Kinderarmut nicht | |
| bekämpfen.“ | |
| Silvia Breher, familienpolitische Sprecherin der CDU, bemängelt die | |
| Eckpunkte der Koalition als „Mogelpackung“: „Das Papier und die | |
| vorgestellten Eckwerte bleiben vage“, sagte sie der Nachrichtenagentur AFP. | |
| Kinderschutzbund-Präsidentin Sabine Andresen ist ebenfalls enttäuscht: | |
| „Das ist keine Kindergrundsicherung“, so Andresen in einem Pressestatement. | |
| „Im weiteren Prozess werden wir sehr genau beobachten, dass die | |
| Bundesregierung zumindest ihr Versprechen hält, einzelne Kinder nicht | |
| schlechter zu stellen als vor der Reform.“ Die Diakonie Deutschland | |
| begrüßt, dass mit der Auflösung der politischen Blockade „erste Schritte | |
| zur Kindergrundsicherung möglich werden. Allerdings erfolgt entgegen den | |
| Ankündigungen im Koalitionsvertrag keine systematische Überprüfung des | |
| Existenzminimums“, so eine Sprecherin der Diakonie zur taz. | |
| Auch Ulrich Schneider vom Paritätischen Gesamtverband kritsiert die | |
| Berechnung des Existenzminimums als unzureichend: „Die Regelsätze sind | |
| nach Berechnungen des Paritätischen Gesamtverbandes derzeit um 44 Prozent | |
| zu niedrig, um das Existenzminimum sicherzustellen. Sollten arme Kinder am | |
| Ende nicht mehr Geld bekommen, bleiben sie arme Kinder. Genau das aber ist | |
| zu befürchten.“ | |
| 28 Aug 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Einigung-bei-Kindergrundsicherung/!5956191 | |
| [2] /Kindergrundsicherung-und-Armut/!5952704 | |
| [3] /Arme-Familien-in-Deutschland/!5955810 | |
| [4] https://www.gruene-bundestag.de/presse/pressemitteilungen/die-neue-kindergr… | |
| [5] https://twitter.com/xsarahleee/status/1696103762689941609?t=W3WpdbcoqfBk7Fr… | |
| [6] /Kinderarmut-in-Deutschland/!5925664 | |
| ## AUTOREN | |
| Nicole Opitz | |
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