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# taz.de -- Experte über die Lage der Wagner-Gruppe: „Prigoschin ist nicht z…
> Die Wagner-Gruppe hat ihre Führung verloren. John Lechner erklärt, wie es
> weitergeht und warum Regierungen in Afrika so tun, als sei nichts
> passiert.
Bild: Russische Söldner im Norden Malis, aber Malis Regierung weiß von nichts
taz: Herr Lechner, Sie sind ein ausgewiesener Wagner-Experte und schreiben
ein Buch über Söldnerfirmen. Dazu stehen Sie mit zahlreichen Wagner-Leuten
im direkten Kontakt. Was sagen diese nun zum mutmaßlichen Tod ihres Chefs?
John Lechner: Es herrschte auch in den Wagner-Kreisen zunächst Verwirrung
darüber, was eigentlich genau passiert ist. Alle warten nun erst einmal ab,
wie sich die noch verbliebene Wagner-Führung äußern wird. Die übrigen
Kommandeure werden sich zu einer Art Kriegsrat zusammenschließen, um über
die nächsten Schritte zu diskutieren. Ich warte auf deren Ergebnisse.
Außerdem müssen wir abwarten, wie sich die Beziehung zwischen Wagner und
bestimmten russischen Institutionen wie dem Verteidigungsministerium
entwickeln.
Mit im Flugzeug saßen weitere hochrangige Funktionäre von Wagner, die
mutmaßlich alle tot sind. Kann man sagen, dass die Wagner-Gruppe quasi
enthauptet und damit nicht mehr funktionstüchtig ist?
Prigoschin und Utkin sind offensichtlich ein enormer Verlust für die
Organisation. Gerade was das Charisma betrifft, wenn man das so ausdrücken
darf. Vor allem Prigoschin ist nicht zu ersetzen, was den Führungsstil
anbelangt. Aber zur Funktionsfähigkeit der Firma kann man sagen: Es gibt
durchaus andere Kommandeure, die wahrscheinlich größeres militärisches
Geschick haben als Utkin, der bislang Militärführer und auch Gründer von
Wagner war. Aber das bedeutet nicht, dass einer von ihnen unbedingt dazu
geeignet ist, die gesamte Organisation zu leiten.
Glauben Sie, dass die Wagner-Struktur selbst in der Lage ist, diesen
dysfunktionalen Moment zu überwinden?
Das wäre möglich, aber hängt von einer Reihe von Faktoren ab; nicht zuletzt
davon, wie Wagner in Zukunft mit dem Staat zusammenarbeitet. Es gibt ja die
Theorie: Wenn Prigoschin und Utkin jetzt weg sind, könnten die Beziehungen
zwischen Wagner und dem Verteidigungsministerium mit weniger Reibung
verlaufen. Doch das Problem für uns ist dabei, dass es sehr von
persönlichen Beziehungen abhängt, in die wir wenig Einblick haben. Ich
meine, [1][Prigoschins Beziehung zum Verteidigungsministerium war ziemlich
klar]. Er hat es ständig auf Telegram gepostet. Aber wie sich die
verbliebene Wagner-Führung nun genau aufstellt, bleibt meiner Meinung nach
abzuwarten.
Wenn wir Wagners Engagement in der Zentralafrikanischen Republik oder
anderen afrikanischen Länder beleuchten: Wird dies alles wie gewohnt
weitergehen oder was erwarten Sie?
Ich denke, wir werden in der unmittelbaren Zukunft zunächst einmal
Kontinuität sehen. Aus mehreren Gründen: Dass nämlich die [2][Wagner-Gruppe
da ist, wo sie ist, und zwar in Afrika], liegt vor allem an der Tatsache,
dass es dem russischen Staat an Kapazität und Interesse mangelt, offiziell
Truppen auf dem afrikanischen Kontinent zu stationieren. Russland ist weder
logistisch noch ressourcenmäßig in der Lage, sein Militär nach Afrika zu
schicken. Außerdem gibt es derzeit einfach keine andere Söldnerfirma, die
Einsätze in Afrika in diesem Umfang stemmen könnte. Zumindest sehe ich
derzeit keine Firma, die näher am Verteidigungsministerium ist und einfach
an die Stelle der Wagner-Gruppe treten könnte. Hinzu kommt, dass [3][Wagner
beispielsweise in der Zentralafrikanischen Republik] über ein umfangreiches
institutionelles Wissen und Expertise in Bezug auf Afrika verfügt. Das ist
notwendig, um diese Operationen am Laufen zu halten.
Erst vor wenigen Wochen hat sich Russland auf dem großen
Russland-Afrika-Gipfel als Partner Afrikas angeboten. In dieser Hinsicht
spielt Wagner doch auch eine unersetzbare Rolle, oder?
Es gibt durchaus viele Leute innerhalb und außerhalb von Wagner, die diese
Operationen auch gerne weiterführen würden – nicht zuletzt, weil Russland
bei diesem [4][Russland-Afrika-Gipfel kürzlich in Sankt Petersburg] sehr
darauf bedacht war, zu zeigen, dass das Land nach der Invasion der Ukraine
geopolitisch nicht isoliert ist. Vor allem die Leute im Außenministerium
und wahrscheinlich auch anderswo wollen nicht, dass dieser Vorfall die
Glaubwürdigkeit Moskaus auf dem Kontinent beeinträchtigt. Daher erwarte ich
zum jetzigen Zeitpunkt keine größeren personellen Veränderungen in der
Zentralafrikanischen Republik oder in Mali. Nichts, das möglicherweise dazu
führen würde, die Glaubwürdigkeit Moskaus als Partner infrage zu stellen.
In Russland gibt es ja mittlerweile viele ähnliche Firmen. Ist es
wahrscheinlich, dass langfristig ein anderes Söldnerunternehmen die
Wagner-Strukturen vollständig absorbiert?
Ich habe eben erst mit jemandem gesprochen, der bislang bei Wagner gekämpft
hat und jetzt von der Firma Redut rekrutiert wurde, welche auch dem Kreml
nahesteht. Dieser meinte am Telefon, die Welt unter den russischen Söldnern
sei eine kleine. Letztendlich schließen diese Jungs im Laufe der Zeit
Verträge mit verschiedenen Gruppen ab, je nachdem, wer gerade besser
bezahlt. Es gab unter den Söldnern Russlands bislang immer eine spezielle
Eifersucht gegenüber Wagner. Selbst wenn jetzt eine andere Firma die
Wagner-Geschäfte übernähme, besteht die Wahrscheinlichkeit, dass wir wieder
denselben Männern darin begegnen, nur eben mit einem anderen Abzeichen auf
der Uniform.
Prigoschin war in Russland mehr als der Wagner-Chef. Als Oligarch mit einem
gewaltigen Firmenimperium hatte er direkten Zugang zum Kreml und ein gut
gefülltes Bankkonto. Wenn er weg ist, bricht damit nicht auch das
Wagner-Imperium zusammen?
Wir wissen leider nicht so viel über Wagners Finanzstrukturen. Allerdings
bin ich mir sicher, dass es [5][in Russland viele Oligarchen gibt, die in
der Lage sind], diese Strukturen zu übernehmen. Aber letztlich haben wir
viel zu wenig Ahnung davon, wie die tatsächliche Finanzstruktur aussieht.
Es besteht sogar die Möglichkeit, dass Prigoschin selbst nicht einmal der
Mehrheitsaktionär war. Es lässt sich nur schwer sagen, was sich ändern
wird, wenn man nicht weiß, wie die Dinge ursprünglich waren.
Sie haben zu [6][Wagner in vielen afrikanischen Ländern recherchiert] und
sich mit afrikanischen Politikern dazu ausgetauscht. Wie reagieren die in
der Zentralafrikanischen Republik und in Mali auf den mutmaßlichen Tod des
Wagner-Chefs?
Wir werden mit Sicherheit keine Reaktion der afrikanischen Regierungen zu
diesen Ereignissen sehen. Die Afrikaner wissen nur zu gut, dass es eine
innere Angelegenheit Russlands ist, zu welcher man sich am besten gar nicht
äußert. Und so hört man derzeit auch gar nichts aus Bangui oder Bamako oder
anderen afrikanischen Hauptstädten, in denen Wagner aktiv ist. Im Fall von
Mali hat die Regierung zudem nie zugegeben, dass es dort überhaupt
Wagner-Söldner gibt. Warum sollten sie sich dann zum Tod von Wagners Chef
äußern? Es gibt gerade in Afrika derzeit ein Interesse, so zu tun, als wäre
nichts gewesen, damit man so weitermachen kann wie bisher.
27 Aug 2023
## LINKS
[1] /Prigoschins-mutmasslicher-Absturz/!5952780
[2] /Prigoschins-Flugzeugabsturz/!5955843
[3] /Referendum-Zentralafrikanische-Republik/!5946553
[4] /Afrika-Russland-Gipfel/!5947584
[5] /Russische-Eliten-nach-mutmasslichem-Wagner-Tod/!5952697
[6] /Putin-laedt-zum-Russland-Afrika-Forum/!5946428
## AUTOREN
Simone Schlindwein
## TAGS
Wagner-Gruppe
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Kolumne Krieg und Frieden
Jewgeni Prigoschin
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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