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# taz.de -- Mutmaßlicher Tod von Wagner-Chef: Der Kreml verzeiht nicht
> Im Juni hatte Wagner-Chef Prigoschin gegen Putin aufbegehrt, nun soll er
> bei einem Flugzeugabsturz umgekommen sein. Und Moskau? Schweigt.
Bild: Mahnwache für den Wagner-Chef: ein maskierter Unterstützer der Söldner…
Moskau taz | „Dort oben gab es eine Explosion. Ich dachte zuerst, es sei
irgendeine Rakete. Es dauerte fünf Minuten, das Ding drehte sich, taumelte
und fiel“, erzählt ein Augenzeuge einer russischen Boulevardzeitung am
Donnerstag. Einen Tag, nachdem die Embraer-Maschine mit der Flugnummer
RA-02795 in der Nähe eines Bauernhofes in der zentralrussischen Region Twer
vom Himmel krachte.
Mutmaßlich an Bord: Söldnerchef Jewgeni Prigoschin, Anführer der Gruppe
Wagner, Dmitri Utkin, der die Paramilitärs einst mit seinem Kampfnamen
versehen hatte, sowie weitere führende Mitglieder der von Prigoschins
Privatarmee, die die Operationen etwa in Syrien und Sudan leiteten. Quasi
die Riege von Russlands skrupellosen Verbrechern, die in der Ukraine, im
Nahen Osten und in afrikanischen Ländern – mit der Zustimmung des Kremls –
buchstäblich über Leichen gingen.
Die russische Luftfahrtbehörde bestätigte, dass sich Prigoschin an Bord der
abgestürzten Maschine befand. Eine formelle Bestätigung des Todes blieb
jedoch zunächst aus. Experten untersuchen die zehn abtransportieren
Leichen. Sollte Prigoschin tatsächlich tot sein, kann man sagen: Der
Gewaltverherrlicher [1][hat auf eine unzimperliche Art Gewalt geerntet].
„Nach dem Aufstand hatte man das Gefühl, dass das alles schlecht endet. So
etwas verzeiht man im Kreml nicht“, zitierte das russischsprachige
Medienportal Meduza einen Gesprächspartner aus dem Umkreis der
Präsidialverwaltung in Moskau. „So etwas“ war die Bloßstellung des
russischen Präsidenten Wladimir Putin durch einen, der sich gern als Anwalt
des kleinen Mannes inszenierte und in der Ukraine die Erfolge einfuhr, die
die russische Armee nicht vorzeigen konnte, wenn auch unter hohem Blutzoll.
## Mit seiner Gossensprache erreichte er viele Menschen
Jewgeni Prigoschin, der aufgestiegene Ex-Kleinkriminelle, hatte Ende Juni
Tausende seiner Kämpfer um sich versammelt und wollte mit einem „Marsch der
Gerechtigkeit“ gen Moskau ziehen. Den Größenwahn, dass ihm der
Verteidigungsminister Sergei Schoigu und der Generalstaabschef Waleri
Gerassimow, wie Prigoschin das einforderte, herausgegeben würden, hatte er
offenbar. Er wurde ihm zum Verhängnis. Prigoschin hatte sich in seiner
Macht, die er auch in manchen Teilen der russischen Bevölkerung genossen
hatte, maßlos überschätzt – und damit den stärksten Freund verloren: den
Präsidenten selbst.
Es war Putin, der Prigoschin, an jeglichen staatlichen Strukturen vorbei,
jahrelang gewähren ließ. Zunächst im Schatten, mit dem [2][Ukrainekrieg]
auch öffentlich. Die Kurzzeit-Meuterei aber hatte eine Linie überschritten
und Prigoschin endgültig zum Fremden im System werden lassen. „Verräter“
hatte ihn Putin genannt, ohne ihn beim Namen zu nennen. In Putins Augen ist
Verrat nur durch Tod zu vergelten.
Doch Putin ließ Prigoschin zunächst laufen, er soll sich nach der Meuterei
gar mit ihm im Kreml getroffen haben. „Freies Geleit“ hatte er dem
Wagner-Chef versprochen und viele in Russland fast schon ratlos
zurückgelassen: Wie das, einen Verräter lässt er so davonkommen?
Prigoschin verschwand erst von der Bildfläche, seine Mannen waren teils in
der Tat nach Belarus gezogen, wie im Deal mit dem belarussischen
Präsidenten Alexander Lukaschenko nach der Meuterei ausgehandelt worden
war. Doch die zwei Monate seither hatte das Regime dafür genutzt, um nach
und nach nicht nur Prigoschins Unternehmen zu zerschlagen, sondern auch den
Mythos um seine Person – bis es schließlich auch an ihn selbst ging.
Sein Medienimperium wurde geschlossen, sein luxuriöses Haus durchsucht,
später im Fernsehen wurden seine Perücken, Goldbarren und etliche Pässe
präsentiert, wohl im Versuch, ihn in der Bevölkerung als komischen Kauz zu
diffamieren. Das Verteidigungsministerium hatte derweil einige seiner
Kämpfer als reguläre Soldaten unter Vertrag genommen, und sein Fürsprecher
in der Armee, der Chef der Luftstreitkräfte Sergei Surowikin, war abgesetzt
worden.
Offiziell wird zum mutmaßlichen Tod von Prigoschin, Utkin und den anderen
nichts gesagt. Die Nachrichten im staatlichen Fernsehen verschweigen den
Absturz. Der Staat tut, als habe es den Mann, den Putin mit dem Orden „Held
Russlands“ auszeichnete, nicht gegeben. Er hat ihn buchstäblich ausgelöscht
und schürt mit seinem Vorgehen weiter Angst. Das Regime zeigt einmal mehr,
dass es fähig ist, seine Gegner mit brutalen Methoden zu „entsorgen“.
## Die Ursache des Absturz ist noch unklar
Was zum Absturz geführt hatte, untersuchen nun die russischen Behörden. Ob
es einen Sprengsatz an Bord gegeben hatte oder der Jet abgeschossen wurde,
ist unklar. Klar aber ist eines: Prigoschins mutmaßlicher Tod wird als eine
öffentliche Hinrichtung eines buchstäblich tief Gefallenen wahrgenommen.
„Er war kein guter Mensch. Er war kein lieber Mensch. Er war kein
angenehmer Mensch“, schrieb einer seiner Bewunderer in seinem
Telegram-Kanal „Schiwow Z“.
Doch Prigoschin sei ein „sehr effizienter Mensch gewesen, der die Wahrheit
sagte und sich wie ein richtiger Mann verhielt und sich damit Respekt bei
anderen richtigen Männern verdiente“, fügte er hinzu. Mit seiner
Gossensprache erreichte Prigoschin viele Menschen in Russland, er holte
Kriminelle aus dem Gefängnis und versprach ihnen ein Leben in Freiheit,
wenn sie in der Ukraine „ihre Pflicht am Vaterland“ ausüben würden.
Für solche Männer und auch für Arme aus den unterentwickelten Regionen,
Menschen, die am Rande der Gesellschaft lebten, war Prigoschin der Freipass
in ein besseres Leben. Seine Kämpfer bezahlte er besser als der Staat, er
ließ sie auch unerbittlich töten, wenn sie nicht so funktionieren, wie er
es verlangte. An die Version, Prigoschins Maschine könnte von ukrainischen
Raketen abgeschossen worden sein, will keiner der Kriegsunterstützer
glauben, den Kreml greift allerdings niemand von ihnen an.
In Sankt Petersburg, wo Prigoschin die Zentrale seiner Unternehmen hatte,
wie auch in Nowosibirsk und Jekaterinburg richteten seine Anhänger spontane
Gedenkstätten ein. Sie rollten Flaggen der Wagner-Gruppe aus, legten Nelken
nieder und stellten Kerzen hin. Für Sonntag riefen sie zu Versammlungen auf
den zentralen Plätzen russischer Städte auf. In der Nacht auf Donnerstag
hatte es nur vereinzelte Mahnwachen für den Wagner-Chef gegeben.
24 Aug 2023
## LINKS
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## AUTOREN
Inna Hartwich
## TAGS
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