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# taz.de -- Karl Lauterbach in Indien: Schutz vor Lieferengpässen
> In Indien kündigte der Gesundheitsminister mehr Kooperation an: bei der
> Herstellung von Arzneimitteln, aber auch bei künstlicher Intelligenz.
Bild: Im indischen Pune werden Dosen des Corona-Impfstoffs von Astra-Zeneca abg…
Mumbai taz | In Indien sorgte Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD)
kürzlich als Geburtshelfer der geplanten Cannabislegalisierung in
Deutschland für Schlagzeilen. Bei seinem mehrtägigen Besuch im
bevölkerungsreichsten Land der Welt, der am Wochenende zu Ende ging, hatte
er allerdings eine andere Mission: die Verbesserung der deutschen
Arzneimittelversorgung, die Förderung von Technologien wie künstlicher
Intelligenz (KI) – und den Umgang mit den Langzeitfolgen von
Corona-Infektionen.
Lauterbach sieht die Bundesrepublik in der Arzneimittelforschung an
Attraktivität verlieren, und Kinderärzte warnten Anfang des Monats erneut
vor Lieferengpässen bei Medikamenten, diesmal für kommenden Herbst und
Winter. Bereits seit Sommer 2022 waren Husten- oder Fiebersäfte für Kinder
schwer erhältlich gewesen, im Winter hatte es [1][einen regelrechten
Notstand gegeben].
Angesichts der prekären Versorgungslage hatte der Bundestag bereits [2][im
Juli ein Gesetz verabschiedet], wonach nun mehrmonatige Vorräte für
rabattierte Medikamente angelegt werden müssen. Aber das alleine wird nicht
ausreichen, um das Problem zu lösen.
Am Rande des nun im indischen Gandhinagar abgehaltenen [3][G20-Treffens]
der Minister:innen für Finanzen und Gesundheit kündigte Lauterbach an,
die Bedingungen für die medizinische Forschung in Deutschland zu stärken
und so die Entwicklung anzukurbeln. Noch in diesem Jahr solle ein Gesetz
zur Vereinfachung von Arzneimittelstudien auf den Weg gebracht werden.
Gesetze, die schon vor zehn Jahren hätten kommen müssen, sagte er.
## Generika aus Indien
Zudem solle Deutschland künftig „auch mit der Hilfe Indiens besser vor
Lieferengpässen von Arzneimitteln geschützt werden“, so der SPD-Politiker.
Denn bisher liefert die „Apotheke der Welt“, wie Indien auch genannt wird,
nur in geringem Umfang nach Deutschland. Seit 2010 gibt es allerdings eine
steigende Tendenz bei pharmazeutischen Erzeugnissen wie Antibiotika.
Dennoch sei Indien schon jetzt „für uns ein wichtiger Partner für die
Versorgung mit Arzneimitteln, insbesondere Generika“, betonte Lauterbach
während seiner Reise. Generika sind preiswerte Nachahmerprodukte von
Arzneimitteln, deren Patentschutz ausgelaufen ist. Mit seinem indischen
Amtskollegen Mansukh Mandaviya (BJP) habe er darüber gesprochen, wie
Lieferengpässe in Zukunft vermieden werden könnten, auch über
Sofortmaßnahmen.
Mit dem neuen Gesetz zu Lieferengpässen führe Deutschland nun ein neues
System ein, zunächst bei den Antibiotika. Auch darum sei es bei dem
Indienbesuch gegangen, so Lauterbach: „Wer in Indien für Deutschland
produziert, muss auch einen Teil der Produktion in Europa herstellen“,
stellte der Minister klar. Von der daraus entstehenden Kooperation würden
aus Lauterbachs Sicht beide Länder profitieren.
Mit dem Indienbesuch befindet sich der Gesundheitsminister in guter
Gesellschaft. Kaum ein:e Bundesminister:in hat in diesem Jahr eine
Reise in das G20-Vorsitzland ausgelassen. Dass Indien und Deutschland enger
zusammenarbeiten wollen, war in den vergangenen Monaten sowohl von
Bundeskanzler Scholz als auch von seinen Kabinettsmitgliedern immer wieder
zu hören, sei es bei der Anwerbung von Fachkräften oder [4][dem sogenannten
De-Risking] in der Handelspolitik, um unabhängiger von China zu werden –
auch aus sicherheitspolitischen Interessen.
## Der Sektor wächst
So manches Vorhaben wurde nun im Zuge der Lauterbach-Reise konkreter. Auf
dem Programm stand der Austausch mit den Leitern lokaler Niederlassungen
deutscher Technologie- und Pharmakonzerne wie Bayer, Boehringer, Merck,
Siemens und der Schott AG. Indien spiele schon deshalb eine große Rolle,
weil viele deutsche Unternehmen vor Ort investiert hätten, so der Minister.
Das Land sei in einigen Bereichen ein strategischer Partner und man wolle
diese Partnerschaft weiter ausbauen.
Indien sei sowohl Partner in der Pharmaforschung als auch
Produktionsstandort und Arbeitgeber vor Ort, betonte Lauterbach.
Deutschland erhalte Produkte, die im eigenen Land nicht so günstig
hergestellt werden könnten. Risiken in Bezug auf in Indien hergestellte
Medikamente sehe er keine, sagte Lauterbach der taz. Lieferketten hätten
sich verbessert, Anbieter ohne ordnungsgemäße Lizenz würden vom Markt
genommen.
Insgesamt wächst der indische Pharmasektor laut Analyse der
Nachfolgeorganisation der Bundesagentur für Außenwirtschaft GTAI. Er
umfasst ein Warenvolumen von knapp unter 50 Milliarden US-Dollar im
Finanzjahr 2021/2022, Hauptmotor der Produktion sind die günstigeren
Markengenerika. Rund die Hälfte des Warenvolumens ist für den Export
bestimmt. Trotz einer geplanten neuen „Pharma City“ im südindischen
Hyderabad könnten die Investitionen in die Forschung in Indien allerdings
größer sein, so Branchenkenner.
Lauterbach sieht in Indien auch einen möglichen Partner bei dem Vorhaben,
die Digitalisierung etwa von Arztrezepten und ab 2025 auch von
Patientenakten voranzutreiben. Deutschland habe etwa im Bereich KI
Spitzenforschung zu bieten, auf der anderen Seite müssten große
Datenbestände ausgewertet und Anwendungen programmiert werden, sagte er.
Das könne in Indien übernommen werden. Und auch wissenschaftlicher
Nachwuchs für die Forschung in Europa lasse sich in Indien finden. Es sei
also ein „Geben und Nehmen“.
## KI in der Medizin
Begleitet wurde der Gesundheitsminister von einer Delegation aus führenden
Wissenschaftler:innen aus Deutschland im Bereich der künstlichen
Intelligenz, insbesondere in der medizinischen Anwendung. Auf dem Programm
stand neben einem Tempelbesuch auch eine Visite in einem der besten
Privatkrankenhäuser des Landes, die KI für die Behandlung einsetzen. Hier
wurde Lauterbach als Ehrengast mit einem Segenszeichen-Tupfer auf der Stirn
begrüßt.
Sein Programm endete mit dem G20-Gesundheitsminister:innen-Treffen, das
sich dem Ausbau digitaler Strukturen im Gesundheitssystem widmete.
Lauterbach erklärte, er würde einen internationalen Austausch zur ethischen
Nutzung von Daten für die Weiterentwicklung der Medizin zwischen der EU und
Indien begrüßen. Indien verfüge über wertvolle Datensätze, die für das
Training von KI wichtig seien.
Lauterbach traf in Indien auch WHO-Chef Tedros Ghebreyesus, um über das
Pandemie-Abkommen der Weltgesundheitsorganisation zu sprechen. Dieses soll
weltweite Versorgungslücken mit lebensrettenden Medikamenten, Impfstoffen
und medizinischem Material – für weniger reiche Länder – schließen.
Auch das Treffen mit dem indischen Gesundheitsminister verlief produktiv,
Indien scheint den deutschen Plänen gegenüber offen. Schon in der Pandemie
hatte sich abgezeichnet, dass Indien eine größere globale Rollen im
Gesundheitsbereich anstrebt. Nicht zuletzt hatte das Land viele
Impfstoffdosen für andere Entwicklungsländer produziert.
## Forschung zu Long Covid
Auch die G20 haben am Pandemie-Abkommen der WHO gearbeitet, bei dem es
immer noch Gräben zwischen dem globalen Norden und Süden gibt, etwa bei der
[5][Aufhebung von Patentrechten im Pandemiefall]. Eine Forderung, die
Lauterbach kritisch sieht: Er fürchtet, dadurch könnten Forschungsanreize
gehemmt werden.
„Ich habe mich sehr dafür eingesetzt, die Erforschung von Long Covid ins
G20-Dokument aufzunehmen“, sagte er der taz. Dies war bereits beim
G7-Treffen in Japan geschehen. [6][Gemeint sind Krankheitsfolgen einer
Covid-Infektion, die länger als vier Wochen andauern.]
Den parallel stattfindenden ersten WHO-Gipfel für traditionelle Medizin
besuchte der deutsche Minister nach eigenen Angaben als „Vertreter der
evidenzbasierten Medizin“ nur kurz. Er bekannte sich zwar als Befürworter
von Meditation und Yoga, doch darüber hinaus habe ihn dieser Gipfel weniger
angesprochen.
20 Aug 2023
## LINKS
[1] /Engpaesse-bei-wichtigen-Medikamenten/!5899340
[2] /Fiebersaft-Knappheit-in-Apotheken/!5942709
[3] /G20-Gipfel/!t5028527
[4] /Archiv-Suche/!5946139&s=de+risking&SuchRahmen=Print/
[5] /Nachrichten-in-der-Coronakrise/!5861772
[6] /Lauterbach-stellt-Initiative-vor/!5943689
## AUTOREN
Natalie Mayroth
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