# taz.de -- Linke über Medizinforschungsgesetz: „Wer hat da was genau verspr… | |
> Der Bundestag beschließt ein Gesetz für mehr Pharmaforschung. Es sei auf | |
> einen US-Konzern geradezu zugeschnitten, sagt die Linkenpolitikerin | |
> Kathrin Vogler. | |
Bild: Preisabsprachen bringen für den Pharmariesen Eli Lilly noch größere Pr… | |
taz: Frau Vogler, das Medizinforschungsgesetz wird in diesen Stunden im | |
Bundestag beschlossen und soll [1][die Pharma-Forschung in Deutschland | |
erleichtern]. Warum ist es bei Kritiker*innen als „Lex Lilly“, also | |
Lilly-Gesetz, verschrien? | |
Kathrin Vogler: Dieses Gesetz hat einen Abschnitt, der offenbar ganz | |
speziell auf die Bedürfnisse des Pharmagiganten Eli Lilly zugeschnitten | |
worden ist. Die Vermutung liegt nahe, dass sie den als Belohnung dafür | |
bekommen haben, dass sie in Rheinland-Pfalz ein neues Werk errichten. | |
Worum genau geht es? | |
Bisher sind die Erstattungspreise, die die Unternehmen für neue | |
patentgeschützte Medikamente mit den gesetzlichen Krankenversicherungen | |
aushandeln, öffentlich zugänglich. Das neue Gesetz gibt Unternehmen die | |
Möglichkeit, diese Preise geheim zu halten. | |
Und was hat das Unternehmen Eli Lilly davon? | |
Eli Lilly ist ein Pharmariese aus den USA mit einem besonderen Schwerpunkt | |
in der Herstellung von Medikamenten für Diabetes. Hier in Deutschland | |
vertreibt Eli Lilly auch die sogenannte [2][Abnehmspritze gegen | |
Fettleibigkeit], die von den Krankenkassen nicht bezahlt wird. Nun will Eli | |
Lilly den gleichen Wirkstoff mit einem neuen Medikament gegen Diabetes in | |
Deutschland auf den Markt bringen. Das würde dann von den gesetzlichen | |
Krankenkassen bezahlt – und das vermutlich zu einem deutlich günstigeren | |
Preis. Und natürlich will Eli Lilly vermeiden, dass diejenigen, die diese | |
sehr teure Abnehmspritze privat bezahlen müssen, den genauen Preis für das | |
Diabetesmedikament kennen. | |
Wie kommen Sie darauf, dass Eli Lilly größeren Einfluss auf die | |
Gesetzgebung genommen hätte? | |
Im April war Spatenstich für das neue Lilly-Werk in Alzey und da hat | |
Bundeskanzler Olaf Scholz wörtlich gesagt: „Was immer wir als Bund tun | |
können, um den Pharmastandort Deutschland noch weiter zu stärken, das | |
werden wir tun. Ich erinnere mich an unser Telefonat, lieber Dave Ricks | |
(Geschäftsführer von Eli Lilly, Anm. d. Redaktion), und daran, wie viele | |
Gespräche Sie auch mit dem Wirtschafts- und dem Gesundheitsminister und mit | |
der Wissenschaftsministerin geführt haben, um die Weichen für diese | |
Investition zu stellen.“ | |
Da wird man als Oppositionspolitikerin natürlich hellhörig, und fragt sich, | |
wer hat da diesem Unternehmen was genau versprochen dafür, damit sie diese | |
Investition tätigen? Wir haben uns jetzt von der Bundesregierung berichten | |
lassen, wer mit Unternehmensvertretern von Eli Lilly im Vorfeld des | |
Medizinforschungsgesetzes genau über diesen Punkt gesprochen haben. | |
Und? | |
Da zeigt sich ein sehr deutliches Bild. Bis November 2023 gab es laut | |
Bundesregierung sechs Termine. Seitdem noch einmal sieben Termine, bei fast | |
allen ging es um die Geheimpreise. Die Gespräche waren offensichtlich | |
Chefsache: Das Bundeskanzleramt war immer beteiligt, daneben auch | |
Wirtschaftsminister Robert Habeck und Wissenschaftsministerin Bettina | |
Stark-Watzinger. So versteht man auch den Sinneswandel von | |
[3][Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach]. | |
Der da wäre? | |
Noch 2016 hat Lauterbach gesagt, eine solche Intransparenz wäre eine große | |
Gefahr für die Ausgabenentwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung. | |
Offensichtlich haben Gespräche auf allerhöchster Ebene dazu geführt, dass | |
er sich wider besseres Wissen nicht dagegen wehren konnte, in seinem | |
Gesetzentwurf diese Geschichte durchzusetzen. | |
Wie üblich sind solche Vorgänge in der gesundheitspolitischen Gesetzgebung? | |
Die Regierung beruft sich darauf, dass es ein üblicher Vorgang ist, dass | |
sich Vertreter*innen der Bundesregierung mit Vertreter*innen von | |
Unternehmen und Unternehmensverbänden austauschen. Das ist tatsächlich so, | |
und das würde ich auch gar nicht kritisieren, weil man natürlich immer | |
gucken muss: Wie geht es den Unternehmen und mit welchen Problemen sind sie | |
konfrontiert. Aber was hier im Vorfeld mit Lilly gemacht wurde, das ist | |
schon ein sehr beachtlicher Aufwand an Terminen und Gesprächen. | |
Die Bundesregierung hat auch angegeben, dass sie gar nicht alle Telefonate | |
und Gespräche und E-Mail-Wechsel zentral erfasst hat. Sodass wir | |
wahrscheinlich nur das zu sehen kriegen, was die Bundesregierung nicht | |
geheim halten darf: die Gespräche der höchsten Ebene, aber nicht die | |
Einflussnahme auf die Ebenen darunter. | |
Dass Sie als Linke hier kritisch sind, verwundert nicht. Gibt es noch | |
andere kritische Stimmen? | |
Es sind fast alle Akteure im Gesundheitswesen dagegen: die gesetzlichen | |
Krankenversicherungen, die einen enormen Anstieg der Arzneimittelpreise | |
befürchten. Die privaten Krankenversicherungen, die ebenfalls befürchten, | |
dass die Listenpreise für die Arzneimittel, die sie bezahlen müssen, nach | |
oben gehen und für die die Umsetzung ein bürokratischer Albtraum ist. | |
Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, die | |
Apotheken und Krankenhäuser sind dagegen. Der Großhandel fürchtet eine | |
Riesenbürokratie und zusätzliche Kosten. Selbst die großen Pharmaverbände | |
haben das überhaupt nicht mehr auf ihrem Forderungszettel gehabt, weil die | |
Regelung nur einzelnen Unternehmen nützt. | |
Die Bundesregierung selbst argumentiert, dass durch diese vertraulichen | |
Preisabsprachen niedrigere Preise möglich wären. Es gibt jetzt auch einen | |
verbindlichen Preisabschlag von 9 Prozent, wenn Pharmafirmen die | |
Möglichkeit geheimer Erstattungsbeträge nutzen. | |
Dass die Geheimhaltung der Preise für Unternehmen ein Anreiz sein könnte, | |
bei den Preisverhandlungen nochmal deutlich runterzugehen, das halte ich | |
wirklich für ein Gerücht. Denn ein Rabatt auf einen Mondpreis ist immer | |
noch ein Mondpreis. Natürlich werden die gesetzlichen Rabatte, die in | |
letzter Minute Einzug ins Gesetz gefunden haben, von den Unternehmen zuvor | |
eingepreist. | |
Die Bundesregierung beruft sich auch darauf, dass solche vertraulichen | |
Preisregelungen in Europa gang und gäbe seien. | |
Dazu muss man aber wissen, dass sich viele Gesundheitssysteme in Europa bei | |
ihren Preisverhandlungen daran orientieren, was die deutschen Krankenkassen | |
für Medikamente bezahlen. Das heißt, gleichzeitig ist diese Geheimhaltung | |
zum Schutz des Pharmastandorts Deutschland ein Instrument, das | |
wahrscheinlich Medikamente in den ärmeren EU-Ländern eher teurer macht, als | |
sie jetzt eh schon sind. Das ist insgesamt auch eine zutiefst | |
antieuropäische Regelung. | |
Offensichtlich war die Kritik insofern wirksam, als dass die Möglichkeit | |
der vertraulichen Preisvereinbarungen nun noch rasch auf vier Jahre | |
begrenzt wurde. | |
Bei solchen Befristungen hat man immer das Folgeproblem, dass die | |
Unternehmen, die diese Regelung nutzen wollen, besonders schnell und | |
aggressiv ihre neuen Medikamente in den Markt bringen, um innerhalb der | |
Frist möglichst viel Marktdurchdringung zu erreichen. Wenn erst einmal eine | |
Million Patient*innen auf ein neues Diabetes-Medikament eingestellt | |
ist, dann kriegen Sie das nicht mehr zurückgedreht. | |
Was halten Sie denn ganz grundsätzlich vom Medizinforschungsgesetz? | |
Es ist auch schönes dabei, das muss ich sagen. Dass es jetzt neue Regeln | |
für Studien für Kindermedikamente gibt, war zum Beispiel überfällig. Es | |
gibt viel zu wenig Arzneimittel für Kinder, die neu entwickelt werden. Aber | |
insgesamt sticht für uns heraus, dass hier Wirtschaftsförderung auf Kosten | |
der gesetzlich Versicherten betrieben wird. Das ist wirklich ein Novum und | |
überschattet dieses Gesetz. | |
4 Jul 2024 | |
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## AUTOREN | |
Manuela Heim | |
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