# taz.de -- Fiebersaft-Knappheit in Apotheken: Gesetz gegen Lieferengpässe | |
> Der Bundestag will Medikamente auf Vorrat. Heißt das, dass es im Herbst | |
> genug Antibiotika und Schmerzmittel geben wird? | |
Bild: Mund auf! Ibuprofen für Kinder auf einem Löffel | |
BERLIN taz | Nach einem Winter der knappen (Kinder-)Medikamente soll ein | |
neues Gesetz nachhaltig Lieferengpässen entgegenwirken. Gemäß den am | |
Freitagnachmittag beschlossenen Plänen der Bundesregierung müssen künftig | |
mehrmonatige Vorräte für rabattierte Medikamente angelegt werden. Für | |
Kinderarzneimittel werden die Preisregeln gelockert und Apotheken sollen | |
leichter Ersatz für knappe Medikamente anbieten können. Dass es trotzdem | |
auch in diesem Herbst und Winter wieder knapp werden kann bei einigen | |
Arzneimitteln, räumte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) schon | |
im Vorfeld ein. | |
[1][Im vergangenen Dezember waren Lieferschwierigkeiten bei | |
Kindermedikamenten wie Fieber- und Hustensäften eskaliert.] | |
Versorgungsschwierigkeiten gibt es aber bereits seit Jahren immer wieder | |
und auch bei besonders kritischen Arzneimitteln, etwa für die | |
Krebsbehandlung. Aktuell sind beim Bundesinstitut für Arzneimittel und | |
Medizinprodukte gut 490 Meldungen zu Engpässen erfasst. Die Ursachen sind | |
laut Expert*innen ein Zusammenspiel aus anfälligen globalen | |
Lieferketten, dem Rückzug deutscher und europäischer Hersteller aus der | |
Wirkstoffproduktion, einer Monopolbildung, bei der teils nur noch ein | |
einziger Hersteller für bestimmte Medikamente verbleibt und der | |
Finanzierungssystematik im deutschen Arzneimittelmarkt. | |
Auf die Lieferprobleme bei Kindermedikamenten hatte das | |
Gesundheitsministerium zunächst mit kurzfristigen Maßnahmen, etwa zur | |
Abgabe alternativer Mittel in den Apotheken, reagiert. Grundlegende | |
Absicherungen soll nun das Gesetz mit dem sperrigen Namen | |
„Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz“ | |
– kurz ALBVVG – bringen. | |
Zentrale Maßnahme ist dabei die Verankerung eines Sicherheitspuffers. Für | |
alle Medikamente mit Rabattverträgen der Krankenkassen sollen Hersteller | |
bei sich einen Vorrat anlegen müssen. Ursprünglich sollte dieser der | |
durchschnittlichen Liefermenge für drei Monate entsprechen. Der | |
Gesundheitsminister selbst hatte den Gesetzentwurf zuletzt noch auf 6 | |
Monate verschärft. | |
Der Verband der Hersteller patentfreier Medikamente, Pro Generika, warnte | |
bereits bei Bekanntwerden der Pläne, dass dafür weder Lager- noch | |
Produktionskapazitäten der Hersteller ausreichten. | |
Für Kindermedikamente soll es künftig gar keine Rabattverträge mehr geben, | |
wie sie die Kassen bisher mit den Herstellern vereinbaren. Die Hersteller | |
dürfen laut Gesetz nun ihre Abgabepreise einmalig um bis zu 50 Prozent des | |
zuletzt geltenden Festbetrags anheben. Für Kindermedikamente soll generell | |
eine Liefermenge für vier Wochen beim Großhandel als Vorrat auf Lager | |
gehalten werden müssen. | |
## Verband warnt vor steigenden Mehrkosten | |
Für Apotheken soll der Austausch mit ähnlichen Präparaten erleichtert und | |
auch extra vergütet werden. Außerdem soll das Bundesinstitut für | |
Arzneimittel zusätzliche Informationsrechte gegenüber Herstellern und | |
Krankenhausapotheken bekommen und ein Frühwarnsystem einrichten – bisher | |
gibt es nur eine Selbstverpflichtung der Hersteller zur Meldung von | |
Lieferengpässen. Bei Ausschreibungen der Kassen für Antibiotika sollen | |
künftig Hersteller mit Wirkstoffproduktion in Europa priorisiert werden. | |
Bei den gesetzlichen Krankenkassen sieht man die Ursache für Lieferengpässe | |
nicht im aktuellen Finanzierungssystem der Rabattverträge und Festbeträge. | |
Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) warnt | |
angesichts des Gesetzes vor jährlichen Mehrkosten „mindestens im hohen | |
dreistelligen Millionenbereich“, dem die bloße Erwartungshaltung auf | |
Liefersicherheit gegenüberstehe. In diesem Monat hatte der | |
Bundesgesundheitsminister bereits einen Anstieg der Krankenkassenbeiträge | |
angekündigt. | |
Die Erwartung, dass Lieferengpässe bei Medikamenten rasch der Vergangenheit | |
angehörten, dämpfte Karl Lauterbach auch selbst. Schließlich müssten die | |
Rabattverträge mit den neuen Bedingungen ja erst ausgehandelt werden. „Im | |
Herbst werden wir trotzdem noch Probleme haben“, sagte Lauterbach bei einer | |
Veranstaltung im Vorfeld. | |
Neben den Maßnahmen gegen Lieferengpässe brachte der Bundestag mit dem | |
Gesetz auch die Grundlagen für die telefonische Krankschreibung auf den | |
Weg. Eine entsprechende Corona-Sonderregelung war im April ausgelaufen. Nun | |
sollen bei ihren Ärzt*innen bekannte Patient*innen und Menschen ohne | |
schwere Symptome eine dauerhafte Möglichkeit für solche Krankschreibungen | |
erhalten. So sollen Praxen und Patient*innen, besonders Eltern mit Kindern, | |
entlastet werden. Die genaue Regelung dazu soll der Gemeinsame | |
Bundesausschuss von Ärzt*innen, Kassen und Kliniken erarbeiten. (mit dpa) | |
23 Jun 2023 | |
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## AUTOREN | |
Manuela Heim | |
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