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# taz.de -- Spekulativer Leerstand: Investor hat sich verzockt
> Der Eigentümer der Habersaathstraße 40-48 verliert gegen einen
> Bestandsmieter vor Gericht. Damit rückt der Abriss in weite Ferne.
Bild: Die Bewohner:innen der Habersaathstraße während der versuchten Räumung…
Berlin taz | Der Traum vom Abriss ist für Andreas Pichotta, Eigentümer der
Habersaathstraße 40 – 48, am Donnerstagmorgen ein Stückchen weiter in die
Ferne gerückt. Nach nur etwa einer halben Stunde wies die Richterin am
Amtsgericht Mitte die erste von sechs Räumungsklagen gegen die verbliebenen
Bestandsmieter:innen des Hauses ab. „Eine Wohnung ist kein
Aktienpaket“, hieß es in der Urteilsverkündung der Richterin, „die
Eigentümerin muss die Rechtssituation der Mieter berücksichtigen“.
Mit dem Urteil geht ein vielschichtiger stadtentwicklungspolitischer
Konflikt in die nächste Runde. Pichotta erwarb den 1984 errichteten
Plattenbau 2017 zu einem überhöhten Kaufpreis, mit der Absicht, [1][das
Gebäude abzureißen und durch einen profitableren Neubau zu ersetzen].
Pichotta ließ das Gebäude zunehmend verfallen, ließ einen Großteil der
Wohnungen leerstehen. Durch einen Deal mit dem Bezirk im vergangenen Jahr
konnte [2][Pichotta bereits eine Bau- und Abrissgenehmigung]
herausschlagen. Doch auch nach sechs Jahren hält ein kleiner Rest an
Mieter:innen an den unbefristeten Verträgen fest und wehrt sich gegen
den spekulativen Abriss.
Mit sogenannten Verwertungskündigungen versucht Pichotta nun, das
Mietverhältnis der sechs verbleibenden Parteien zu beenden. Voraussetzung
für eine solche Kündigung ist, dass der Eigentümerin „erhebliche Nachteile…
durch den Fortbestand des Mietverhältnisses entstehen.
## Kein Recht auf Profitmaximierung
Einen „erheblichen Nachteil“ sah die Richterin allerdings nicht. „Das
Gebäude ist gar nicht in so einem wahnsinnig schlechtem Zustand“, anstatt
es abzureißen, könne er das Gebäude auch verkaufen oder renovieren. Diese
Optionen seien von der Eigentümerin aber gar nicht erst erwogen worden, was
die dem Gericht vorgelegte Kalkulation unglaubwürdig macht. „Ich kann nicht
auf Räumung urteilen, nur damit ihre Gewinnmaximierung eintritt“,
argumentiert die Richterin. Die Rechte der Mieter:innen sei halt das
unternehmerische Risiko, das Pichotta mit dem Kauf eingegangen ist.
Sebastian Bartels, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, bezeichnet
das Urteil als „wichtiges Signal an alle renditegetriebenen
Grundstücksverwerter:innen“ und sieht die Urteilsbegründung als Blaupause
für die fünf noch ausstehenden Prozesse gegen Bestandsmieter:innen. Auch
eine mögliche Berufung Pichottas sei wenig vielversprechend. „Das
Landgericht schützt ein immobilienwirtschaftliches Verwertungsinteresse nur
in äußerst engen Grenzen“, vermutet Bartels.
Auch der Rechtsanwalt des beklagten Mieters, Cornelius Krakau, begrüßt das
Urteil. „Besser hätte es nicht laufen können“. Krakau erhofft sich nun
ähnliche Ergebnisse für die drei weiteren Mieter der Habersaathstraße, die
er vertritt. Auch im Sinne der Nachhaltigkeit sei es wünschenswert, das
Gebäude zu erhalten. Gleichzeitig gibt der Anwalt zu bedenken, dass trotz
des rechtlichen Erfolgs die Situation vor Ort weiterhin belastend ist.
## Kriminelle Methoden
Erst Mitte vergangener Woche [3][drangen Angestellte eines privaten
Sicherheitsdiensts und einer Baufirma in das Gebäude ein,] bauten
Stromzähler und Fenster in mehreren Wohnungen aus und stellten die
Warmwasserversorgung ab. Auch forderten sie die rund 50 ehemals obdachlosen
Bewohner:innen eines selbstverwalteten Wohnprojekts, das sich seit
Dezember 2021 in dem Haus befindet, auf, das Haus zu verlassen. Dabei
traten die Handwerker und Securities äußerst aggressiv auf und
zertrümmerten mehrere Wohnungen im Haus.
Während die Stromversorgung für die Bestandsmieter:innen
wiederhergestellt ist, gibt es für die Bewohner:innen des Wohnprojekts
weiterhin keinen Strom, ebenso gibt es im gesamten Haus kein warmes Wasser.
„Die kriminellen Methoden des Eigentümers müssen aufgearbeitet werden“,
fordert Niklas Schenker, mietenpolitischer Sprecher der Linksfraktion, in
einer Pressemitteilung am Donnerstag. Auch solle der Senat prüfen, den
Wohnraum zu kaufen oder zu enteignen, um die Bewohner:innen dauerhaft
zu schützen.
17 Aug 2023
## LINKS
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[3] /Immobilienspekulation-in-Berlin/!5949416
## AUTOREN
Jonas Wahmkow
## TAGS
Immobilienspekulation
Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
Leerstand
Wohnungsleerstand
Stadtplanung
Zweckentfremdung
Gerichtsprozess
Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin
Wohnungsnot
Lesestück Recherche und Reportage
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