| # taz.de -- Ausstellung 50 Jahre HipHop in New York: Lebensgefühl, unantastbar… | |
| > In New York feiert man dieser Tage 50 Jahre HipHop. Dass die Musik bisher | |
| > nicht zum nationalen Kulturgut geadelt wurde, passt zu ihrer | |
| > Gefährlichkeit. | |
| Bild: Bedingt aneignungsgeeignet: Run DMC im Jahr 1985 | |
| Wenn man von Manhattan an der 145. Straße über den Harlem River in die | |
| Bronx kommt, erhebt sich zur Rechten ein gigantisches Einkaufszentrum am | |
| Fluss, der Bronx Terminal Market, ein Betonkoloss voller Discount-Läden, | |
| den die Bewohner des ärmsten New Yorker Stadtteils bequem erreichen können, | |
| um die Autos mit den Vorräten für die Woche vollzuladen. Manhattanites | |
| empfinden das Zentrum als Scheußlichkeit, doch für den Bezirk, in dem es | |
| sonst an vielen Ecken schwerfällt, sich mit dem Nötigsten zu versorgen, ist | |
| es ein Segen. | |
| Im Tiefgeschoss, gleich neben den Parkgaragen, gibt es hier seit ein paar | |
| Wochen eine Ausstellung über die „goldene Ära des HipHop“ – grob die Ze… | |
| zwischen Mitte der 80er und Mitte der 90er Jahre, als die Musikform reif | |
| wurde, sich ausdifferenzierte und in den Mainstream drängte. Es gibt | |
| haufenweise Devotionalien zu sehen und Musik zu hören, von so | |
| unterschiedlichen Künstlern wie Run DMC, Public Enemy, LL Cool J und Salt | |
| ’n’ Pepa bis hin zu den Beastie Boys. | |
| Sogar als Sprayer darf man sich betätigen, rein digital allerdings. Es ist | |
| keine sorgfältig kuratierte Show, die ein durchdachtes Narrativ über die | |
| Ära oder gar den HipHop insgesamt anbietet, eher ein Ort, an den Fans und | |
| Nostalgiker zum Schwelgen gehen können. | |
| ## Geburtsstunde des HipHop 1973 | |
| Die Ausstellung ehrt das 50. Jubiläum des HipHop, der angeblich seine | |
| Geburtsstunde am 11. August 1973 im Freizeitraum eines Sozialbaus an der | |
| Sedgewick Avenue, nur ein paar Blocks entfernt, gefeiert hatte. Damals | |
| legte DJ Kool Herc zu einer Schulfeier seiner Schwester Platten auf und | |
| benutzte dabei zwei Plattenspieler, um zum Tanzen nahtlos die | |
| Rhythmussequenzen desselben R&B-Songs aneinanderzureihen. | |
| Eigentlich war die Ausstellung gedacht als Kernstück eines neuen | |
| nationalen HipHop-Museums, das gegenüber dem Einkaufszentrum am Fluss | |
| rechtzeitig zum Jubiläum eröffnen sollte. Doch Covid hat alles verzögert | |
| und so musste man improvisieren. | |
| Dass Amerika das Jubiläum des HipHop ohne die feierliche Eröffnung einer | |
| nationalen Pilgerstätte für die Freunde der Kunstform begehen muss, passt | |
| irgendwie zu diesem Jahrestag. Es ist viel los rund um das Jubiläum, | |
| insbesondere in der Geburtsstadt des HipHop. Es gibt Blockpartys und | |
| Filmfestivals. Altstars wie Grandmaster Flash legen kostenlos auf. Die | |
| Public Library hat eine neue Mitgliedskarte mit Wildstyle-Graffiti | |
| aufgelegt, und das öffentlich-rechtliche Fernsehen PBS strahlt eine | |
| mehrteilige Dokumentation zur Geschichte des HipHop aus, produziert von | |
| [1][Chuck D von Public Enemy]. | |
| ## Kein nationales Kulturgut wie Jazz | |
| Zur feierlichen Erhebung des HipHop in den Status eines nationalen | |
| Kulturguts mit allen Pauken und Trompeten reicht es jedoch nicht. Es wird | |
| keine Festakte geben und keine Ehrungen von Künstlern durch Politiker. Und | |
| es wird keine großen Stadionkonzerte mit den Größen des Genres geben, wie | |
| das sicher beim Jazz oder bei der Country-Musik passiert wäre, gäbe es da | |
| einen so präzisen Ursprungsmythos und ein so exaktes Datum. | |
| Den Grund dafür muss man darin vermuten, dass sich Amerika bis heute | |
| schwertut mit dem HipHop. Niemand kann mehr ernsthaft leugnen, dass der | |
| HipHop eine ureigene US-amerikanische Kunstform von globaler Bedeutung ist. | |
| Sogar die erzkonservative Football-Liga NFL beugte sich im vorvergangenen | |
| Jahr dem Massengeschmack und dem breiten Konsens der Bevölkerung und bat | |
| zur [2][Superbowl-Halbzeitshow Snoop Dogg, Eminem und Mary J. Blige auf die | |
| Bühne]. | |
| Doch der HipHop sperrt sich dagegen, sich so leicht in die Schatztruhe | |
| nationaler Kulturerrungenschaften legen zu lassen. Weit mehr als etwa der | |
| Jazz bewahrt sich der HipHop bis heute seiner Beliebtheit im gesamten | |
| urbanen und suburbanen Amerika zum Trotz seine Störfunktion und seine | |
| Gefährlichkeit. | |
| Warum das so ist, hat vor wenigen Jahren der Essayist Mark Greif in seinem | |
| langen Stück „Learning to Rap“ zu ergründen versucht. Als linker Punker v… | |
| der New Yorker Lower East Side entdeckte Greif den HipHop spät – in einem | |
| Alter, in dem die schnellen und komplizierten Reime und die frische, aber | |
| oft idiosynkratische Sprache der Straße nicht mehr so leicht uns Ohr und | |
| über die Lippen gehen. | |
| ## Jay Z, NWA und Kanye West | |
| Dennoch mühte er sich redlich, die großen Texte des Rap zu Memorisieren – | |
| von Jay Zs „Izzo“ über „Fuck tha Police“ von NWA bis hin zu Kanyes Tex… | |
| aus besseren Zeiten und den Freestyles von Biggie Smalls. Am öffentlichen | |
| Vortrag hinderte Greif freilich schon der häufige Gebrauch des N-Wortes, | |
| einer Art eingebauter Aneignungsschutz der Künstler, der zu sagen schien: | |
| Kauft gerne unsere Tracks und kommt zu unseren Konzerten, aber versucht | |
| bloß nicht, uns nachzumachen. | |
| Natürlich ist die Form des HipHop nicht 100 Prozent aneignungsfest. Es hat | |
| im US-amerikanischen Kontext reichlich erfolgreiche weiße Rapper gegeben, | |
| angefangen von den Beastie Boys bis hin zu Eminem und Macklemore. Von | |
| deutschem oder etwa französischem Rap ganz abgesehen. Der Kern des Rap als | |
| Ausdruck des Lebensgefühls in den US-amerikanischen Wohnbezirken der People | |
| of Color bleibt jedoch unantastbar. Wie Chuck D in der Doku über die | |
| Geschichte des HipHop sagt: „HipHop ist die Form der Kreativität, die dort | |
| entsteht, wo es sonst nur Hoffnungslosigkeit gibt.“ | |
| So bereitet es Mark Greif zwar im Privaten Vergnügen, die Reime von NWA und | |
| Biggie Smalls vor sich hin zu murmeln und in die Rolle des Gangsters zu | |
| schlüpfen. „Das ist großes Drama, große Emotionen, opernhaft fast. Und | |
| diese Gefühle unterscheiden HipHop von anderen Formen der Popmusik.“ Laut | |
| darüber zu rappen, mit einer Maschinenpistole im Rucksack zur Schule zu | |
| gehen, wäre jedoch für einen Angehörigen der weißen Mittelschicht albern | |
| und peinlich. | |
| Ebenso schwer tut sich Greif und mit ihm die Mehrheit des weißen | |
| bürgerlichen Amerika mit dem offenen Materialismus, der dem HipHop in | |
| Teilen unterliegt. Weiße Protestmusik war antikapitalistisch und | |
| systemkritisch. HipHop erzählt jedoch eine andere Geschichte. | |
| ## Die andere Geschichte des HipHop | |
| Der Gangster-Rap, auf den für Greif im HipHop beinahe alles zurückgeht, | |
| feiert die Teilhabe am Kapitalismus und dem Konsum: als | |
| Drogenkleinunternehmer unter skrupelloser Verwendung von Ausbeutung und | |
| Gewalt und schließlich als Künstler und Unterhaltungsunternehmer vom | |
| Schlage eines Jay-Z oder Russell Simmons. | |
| „I do this for my culture / To let ’em know what a nigga look like, when a | |
| nigga in a roaster / Show ’em how to move in a room full of vultures / | |
| Industry shady it need to be taken over / Label owners hate me I’m raisin | |
| the status quo up“, rappt Jay Z. | |
| Das bleibt letztlich krass und nicht ganz salonfähig. In gewissem Sinn ist | |
| der schwarze Unternehmer und Milliardär, gleich ob er Rapper oder | |
| Basketballstar ist, eine Parodie und Überzeichnung des weißen Pendants. | |
| Ironische Distanz wird per HipHop in der Erzählung des Aufstiegs | |
| hergestellt. | |
| Der schwarze Literaturwissenschaftler Henry Louis Gates hat in seinem | |
| Gutachten zur Obszönitätsklage gegen 2 Live Crew diese Strategie der | |
| ironischen Distanzierung bei gleichzeitiger Nachahmung „Signifying“ genannt | |
| – eine rhetorische Strategie, die über Generationen Afroamerikanern | |
| überhaupt das Überleben in der weißen Gesellschaft ermöglicht hat. Sie | |
| macht HipHop einerseits so aufregend und erfolgreich. Und bewahrt die Kunst | |
| andererseits davor, ohne Rest im US-amerikanischen Mainstream aufzugehen. | |
| Auch nach 50 Jahren noch. | |
| 12 Aug 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Sebastian Moll | |
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