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# taz.de -- Erwärmungskuppeln auf der Hallig: Klimawandel als Handarbeit
> Ein einzigartiges Projekt der Uni Hamburg testet, wie Salzwiesen auf den
> Klimawandel reagieren. Dafür stecken Heizstäbe einen Meter tief im Boden.
Bild: Unter den Kuppeln wird klarer, was der Klimawandel anrichten kann
Hamburger Hallig taz | Fährt Viktoria Unger raus zur Hallig, hat sie meist
Werkzeug und Ersatzteile dabei. Die 34-Jährige will wissen, was mit Boden
und Pflanzen hier am Rand zur Nordsee passiert, wenn die Temperatur um 1,5
oder um 3 Grad steigt. Sie ist Biogeochemikerin. Das bedeutet, sie
beschäftigt sich mit dem Kohlenstoffkreislauf.
Zusammen mit der Universität Hamburg simuliert sie den Klimawandel auf
quadratischen Stückchen [1][Salzwiese, die rund zwei Mal pro Monat – in der
unteren Zone sogar zweimal täglich – vom Meerwasser überflutet werden].
Fast ständig weht der Wind, mehrmals im Jahr braust eine Sturmflut über die
Hallig. Hier den Klimawandel nachzubauen, ist mühevolle Handarbeit – und
nur im Sommerhalbjahr überhaupt möglich. „Es gibt viel Wind und viel Wasser
– da geht ständig etwas kaputt“, sagt Unger.
Erst vor Kurzem hat sie Folien ausgetauscht; die sind über Eisengestänge
gespannt, wie durchsichtige Iglu-Zelte sehen die Konstruktionen von Weitem
aus. 27 dieser „Erwärmungskuppeln“ wölben sich jeweils über 3 Mal 3 Meter
großen Flächen, unter ihnen erwärmt sich wegen der Folien die Luft. Da der
Wind auf der Hallig auch im Sommer ständig und teils stark an den
Konstruktionen zerrt, muss Unger die Folien regelmäßig ausbessern. Denn nur
mit deren Hilfe bleibt die Temperatur unter den Kuppeln gleichmäßig erhöht:
Bei wenigen [2][Folien um 1,5 Grad im Vergleich zur Außentemperatur], bei
mehr und dichter gespannten Folien um 3 Grad.
Halligen sind kleine Inseln in der Nordsee, die bei Sturm überschwemmt
werden. Häuser stehen daher auf kleinen, künstlich aufgeschütteten Hügeln,
auch Warften genannt, und sind so vor den meisten Überschwemmungen
geschützt. Die [3][Hamburger Hallig] ist die einzige Hallig an der
Nordseeküste, die über einen befestigten Weg mit dem Festland verbunden
ist. Überschwemmt wird auch sie regelmäßig. Bäume gibt es nicht, und das,
was wie Rasen aussieht, sind Salzwiesen, also Gräser, Kräuter und Blumen,
die sich an das Salzwasser angepasst haben.
## Salzverkrustete Hightech
So windzerzaust, salzverkrustet und verlassen das alles aussieht – die
Kuppeln sind mit ganzen Bündeln von Kabeln verbunden, an denen einfache
Computer stecken, kleine Solarpaneele versorgen sie mit Strom. Sie stehen
in drei Beobachtungszonen mit jeweils etwas anderer Vegetation und
unterschiedlich häufiger Überflutung – direkt an der Küste, im mittleren
Bereich der Salzwiese und im oberen Bereich. Unter den Kuppeln verbergen
sich sechs verschiedene Sensoren, die täglich eine Vielzahl von Daten an
die [4][Uni Hamburg] schicken. Auch diese Sensoren müssen Unger und ihre
Mitarbeiter*innen regelmäßig überprüfen und reparieren.
„Wir heizen neben der Luft auch aktiv den Boden auf“, erklärt Unger. Dazu
stecken 30 Heizstäbe pro Versuchsfläche einen Meter tief im Halligboden.
Ein Algorithmus sorgt dafür, dass so auch die Umgebung der Pflanzenwurzeln
konstant 1,5 beziehungsweise 3 Grad wärmer ist als die Umgebung.
Unger interessiert sich dafür, was unter der Erde passiert. „Das hier ist
ein besonderer Lebensraum“, sagt sie. „Und weil es wenig Sauerstoff gibt,
bauen die Mikroben die Pflanzen hier sehr langsam ab, viel langsamer als
etwa in Wäldern, auch im Regenwald.“ Salzwiesen seien daher ein großer und
sehr effektiver CO2-Speicher. „Wir wollen mehr darüber wissen, inwiefern
sich das bei höheren Temperaturen ändert.“
[5][Dass sich etwas ändert], ist teils schon mit bloßem Auge erkennbar.
„Wir beobachten, dass der Strandflieder unter den 3-Grad-Kuppeln früher
blüht und früher verblüht“, sagt Unger. Sensoren, die die Grünphase der
Pflanzen messen, hätten den Eindruck bestätigt. „Die Wachstumsphase fängt
hier früher an und dauert länger in den Herbst hinein“, sagt sie.
Außerdem würden die Pflanzen ihre Poren verschließen, damit weniger Wasser
verdunstet. „Das ist ein eindeutiges Zeichen, dass die Pflanzen Hitzestress
haben.“ Sie hätten auch Hinweise darauf, dass die Pflanzen in höherer Hitze
schneller abgebaut werden. „Das könnte bedeuten, dass die Böden auch
weniger CO2 speichern. Wir werden das weiter untersuchen“, so Unger.
Begonnen hat die Uni Hamburg mit der Klimawandelsimulation 2018, wegen der
widrigen Bedingungen dauerte es ein Jahr, bis alles stand. Es ist weltweit
die einzige Simulation in einer Salzwiese; ein [6][Schwesterprojekt in der
USA] erhitzt auf ähnliche Art Boden und Luft auf [7][Versuchsfeldern in
einer Brackwassermarsch]. Und weil die Wetterbedingungen auf der Hallig so
rau sind, können die Kuppeln dort nicht das ganze Jahr über stehen: Im
Oktober bauen sie alles ab, Ende Februar dann wieder auf. Die
Konstruktionen würden die Winterstürme nicht überstehen.
„Es kann sein, dass wir manche Prozesse verpassen, weil wir nicht das ganze
Jahr durchgängig die Temperatur erhöhen“, sagt Unger. „Aber wir haben auch
so viele interessante Ergebnisse. Wir können hier noch vieles erforschen.“
Das Projekt läuft erst mal bis 2025, drei Doktorand*innen forschen zu
Treibhausgasen, Mikroben im Boden und Pilz-Wurzel-Symbiosen. In der
Arbeitsgruppe hoffen sie auf Verlängerung um mindestens weitere sechs
Jahre.
11 Aug 2023
## LINKS
[1] /Kuestenschutz-mit-Salzwiesen/!5911733
[2] /Neue-Prognose-fuer-Klimawandel/!5174584
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Hamburger_Hallig
[4] https://www.uni-hamburg.de/newsroom/presse/2017/pm55.html
[5] /Noch-keine-Apokalypse/!vn5910598
[6] https://serc.si.edu/gcrew
[7] https://www.smithsonianmag.com/science-nature/marshlands-perfect-lab-studyi…
## AUTOREN
Uta Schleiermacher
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