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# taz.de -- Fußballheld aus Bremen: Vom Hitlerjungen zum Versöhner
> In Bremen erinnert eine Gedenktafel an den ehemaligen
> Manchester-City-Torwart Bert Trautmann. Er überzeugte in England durch
> sein aufrichtiges Bereuen.
Bild: Fang den Ball: Bernd Trautmann aus Bremen war Torwart bei Manchester City
Bremen taz | Wer zur Wischhusenstraße im Stadtteil Gröpelingen möchte, muss
tief in den Bremer Westen eintauchen. Die Straßenbahn endet einen halben
Kilometer vorher, kurz vor dem Diakonissen-Krankenhaus, hinter
Admiral-Sportwetten und dem Sila Kebab Haus, geht es rechts ab in eine
Wohnstraße mit zweigeschossigen Reihenhäusern. Hinter einer Rechtskurve
mündet eine eineinhalb Meter hohe Hecke in eine Gruppe üppiger Linden,
hinter der Hecke tragen die Häuser das gleiche helle Grau. Seit 2016 stehen
sie unter Denkmalschutz und dürfen ohne Zustimmung nicht verändert werden.
Lediglich an der Nummer 32 gibt es seit einem Monat einen amtlich
genehmigten Farbklecks. Etwas eingeklemmt zwischen zwei Fenstern hängt eine
weiß beschriftete [1][blaue Tafel].
Das Foto rechts oben zeigt den Kopf eines ernst dreinblickenden jungen
Mannes mit markanten Stirnfalten und Gesichtszügen über einem Rollkragen.
„Hier lebte ab 1931 Bernhard „Bert“ Trautmann (22. 10. 1923 – 19. 7. 20…
ist der Text überschrieben. Dessen zentraler Satz lautet: „Nach dem 2.
Weltkrieg und Kriegsgefangenschaft wurde er zum Pionier der
englisch-deutschen Aussöhnung“. Ein Denkmal am Denkmal also.
Die Straße gehört zum größten zusammenhängenden Bremer Siedlungsbau der
Weimarer Republik. Die Häuser wurden zwischen 1929 und 1931 von der Stadt
errichtet, um die Wohnungsnot der Hafen- und Werftarbeiter zu lindern. Ganz
in der Nähe stand die Großwerft AG Weser, die 1983 in den Konkurs getrieben
wurde.
## Die Straße gehört uns
Der Vater von Berni, wie der spätere Torwart damals genannt wurde, war
Hafenarbeiter. „Die Wohnhäuser waren Sozialbauten in eintönigem Grau,
solide und zweckmäßig errichtet, für jeweils vier Familien. Zu jedem Haus
gehörten ein Keller und ein großer Dachboden“, schreibt Catrine Clay in
ihrer Biografie „Trautmanns Weg“. Bei der Einweihung der Tafel sagte die
ehemalige Nachbarin Rita Bues, 96, dem Stadtteilkurier: „Wir waren eine
Clique, die Straße hat uns gehört.“
Mit der öffentlichen Erinnerung an den „Weltstar aus der Wischhusenstraße“
taten sich Stadt und Land lange schwer. Fußballfans war zwar bekannt, dass
ein Bremer als erster Ausländer in England zum Fußballer des Jahres gewählt
wurde.
Und dass er, dessen Torwart-Talent erst im Kriegsgefangenenlager entdeckt
wurde, bei seinem Klub Manchester City immer noch Kultstatus genießt – vor
allem, weil er 1956 trotz eines später diagnostizierten Genickbruchs
siebzehn Minuten vor Ende entscheidend zum Gewinn des englischen
Pokalfinales beitrug.
## Medaille im Granatenwerfen
Aber da war auch die Geschichte des Hitlerjungen Berni aus der
Wischhusenstraße, der bei Reichsjugendwettkämpfen im Berliner
Olympiastadion Medaillen im Weitsprung und im Granatenwerfen gewann und
sich mit 17 Jahren freiwillig zur Luftwaffe meldete. Der als
Fallschirmjäger an der Ostfront und in den Ardennen kämpfte. Taugt so
jemand zum Vorbild?, fragten sich einige. Andere nahmen ihm eher übel, dass
er sich nach dem Krieg entschied, in England zu bleiben. Und Bundestrainer
Sepp Herberger wollte für die Nationalmannschaft sowieso keine Spieler, die
im Ausland kickten.
Auch in England hatte er nach der Entlassung aus der Gefangenschaft
zunächst einen schweren Stand. Gegen die Entscheidung des Clubs, einen
Ex-Nazi und früheren deutschen Fallschirmjäger aufzustellen, demonstrierten
in Manchester über 20.000 Menschen. Erst der Appell des Rabbiners Alexander
Altmann, der 1938 vor den Nazis aus Berlin nach Manchester geflohen war,
Trautmann als einzelnen Menschen zu betrachten, beruhigte die Gemüter.
„Traut the Kraut“ überzeugte die Engländer mit seiner freundlichen Art,
seinem aufrichtigen Bereuen seiner Nazi-Vergangenheit und dem Bekenntnis,
in England zum Demokraten geworden zu sein. Zu seinem Abschiedsspiel kamen
70.000 Menschen. 2004 ernannte ihn die Queen für seine Verdienste um die
englisch-deutsche Verständigung zum „Officer of the British Empire“. „A
handshake in German ist the same as a handshake in English“, lautet
Trautmanns bekanntestes Zitat.
## Konsequente Wende
Einzelne Aktivisten und Trautmanns Jugendverein Tura sorgten dafür, dass
diese Verdienste auch hierzulande langsam sichtbarer wurden. 2008 erhielt
er den Walter-Bensemann-Preis sowie das Bundesverdienstkreuz, seine
Biografie wurde ins Deutsche übersetzt, in Gröpelingen wurde ein Platz nach
ihm benannt, und die Tura-Mitglieder Ekkehard Lentz und Wolfgang Zimmermann
konzipierten [2][eine Ausstellung], die durch die Republik tourt.
Der [3][Kinofilm „Trautmann“] bereitete die Thematik für ein Massenpublikum
auf. „Mich beeindruckt es immer wieder, wenn ein Mensch, der sein Leben an
Feindbildern ausgerichtet hatte, die konsequente Wende weg von Hass hin zu
Mitmenschlichkeit schafft“, sagt die Gröpelingerin Heike Oldenburg, die zu
Trautmanns zehntem Todestag die Gedenktafel initiiert hat.
Und schon im Oktober wird es eine weitere Ehrung geben – zu seinem 100.
Geburtstag kommt eine [4][Bert-Trautmann-Briefmarke] heraus.
24 Aug 2023
## LINKS
[1] https://www.tura-bremen.de/BertTrautmann.html
[2] https://tura-bremen.de/download/Ausstellung-Trautmann-web.pdf
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Trautmann_(Film)
[4] https://www.bundesfinanzministerium.de/Monatsberichte/2023/03/Inhalte/Kapit…
## AUTOREN
Ralf Lorenzen
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