Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die älteste Videothek der Welt: Filme, die niemand sehen will
> In Kassel befindet sich die älteste Videothek der Welt. Filme leiht dort
> aber fast niemand mehr aus. Wichtiger ist das Festival demnächst.
Bild: Illustration der letzten Videothek Kassels, und des kleinsten Kinos der S…
Kassel taz | Irgendetwas stimmt hier nicht. Wo ist der Muff? Dieser Geruch
nach abgegriffenem Plastik, der einem entgegenschlägt, wenn man eine
Videothek betritt. Kein dicker Teppichboden, der die Schritte schluckt,
stattdessen anthrazitfarbene Fliesen. Frisch ist die Luft im [1][Film-Shop
Kassel] trotzdem nicht. Die Sommerhitze liegt über der Stadt, der
Feierabendverkehr fließt zäh über die Kreuzung von Grünem Weg und Erzberger
Straße, fünf Minuten Fußweg vom Hauptbahnhof. Die Luft ist drückend, die
Sonne knallt durch die Schaufensterscheiben des 50er-Jahre-Baus. Der
Ventilator hinter der Theke ist zwar an, aber machtlos.
Hochdruckgebiete sind für Videotheken von jeher schlecht fürs Geschäft. Für
den Film-Shop ist die Wetterlage aber erst mal egal. Denn eine richtige
Videothek ist er nicht mehr. Man kann sich zwar noch DVDs ausleihen, aber
das macht kaum noch jemand.
„Manchmal bin ich froh, wenn überhaupt jemand kommt“, sagt Harald Schwabe,
dienstältester und einziger Mitarbeiter. Meist seien es Filmfans,
Neugierige oder Touristen, die kommen, um sich die älteste Videothek der
Welt anzuschauen, als die der Film-Shop offiziell im Guinnessbuch der
Rekorde gelistet ist.
1975 hat seine Geschichte an einem anderen Standort begonnen. Drei Jahre
später zog Betreiber Eckhard „Ecki“ Baum mit seinen Super-8-Spielfilmen in
die Erzbergerstraße 12. Dann kamen die Videokassette, die DVD und Blu-Ray.
Eckhard Baum blieb. Bis er 2017 ankündigte, er wolle in Rente gehen. Und da
der [2][Verein Randfilm] einen Vereinssitz suchte und den Laden nicht
sterben lassen wollte, sammelte er Geld und übernahm den Film-Shop.
## Faible für abseitige Filme
Zwar sind die Randfilmer eher für ihr Faible für abseitige Filme bekannt
als für ihr handwerkliches Geschick, doch ein bisschen Umbau kriegen auch
„Filmnerds“ hin. Ein paar Wände wurden entfernt, ein bisschen frische Farbe
an die Wand, das Kiez-Kino eingerichtet, ein dunkler Raum im Herzen des
Film-Shops, wo etwa zwei Dutzend Stühle Platz finden. Zu viel wollten sie
nicht verändern. „Die alte Patina sollte erhalten bleiben, da stehen die
Leute ja auch drauf“, sagt Randfilm-Mitglied Frank Erftemeier.
Harald Schwabe ist der Experte für das Vorher-Nachher. Der 52-Jährige war
erst Kunde, vor 25 Jahren stellte Eckhard Baum ihn ein: „Jetzt haben mich
die Leute von Randfilm quasi geerbt.“ Er schält sich hinter der Theke mit
Glasauslage hervor. Von seinem T-Shirt glotzt ein mürrischer Pinguin. „Hier
war alles verwinkelter und noch viel voller.“ Hinter dem Kiez-Kino und dem
Thekenraum sind in schmalen Gängen Filme thematisch oder nach Regisseuren
geordnet. Handbeschriebene Pappstreifen trennen „Zombie“ von „Slasher“,
„Frankenstein“ von „SiFi-Horror“.
Alte VHS-Hüllen dienen als Regale. Man muss ein bisschen Geduld haben beim
Suchen oder man fragt Schwabe. Er hat zwar nicht alle 20.000 Titel im Kopf,
aber die meisten. Es gibt Computer, Neukunden werden aber per Karteikarte
aufgenommen. Heute ist kein Kärtchen hinzugekommen, im Film-Shop ist
trotzdem was los. „Wer hat denn Zeit, dabei zu sein, wenn die Technik
kommt?“ oder: „Würstchen und Brötchen besorgen wir im Großmarkt.“
Dass Bratwurst und Cineastik eng miteinander verzahnt sind, liegt nicht nur
am nordhessischen Setting, sondern vor allem daran, dass die Vorbereitungen
für das jährliche Filmfestival „Randfilm“ in den letzten Zügen sind. Bei
Bier, Limo und Chips sitzt eine gute Handvoll Randfilmmitglieder auf
Stühlen und Bänken im Eingangsbereich des Film-Shop und geht Listen durch.
„Wir zeigen Filme, die keiner sehen will“, sagt Volker Beller. Abseitiges,
was vielleicht mal auf dem Index war und wieder verfügbar ist, irgendein
Film, der plötzlich in einschlägigen Internetforen gehypt wird. Die Wege,
wie Filme es bei Randfilm in den Vorführraum schaffen, sind vielseitig.
Harald Schwabe lehnt auf der Theke, beißt in einen Schokoriegel und
schweigt dazu. Er sei „mehr Mainstream als Randfilm“ sagt er, Lieblingsfilm
„Braveheart“. Hinter ihm lächelt Eckhard Baum vielfach von der Wand,
eingerahmt oder in Klarsichthülle gepackt, immer mit Prominenten an seiner
Seite. Udo Lindenberg, Karl Dall, Fats Domino oder das ehemalige
Pornosternchen Sibylle Rauch, letztere beide hat Baum gemanagt. Sein
ehemaliger Laden zählt mittlerweile mehrere Superlative. Der Film-Shop ist
nicht nur die „weltälteste“, sondern auch die letzte Videothek Kassels und
beherbergt das kleinste Kino der Stadt.
Draußen wird es dunkel und ein bisschen kühler. Langsam fängt die Luft im
Film-Shop wieder an zu zirkulieren. Und dann ist da doch noch ein
besonderer Geruch, einer den nur ganz feine Nasen ausmachen: ein zarter
Hauch von kaltem Zigarettenrauch, der sich in über 40 Jahren zwischen dem
Inventar festgesetzt hat.
18 Sep 2023
## LINKS
[1] https://film-shop.org/
[2] https://www.randfilm.de/
## AUTOREN
Juliane Preiß
## TAGS
Schwerpunkt Stadtland
wochentaz
Kassel
Video
Guinness Book of Records
Streaming
wochentaz
Schwerpunkt Stadtland
Schwerpunkt Stadtland
Schwerpunkt Stadtland
Schwerpunkt Stadtland
Schwerpunkt Stadtland
## ARTIKEL ZUM THEMA
taz-adventskalender „24 stunden“ (19): 19 Uhr in der Videothek
Das Videodrom kämpft seit Jahren gegen die Streaming und ausbleibende
Einnahmen. Zu Besuch in einer Videothek, die dem Kommerz trotzt.
Ex-Brauereihochhaus in Dortmund: Das omnipräsente U
Früher Europas Bierstadt Nr. 1 und heute? Eine Spurensuche in Dortmund, wo
die kreative Kultur in einem Brauereihochhaus ein Zuhause fand.
Wanderung zum historischen Gefängnis: Gesetze, Zucht und Ordnung
Der Hohenasperg ist wie kein anderer Ort in Baden-Württemberg. Er ist eine
Demonstration von Macht und Herrschaft – und ein beliebtes Ausflugsziel.
KZ-Gedenkstätte Neuengamme: Und vorm Fenster das Elend des KZ
Mitten auf dem Gelände des einstigen KZ Neuengamme steht das
Kommandantenhaus. Dort wohnte Lagerleiter Max Pauly mit Familie. Eine
Ortsbegehung.
Kippenwälder in der Lausitz: Bäume, die auf Kohle stehen
Wald in der Lausitz heißt vor allem Kippenwald auf den Tagebauflächen. Dort
dominieren weiterhin Kiefern, denn die Laubbäume sind teuer.
Fußballheld aus Bremen: Vom Hitlerjungen zum Versöhner
In Bremen erinnert eine Gedenktafel an den ehemaligen
Manchester-City-Torwart Bert Trautmann. Er überzeugte in England durch sein
aufrichtiges Bereuen.
68er-Film im Historischen Museum: Die rote Fahne über Schöneberg
Ist es nur ein Spiel mit Farbe oder doch der Probelauf zur Revolution? Gerd
Conradts 68er Film „Farbtest. Die rote Fahne“ hat es ins Museum geschafft.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.