| # taz.de -- taz-adventskalender „24 stunden“ (19): 19 Uhr in der Videothek | |
| > Das Videodrom kämpft seit Jahren gegen die Streaming und ausbleibende | |
| > Einnahmen. Zu Besuch in einer Videothek, die dem Kommerz trotzt. | |
| Bild: Ein Widerstandskämpfer im Hawaiihemd: Karsten Rodemann | |
| Stressig und chillig, hässlich und schön, herzerwärmend und abstoßend: | |
| Berlin hat viele Seiten, rund um die Uhr. In diesem Advent hangeln wir uns | |
| durch 24 Stunden Hauptstadtleben und verstecken jeden Tag aufs Neue 60 | |
| Minuten Berlin hinter unserem [1][taz-berlin-Kalendertürchen]. Heute: ab 19 | |
| Uhr im Videodrom in Kreuzberg. | |
| Nicht alle Widerstandskämpfer heißen Asterix und tragen einen Flügelhelm. | |
| Manchmal haben sie auch eine Vorliebe für Hawaiihemden und betreiben eine | |
| hauptberuflich eine der letzten Videotheken in Berlin. Die Rede ist von | |
| Karsten Rodemann, dem Inhaber des Videodroms im Bergmannkiez. „Gallierdorf“ | |
| nennt Rodemann seine Programmvideothek als letzte Bastion gegen Streaming | |
| und Kommerz. | |
| An einem verregneten Dezembertag steht Rodemanns Partnerin Christine Pursch | |
| hinter dem Tresen. 19 Uhr ist eigentlich Prime Time, aber an diesem Abend | |
| geht die Tür nur vereinzelt auf. Dann kommen nassgeregnete Gestalten in den | |
| kleinen Raum, wischen sich die Brillen sauber und holen eine DVD-Hülle zur | |
| Rückgabe hervor. „Ich hoffe, sie ist trocken geblieben“, sagt ein Kunde. | |
| Später wird Pursch die DVD in den Bestand einsortieren. Zwei kleine Räume, | |
| die beinahe aus allen Nähten platzen. Über 40.000 Filme stehen in den | |
| Regalen des kleinen Ladenlokals – von brandneuen Blockbustern bis zu dem | |
| ältesten Film der Filmgeschichte aus dem Jahr 1895. Dieses Sortiment | |
| beschert dem Videodrom die Bezeichnung „größte Programmvideothek | |
| Deutschlands“. | |
| Doch das Videodrom bleibt trotz Kultstatus nicht vom [2][generellen | |
| Schicksal der Videotheken] verschont. Während Streaming Volkssport ist, | |
| schrumpfte die Zahl der Videotheken in Deutschland 2024 auf unter 50. 2008 | |
| waren es noch zehnmal so viele. Auch die finanzielle Situation des | |
| Videodroms ist angespannt. „Wenn wir nicht so treue und wunderbare | |
| Kund:innen hätten, die uns immer wieder Geld und Filme spenden, gäbe es | |
| uns schon lange nicht mehr“, sagt Pursch. Also machen sie weiter, nach dem | |
| Motto: der Widerstand bleibt. | |
| ## Liebe fürs Detail | |
| Über jeden Film, der hier über die Theke geht, wissen sie eine kleine | |
| Anekdoten zu erzählen: mal witzige Geschichten über die Filmproduktion, | |
| mal schrullige Details über das Leben der Regisseure. Genau diese Hingabe | |
| schätzen die Kund:innen. So ist es nicht verwunderlich, dass einige seit | |
| der Eröffnung 1984 jeden Tag den Weg durch die steile Friesenstraße im | |
| Bergmannkiez zu ihnen finden. | |
| Neben älteren Stammkund:innen, gibt es zunehmend auch jüngere, die sich an | |
| Netflix sattgesehen haben und statt auf Algorithmus lieber auf kundige | |
| Empfehlungen setzen. Viele der DVDs in den Regalen des Videodrom sind mit | |
| persönlichen Notizzetteln versehen. „Haufen empfiehlt“, ist da | |
| beispielsweise zu lesen. | |
| „Haufen“ – das ist Karsten Rodemanns Pseudonym, genauer gesagt „Graf | |
| Haufen“. „Der Name war ein pubertärer Einfall“, erzählt der | |
| [3][selbsternannte Graf] grinsend. Maßgeblich dadurch entstanden, dass sich | |
| „Kassetten kaufen“ auf „Haufen“ reimt. Seine Mutter ist die einzige, die | |
| auch mal Häufchen sagen darf. | |
| ## Underground und Abseitiges | |
| Immer wieder suchen Haufen und Christine Pursch nach neuen Schätzen für das | |
| Videodrom – wie „Trüffelschweine“, sagt sie. Bei der Auswahl geht es ihn… | |
| nicht darum, einfach nur Novitäten anzubieten, sondern auch um | |
| „Underground“ und Abseitiges des Kinos. Man versteht sich auch als | |
| Filmarchiv, als Gegenentwurf zu schnelllebigen und flüchtigen | |
| Streaming-Inhalten. „Wir beschaffen viele Filme, die sonst verschwinden | |
| würden“, sagt Pursch. | |
| Würden sie das Videodrom aus unternehmerischen Gründen führen, so wäre der | |
| Laden wohl längst geschlossen. Doch bereits beim ersten Schritt ins | |
| Videodrom ist klar: Ein kommerzieller Ort ist das hier nicht. Auf der | |
| [4][Website] heißt es dementsprechend „Denn mit guten, auch ungewöhnlichen | |
| Filmen wird man nie reich. Höchstens berühmt …“ Doch mit einem Seufzer sa… | |
| Pursch: „Wir träumen insgeheim von einem großzügigen Mäzen, mit dessen | |
| finanzieller Unterstützung der Fortbestand des Videodroms gesichert wäre.“ | |
| 19 Dec 2024 | |
| ## LINKS | |
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| [3] /!5335430/ | |
| [4] http://www.videodrom.com/intro.php | |
| ## AUTOREN | |
| Katharina Wulff | |
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