| # taz.de -- Videothekar über die Gegenwart: „Unser größter Feind ist die T… | |
| > Videotheken im ganzen Land sind gestorben. Im ganzen Land? Mitten in | |
| > Kreuzberg trotzt Graf Haufens „Videodrom“ dem Zeitgeist. Ein Interview. | |
| Bild: Der Inhaber Graf Haufen in der Tür seines „Videodrom“ in der Friesen… | |
| 40 Jahre, 40.000 Filme. Die Videothek [1][„Videodrom“ ist eine Berliner | |
| Institution], die Razzien, Streaming und Pandemie bis heute übersteht. Wo | |
| es früher ein zehnköpfiges Team gab, stehen Graf Haufen und seine Partnerin | |
| Christine heute allein im Laden. Ein Gespräch über Vorurteile, moderne | |
| Vermarktung und Netflix. | |
| taz: Graf Haufen, wie oft ist das Videodrom in über 40 Jahren schon | |
| totgesagt worden? | |
| Graf Haufen: Ach, das ist ein tägliches Ding. Leute gehen vorbei und | |
| fragen: „So was gibt es noch?“ Dass es viel mehr ist als eine Sammlung von | |
| Filmen, sehen viele nicht, und das zu kommunizieren, ist wahnsinnig | |
| schwierig. Zumal es auch abprallt, weil die Bequemlichkeit siegt. Man sitzt | |
| auf dem Sofa, drückt einen Knopf und dann läuft irgendein Film. | |
| taz: Kommen überhaupt neue Kund:innen nach? | |
| Haufen: Wir merken, dass verstärkt auch jüngere Leute kommen. Die sagen | |
| etwa „[2][Netflix, Amazon Prime], alles ganz schön. Aber man findet die | |
| Sachen nicht, die man sucht, oder sie sind nicht mehr verfügbar.“ Was sich | |
| in den letzten 40 Jahren grundlegend verändert hat, ist die Bereitschaft, | |
| selbstständig tiefer zu buddeln. Angenommen, jemand hat einen Film von | |
| [3][Howard Hawks] geguckt, fand den super, fragt sich, was hat der noch | |
| gemacht? Dann einfach mal 20 Filme aus seinem Oeuvre zu gucken, das | |
| passiert nur noch ganz selten. | |
| taz: Was denken Sie, warum hat sich das verändert? | |
| Haufen: Ich glaube, der Informationsdruck durch Smartphones und Co hat | |
| massiv zugenommen und das ist ein Grund, aus dem Leute nach irgendwas | |
| suchen, das sie ein bisschen ablenkt. Deshalb funktioniert ein Format wie | |
| Netflix. Denn wenn man sich die Qualität des Contents anguckt, ist die | |
| relativ gering. Gerade die Eigenproduktionen, gerade auch die Serien. Es | |
| gab immer mal welche, die wirklich toll waren. Aber mittlerweile wird das | |
| Produkt nur noch danach geformt, wo man das Publikum vermutet. | |
| taz: Trotzdem sind Serien weiterhin sehr beliebt. Liegt es daran, dass der | |
| Content sozusagen snackable ist? | |
| Haufen: Definitiv. Und es sind Ersatzfamilien. Man taucht in ein kleines | |
| Universum ein, in dem man die Sicherheit hat, nur zuzugucken. Schaut man | |
| eine Serie, die man mag, weiß man außerdem: Die nächsten acht Stunden | |
| werden wahrscheinlich auch ziemlich gut. | |
| taz: Heißt das, Film bedeutet mehr Risiko? | |
| Haufen: Film ist Risiko. Darauf muss ich mich einlassen. Früher haben sich | |
| Leute aufgrund der Cover entschieden, etwas auszuleihen. Wir empfehlen ja | |
| Filme, die wir gut finden, und merken: Viele gehen nur noch danach. | |
| taz: Was können Filme, das Serien nicht können? | |
| Haufen: Theoretisch können Serien einiges besser, weil sie mehr Zeit haben, | |
| Dinge entwickeln können. Was bei Serien reinspielt, ist, dass sie in der | |
| Produktion deutlich teurer sind, Superheldenfilme oder Mega-Blockbuster mal | |
| ausgenommen. Der Druck, finanziell erfolgreich zu sein, ist also noch | |
| größer, was wiederum dazu führen kann, dass bestimmte kreative | |
| Entscheidungen gefällt werden. Da kann ein Film eben wagemutiger sein in | |
| gewissen Grenzen. | |
| taz: Anders als früher sind Sie heute bei Instagram. Haben Sie mal über | |
| neue Vermarktungsstrategien für das Videodrom nachgedacht? | |
| Haufen: Ich stehe dem sehr skeptisch gegenüber, allem, was mit sozialen | |
| Netzwerken zu tun hat. Gerade bei unseren Spendenaktionen hat es sehr | |
| geholfen. Aber richtig Content zu produzieren, um damit lokal was zu | |
| erreichen, ist sinnlos. Wenn wir über einen Film bei Facebook oder Insta | |
| schreiben, liken das ein paar Leute und sagen, finde ich super. Aber im | |
| Laden merken wir davon nichts. | |
| taz: Sagt Ihnen der Name [4][Klaus Willbrand] etwas? Das ist ein Kölner | |
| Antiquar, der kürzlich verstorben ist. | |
| Haufen: Nein. | |
| taz: Weil die Kundschaft irgendwann fast ausblieb, ließ er sich darauf ein, | |
| es mit Social Media zu versuchen. Bei Instagram hatte man bald 150.000 | |
| Follower:innen, so kamen auch neue Kund:innen. Der Laden konnte | |
| weitergeführt werden. Für Willbrand war es auch ein Gewinn, zu sehen, wie | |
| viele junge Leute sich für sein Fach interessieren. | |
| Haufen: Es gibt da einen fulminanten Unterschied: Bestimmte Literatur ist | |
| nicht unbedingt verfügbar online. Bei Filmen ist das schon so. Wer die | |
| Quellen kennt, kann sich quasi alles besorgen. Das Antiquariat kann nach | |
| außerhalb liefern. Wir machen auch Fernverleih, aber nur im Rahmen einer | |
| Mitgliedschaft damit man Regelmäßigkeit hat. Das heißt, über soziale | |
| Netzwerke Leute in den Laden zu bringen, die möglichst noch in der Nähe | |
| wohnen, ist kompliziert. Und willst du einen Film auf DVD gucken, brauchst | |
| du mindestens einen DVD-Player und einen Fernseher oder Computer. | |
| taz: Sie verleihen auch Abspielgeräte, oder? | |
| Haufen: Ja, aber da heißt es oft: Ach, das muss ich auch noch leihen. | |
| taz: Nun liegt das Videodrom mitten in Berlin, ist das nicht ein | |
| Standortvorteil? | |
| Haufen: Ja, aber selbst Leute aus Schöneberg sagen, der Weg sei zu weit. | |
| Ich sag ja, unser größter Feind ist die Trägheit. | |
| taz: Während Netflix hierzulande rund 5.000 Filme und 2.000 Serien | |
| anbietet, haben Sie über 40.000 Filme und auch Serien im Bestand. Was | |
| spricht noch für Sie? | |
| Haufen: Alles, was wir jemals anschaffen, bleibt. Man kann bei uns von | |
| [5][Hitchcock] nicht nur Psycho und Fenster zum Hof sehen, sondern in der | |
| Stummfilmzeit anfangen, bei seinen allerersten Versuchen und selbst die | |
| eher obskuren Propagandafilme finden, die er im Krieg gemacht hat für die | |
| Briten. Online ist das für die meisten extrem schwierig. Und wir kennen uns | |
| sehr gut mit Filmen aus, können mit unserer Erfahrung persönliche | |
| Empfehlungen geben oder bei der Auswahl helfen. | |
| taz: Was ist eigentlich das größte Vorurteil über Sie als Videothekar? | |
| Haufen: Dass ich nur Hawaii-Hemden trage. | |
| taz: Ich dachte, das wollten Sie lieber nicht mehr über sich lesen? | |
| Haufen: Stimmt, verdammt. Nun gut. Dann vielleicht, dass ich ein Nerd bin, | |
| der zu viel redet. Wir reden einfach gern über Filme, Christine und ich. | |
| Gerade wenn es Sachen sind, für die wir brennen. | |
| 11 Aug 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Katharina Böhm | |
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