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# taz.de -- Kinotipp der Woche: Eine Woche Todesfälle
> Zum Auftakt der neuen Reihe „Pleasure Dome“ mit Klassikern des Horror-,
> Martial-Arts- und Erotikkinos würdigt der Filmrauschpalast Jörg
> Buttgereit.
Bild: „Der Todesking“ (1989), Regie: Jörg Buttgereit
Ein akkurat gekleideter Mann geht durch die Straßen Westberlins nach Hause,
setzt sich an den Schreibtisch und beginnt Briefe zu schreiben. Ist einer
fertiggestellt, wandert er auf den wachsenden Stapel unter einer
Schneekugel.
Dann greift er zum Telefon und reicht die Kündigung ein. Nach all diesen
Erledigungen lässt er sich ein Bad ein, zieht sich aus und bringt sich um.
Jörg Buttgereits „Der Todesking“ von 1989 zeigt eine Woche Todesfälle. Der
Film ordnet zunächst jedem Tag der Woche eine kurze Episode zu, die vom Tod
handelt.
Am Dienstag leiht sich Horst Kastecki im Videodrom einen
Naziploitation-Film aus und als seine Partnerin ihn beim Videogucken stört,
erschießt er erst sie und erhängt dann sich selbst. Gegen Ende der Woche
öffnet sich die Form zunehmend. „Der Todesking“ läuft am Sonntag (14. 7.)
[1][im Filmrauschpalast in Moabit] in einem Double Feature mit Buttgereits
Horrorfilm „Schramm“ von 1993.
Das Programm ist der Auftakt zu einer neuen Reihe namens „Pleasure Dome“,
in der die Gruppe „Zelluloid Zweiundvierzig“ einmal im Monat Klassiker des
Horror-, Martial-Arts- und Erotikkinos von analogen Filmkopien zeigt. Der
Name der Gruppe nimmt Bezug auf die Kinokultur der New Yorker 42nd Street,
in der ebendiese Filmnischen aufeinandertrafen. Bei der Vorführung am
Sonntag wird Jörg Buttgereit anwesend sein.
Mit [2][Jörg Buttgereit] nimmt die Reihe einen Filmemacher zum
Ausgangspunkt, dessen Arbeiten an der Schnittstelle zwischen Westberliner
Subkultur und Experimentalfilm entstanden. Gerade in „Der Todesking“ ist
diese Herkunft unübersehbar. Davon zeugen zahlreiche Referenzen auf diese
Subkultur vom Videodrom über einen kurzen Auftritt von Bela B. als
Gitarrist einer Heavy-Metal-Band bis zu Mark Reeders Auftritt in
Lederoutfit in dem fiktiven Naziploitation-Film.
Die Episoden von Buttgereits Film sind dialogarm erzählt und setzen eher
auf ihre Bildwelten – eine Ästhetik, die dessen Filme nicht zuletzt deshalb
prägt, weil es im analogen Amateur- und Experimentalfilmbereich
hinsichtlich der Ausstattung sehr viel einfacher war, den Ton nicht direkt
aufzunehmen, sondern nachträglich zu synchronisieren.
„Schramm“, vier Jahre später entstanden und Buttgereits vierter Spielfilm,
ist im Vergleich deutlich konventioneller. Der Taxifahrer Lothar Schramm
driftet zunehmend zwischen Fantasie und Realität hin und her. Dieser
Wechsel prägt auch die Ästhetik des Films. Als er von einem Paar an der Tür
auf Gott angesprochen wird, bringt er beide bei sich im Wohnzimmer um und
inszeniert die toten Körper. Gleichzeitig fantasiert Schramm von einer
Beziehung mit einer jungen Frau, die neben ihm wohnt und in ihrer Wohnung
Freier empfängt.
Buttgereits Filme sind noch immer interessante Kreuzungen aus Genre- und
Experimentalfilmen. Vor allem bei „Der Todesking“ kommt eine Art
fiktional-dokumentarisches Element dazu, das er in der Inszenierung von
Alltäglichkeiten des Westberliner Lebens wieder sichtbar werden lässt.
Leider ist in beiden Werken die im Genrefilm vor allem männlicher
Regisseure nach wie vor übliche Misogynie unübersehbar. Vor allem „Der
Todesking“ ist jedoch in seiner ungewöhnlichen und beeindruckenden Mischung
von Alltagsszenen, Inszenierung, Genreversatzstücken und ästhetischem
Wollen noch immer sehr eindrucksvoll.
Die Vorführung ist eine der rar gewordenen Gelegenheiten, mal wieder zwei
Beispiele aus dem Werk von Buttgereit von schönen, analogen Kopien im Kino
zu sehen. Zum Vormerken: im September folgen dann im Filmrauschpalast
schwule Avantgardepornos aus den 1970er und 1980er Jahren.
10 Jul 2024
## LINKS
[1] https://kulturfabrik-moabit.de/category/programm/film/
[2] /Autobiografie-von-Joerg-Buttgereit/!5948602
## AUTOREN
Fabian Tietke
## TAGS
Filmgeschichte
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Horrorfilm
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