| # taz.de -- Polnischer Filmklassiker wieder im Kino: Die kaputte Pracht von Wes… | |
| > Alles radikal affektgesteuert: Der polnische Filmklassiker „Possession“ | |
| > von Andrzej Żuławski von 1981 kommt digital restauriert wieder ins Kino. | |
| Bild: Wo ist das Monster? Isabelle Adjani und Sam Neill in „Possession“ | |
| Mark kommt von einer Dienstreise nach Hause, zurück nach Westberlin, und | |
| findet seine Ehe in Auflösung vor. Seine Frau Anna will nicht mehr mit ihm | |
| zusammen sein, sie braucht Abstand. Wenig später wird dann klar: Sie hat | |
| einen anderen. Mark reagiert mit enervierend kühler Ratio, aber darunter | |
| brodelt es heftig. Noch bevor die ersten fünfzehn Minuten rum sind, hat das | |
| unglückliche Paar unter lautem Geschrei ein Café zerlegt. | |
| Geschrien wird in Andrzej Żuławskis Film „Possession“ ohnehin ausgiebig. | |
| Sam Neill und Isabelle Adjani spielen ein Schreckenspaar, das es mit den | |
| denkwürdigsten Schreckenspaaren der Filmgeschichte locker aufnehmen kann: | |
| Richard Burton und Elizabeth Taylor in „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“, | |
| [1][Liv Ullmann und Erland Josephson in „Szenen einer Ehe]“, das ist so die | |
| Liga. | |
| Żuławskis 1981 entstandener Film kommt jetzt wieder in die Kinos, und man | |
| versteht beim Wiedersehen, warum und mit welchen Mitteln „Possession“ sich | |
| so sehr ins Filmgedächtnis eingebrannt hat. Es gibt in der Geschichte des | |
| Kinos – bis auf die wagemutigsten Momente im Werk von [2][David Cronenberg] | |
| und David Lynch – wenig Vergleichbares. | |
| ## Das Tentakelwesen | |
| Beim Wort „Genre“ geht es aber schon los. „Possession“ ist schon irgend… | |
| ein Horrorfilm. Ein Monster spielt eine zentrale Rolle: ein Tentakelwesen, | |
| mit dem Anna schläft und ihren vormaligen Liebhaber verfrühstückt. Aber | |
| eigentlich ist „Possession“ ein Autorenfilm, der nur seinen eigenen | |
| Gesetzen folgt. Oder vielleicht auch gar keinen. | |
| Die Ehekrise ist das narrative Zentrum des Films, der Komplex, um den herum | |
| sich am ehesten so etwas wie ein Plot anordnet. Mark forscht nach, findet | |
| Heinrich, den Liebhaber seiner Frau. Ein sehr viriler Mann, der ihm dann | |
| gleich auch erst einmal aufs Maul haut und ihn freundlich, aber bestimmt | |
| über die Schulter wirft und vor die Wohnungstür setzt. Aber Heinrich ist | |
| eigentlich nicht Marks Problem. Der Endgegner ist das erwähnte | |
| Tentakelwesen. | |
| Als Film über Eifersucht funktioniert „Possession“ prächtig. Sam Neill | |
| spielt den gehörnten Ehemann nicht einfach nur, sondern agiert die Kränkung | |
| in angespanntem Overacting aus. Isabelle Adjani geht in ihrer Rolle | |
| ebenfalls auf, kreischt und überdreht ununterbrochen. | |
| ## Sperrig und exaltiert | |
| Das Schauspiel ist dann auch der Punkt, an dem „Possession“ heute sperrig | |
| wirkt. Wenn man für die exaltierten Darstellungen nicht empfänglich ist, | |
| wird es ermüdend. Wenn man aber in den Rhythmus der Körper mit einschwingt, | |
| entfalten die Bilder auch fast ein halbes Jahrhundert nach ihrer Entstehung | |
| eine ungeheure Intensität. | |
| Die rührt auch daher, dass „Possession“ weder den Mann noch die Frau | |
| denunziert. Wo alles radikal affektgesteuert ist, stellen sich Moralfragen | |
| gar nicht erst. Andrzej Żuławski hat eine filmische Sprache entwickelt, die | |
| eine moralische Evaluation der Figuren auf eine eigentlich erleichternde | |
| Weise lächerlich werden lässt. | |
| ## Große Schmerzen | |
| „Es gibt kein Gut und Böse!“, schreit Anna ihren moralisierenden Ehemann | |
| an. Und man glaubt es ihr in dem Moment aufs Wort. Andererseits macht sich | |
| „Possession“ auch nicht über Mark lustig. Wenn der Mensch, den man liebt, | |
| mit einem omnipotenten Tentakelwesen ins Bett geht, ist das eben | |
| schmerzhaft. Und „Possession“ ist nicht zuletzt ein Film über Menschen, die | |
| sehr große Schmerzen haben. | |
| Man kann „Possession“ auch deswegen immer wieder sehen, weil er ungemein | |
| mehrschichtig ist. Der Film ist eine Geschichte über Menschen, die nicht | |
| lieben können, eine manische Eifersuchtsfantasie, ein Film über Farben, ein | |
| Film über Doppelgänger, ein Horrorfilm, ein Film über die alte | |
| Bundesrepublik, das verschwundene Westberlin, das in diesen Bildern in | |
| aller matten, kaputten Pracht erstrahlt. Das alles ist erkennbar Filmkunst | |
| – man merkt es auch daran, dass „Possession“ unheimlich anstrengend ist. | |
| Wer die Drehorte besuchen will: Das Haus, in dem das Tentakelwesen lebt, | |
| steht noch weitgehend unverändert in der Sebastianstraße 87 in Kreuzberg. | |
| Das Café, in dem Mark auf Anna losgeht, ist das Café Einstein in | |
| Schöneberg. Am Anfang fährt die Kamera die Bernauer Straße an der Grenze | |
| von Wedding nach Mitte entlang (wie überhaupt die Mauer hier eine große | |
| Rolle spielt: als Bild, als Metapher für was auch immer, als faszinierendes | |
| Bauwerk), und der manische Anfall, den Isabelle Adjani vor der Kamera | |
| weniger spielt als zu durchleben scheint, ergreift Schauspielerin und | |
| Zuschauer im U-Bahnhof Platz der Luftbrücke in Tempelhof. | |
| 12 Mar 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Benjamin Moldenhauer | |
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