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# taz.de -- Bergmans "Szenen einer Ehe": Scheiternde Institution
> In Bremen und Lübeck kommen Ingmar Bergmans „Szenen einer Ehe“ auf die
> Bühne. Nach dem Gang durch die Hölle leuchtet ein Hoffnungsschimmer auf.
Bild: Im Stuhlkreis: Martin Baum und Irene Kleinschmidt in Bremen.
BREMEN taz | So viel Zuneigung – und so viel Wut, Verachtung und
emanzipatorischer Behauptungswille. Küssen oder erwürgen? Lieben und
hassen! So sah die bühnenwirksame Ehe als bildungsbürgerlicher „Totentanz“
(August Strindberg) aus. Heute funktioniert der Ehebetrieb eher
TV-Komödien-seicht als routiniert durchgeführtes Projekt von
Interessengemeinschaften: Von der romantischen Sehnsucht vom
Eins-sein-Wollen bleibt oft nur eine Festung der Einsamkeit.
„Ehe als Konzept interessiert mich nicht“, sagt denn auch Regisseurin Anna
Bergmann. „Aber wie Partnerschaft zwischen Mann und Frau funktionieren
könnte, das will ich herausfinden.“ Nach „Herbstsonate“ (2007, Theater
Lübeck) und „Treulose“ (2013, Staatstheater Braunschweig) inszeniert
Bergmann am Theater Lübeck erneut ein Feel-bad-Movie des peniblen
Ultraschallkünstlers für Seelenschmerzen, Ingmar Bergman: „Szenen einer
Ehe“.
Die sind bekanntlich Szenen einer scheiternden Ehe – und damit ganz modern.
Immer häufiger ist der Bund fürs Leben nur noch einer auf Zeit: Rund ein
Drittel aller Ehen wird im Laufe der nächsten 25 Jahre geschieden. Nicht
nur bei Veteranen des Rosenkriegs ist die Institution als Lebensentwurf,
Rollen- und Sprachspiel in Verruf geraten. Alle Glücksversprechen erweisen
sich da meist als haltlos – zu viel Arbeit ist schon für die laue
Zufriedenheit als Minimalkonsens einer Kameradschaft notwendig.
Paartherapeuten verkünden längst, für die seelische Volksgesundheit wäre
eine Verdopplung der Scheidungsrate durchaus förderlich. Trotzdem wird
mutig weiter geheiratet.
All diese Widersprüche will Bergmann in eine „verwirrende Veranstaltung“
übersetzen. Stets soll unklar bleiben, ob die Schauspieler nun Charaktere
des Stücks darstellen – oder sich gerade anhand ihrer eigenen
Beziehungskalamitäten mit den Problemen und Konflikten des Zusammenlebens
auseinandersetzen. Mal agierten sie brutal komisch, sagt Bergmann, mal
handgreiflich brutal wie in einem Tarantino-Film oder präzisierend brutal
im Stil des psychologischen Realismus.
Bergmann inszeniert die Reise zweier Menschen hinter die Kulissen ihrer
Beziehung als Reise durchs Theater. Ein exklusives Erlebnis für nur je 40
Zuschauer: Vor Waschmaschinen wird da im Keller des Theaters die schmutzige
Wäsche gewaschen, in der Garderobe rüstet man sich für die erbitterten
Wortduelle, in der Kantine wird schließlich das Durcheinander von
Verliebt-, Vertraut- und Verletztheit reflektiert. „Und dann prügeln sie
sich wieder die Seele aus dem Leib“, verspricht Bergmann.
Weil die Intimität hier zur Waffe wird, setzt auch die Inszenierung von
Klaus Schumacher an der Weser auf Nähe und Intensität des Spiels.
Ausgestellt wird das Phänomen Ehe im Stuhlkreis auf der Hinterbühne. Das
Publikum wird als Konfliktmanagerteam für die Schuldfrage angesprochen –
mit einem quälend komischen, ratlosen bis panischen
Selbstentblößungs-Wechselspiel von Entfremdung und Annäherung, Verstehen
und Missverstehen. Beide Rollen sind hier doppelt besetzt. Um die Szenen
aus unterschiedlich temperierten Gemütslagen und Persönlichkeitsfacetten zu
beleuchten. Das funktioniert beeindruckend gut.
Bergmann und Schumacher verorten das Stück dabei jeweils in ihrer
Altersgruppe. Während die Eheleute in Bremen behaupten, 42 und 49 Jahre alt
zu sein, gehören sie in Lübeck nicht mehr zur Generation Theaterabonnement.
Sie sind jünger, unerfahrener, haben noch keine Kinder, sondern streiten,
ob sie welche in ihre Welt setzen wollen. In beiden Aufführungen geht das
Paar durch die Hölle. Ein Lichtlein Utopie erhellt am Ende das Schlachtfeld
zumindest im Theater Bremen: Jahre nach der Scheidung lässt Schumacher die
Duellanten wieder aufeinander treffen und zärtliche Gefühle und warmes
Verständnis füreinander entdecken. Muss man also erst diverse Ehen in den
Sand setzen, um zur ersten oder zweiten großen Liebe zurückkehren?
Und was möchte Anna Bergmann der jüngeren Generation vermitteln? „Ein
Plädoyer für die Liebe! Sonst kann man sich doch gleich die Kugel geben“,
sagt sie. Aber was ist das: Liebe? Und welche Kernkompetenzen und
Schlüsselqualifikationen sind dafür Voraussetzung? „Wahrhaftig sein,
miteinander reden!“ Trauernd akzeptieren – was nicht geht. Und das Küssen
dabei niemals vergessen …
## ■ Theater Lübeck: Fr, 7. 11. und Fr, 21. 11., je 20 Uhr, Junges Studio;
Theater Bremen: Do, 13. 11., 19.30 Uhr; weitere Aufführungen: Sa, 13. 12.,
So, 14. 12. und Do, 18. 12.
1 Nov 2014
## AUTOREN
Jens Fischer
## TAGS
Theater
Bremen
Lübeck
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