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# taz.de -- Wanderung zum historischen Gefängnis: Gesetze, Zucht und Ordnung
> Der Hohenasperg ist wie kein anderer Ort in Baden-Württemberg. Er ist
> eine Demonstration von Macht und Herrschaft – und ein beliebtes
> Ausflugsziel.
Bild: Die Festung auf dem „Tränenberg“ war früher ein Gefängnis und ist …
Der Weg nach oben ist mühsam. Über eine grobe Teerpiste und eingezwängt
zwischen hohen Steinmauern bekommt man bald einen Eindruck, warum dieser
Berg im Volksmund auch „Tränenberg“ genannt wird. Der Hohenasperg thront
mit 356 Metern Höhe [1][wie eine Krone über dem Landkreis Ludwigsbur]g.
Rund 15.000 Inhaftierte waren in der Zeit von 1800 bis 1945 in dieser
Festung eingesperrt, seit 1968 dient das Gemäuer dem Land Baden-Württemberg
als Justizvollzugskrankenhaus.
Und so weht immer noch ein leiser Wind der Unfreiheit über den Berg, wenn
es auch nicht mehr so menschenverachtend zugehen mag wie zu Zeiten von
Johannes Autenrieth, der von 1905 bis 1934 leitender Beamter des Aufsichts-
und Pflegedienstes war. Der Begriff Gefangener, schrieb er in seinen
Erinnerungen, bedeute die völlige Beraubung der Freiheit und auch die
Isolierung von aller menschlichen Umgebung.
Ist man oben angekommen, geht es durch das von Herzog Wilhelm Ludwig von
Württemberg im frühbarocken Stil 1675 erbaute Löwentor in einen dunklen
Gang hinein, direkt auf das eiserne Gefängnistor zu. Dahinter wird zurzeit
unter dem Slogan „Im Dienst der Gerechtigkeit“ nach Pflegepersonal,
Fachärzten und Psychologen (w/m/d) für das Krankenhaus gesucht. Gemeinsam
wolle man „kriminellen Energien neue Richtungen geben“, heißt es auf einem
Plakat.
Viele Menschen waren hier über die Jahrhunderte hinweg eingesperrt. Manche
mussten für ihre politischen Überzeugungen büßen, andere waren schlicht in
Ungnade gefallen oder wurden während der Zeit des Nationalsozialismus Opfer
rassischer Verfolgung. Wieder andere hatten gestohlen, betrogen oder
getötet.
## Weggesperrt auf dem Tränenberg
Überregionale Bekanntheit erlangte der Hohenasperg insbesondere durch die
zahlreich [2][inhaftierten politisch aktiven Freidenker] und Streiter für
die Demokratie, die von der herrschenden Klasse verfolgt wurden. Das
brachte ihm den Beinamen „Demokratenbuckel“ ein. So gibt es in der
Geschichte des Landes kaum einen anderen Ort, der so symbolisch für die
Machtdemonstration vieler Regierender in den vergangenen Jahrhunderten
steht.
Der berühmteste Insasse war Christian Friedrich Daniel Schubart, der in
seinen sozialkritischen Schriften die Dekadenz der Herrschenden angriff.
Schubart war von 1777 bis 1787 inhaftiert. Zu den Umerziehungsmaßnahmen
zählte ein Schreib- und Leseverbot, Besuch wurde ihm untersagt. „Was hab
ich, Brüder, euch getan? Kommt doch und seht mich Armen! Gefangener Mann,
ein armer Mann. Ach! Habt mit mir Erbarmen“, heißt es in seinem Gedicht
„Der Gefangene“. Schubart setzte die Haft so stark zu, dass er drei Jahre
nach seiner Entlassung starb.
Wenn man heute das obere Plateau des geschichtsträchtigen Bergs erreicht
hat, lockt im äußeren Torturm die „Schubartstube“ mit Biergarten zur
Einkehr. Während auf der einen Seite des hohen Zauns mit Stacheldrahtkrone
schwäbische Gerichte und heimische Weine gereicht werden, sind auf der
anderen Seite die Häftlinge des Justizkrankenhauses.
Tatsächlich verfügt die Einrichtung wegen Platzmangels schon längst nicht
mehr über die notwendigen Behandlungskapazitäten. Obwohl in Asperg seit
Jahren eine „Befreiung“ des Hohenaspergs vom Strafvollzug gefordert wird,
hält das Land daran fest. Ob das überalterte Krankenhaus einmal in einen
anvisierten Neubau auf dem Gelände der Justizvollzugsanstalt Stammheim
übersiedelt, steht in den Sternen.
## Wo man „zahm“ wird
Mehr Platz mag es noch im Jahr 1963 gegeben haben, zu Zeiten der
Inhaftierung des [3][„Remstalrebellen“ Helmut Palmer]. Der Vater des
Tübinger Oberbürgermeisters Boris Palmer musste sich damals vor allem wegen
Beleidigungen der Staatsgewalt in zahlreichen Gerichtsverfahren
verantworten. Zucht und Ordnung herrschte immer auf dem Hohenasperg. „An
Händen und Füssen gefesselt zogen sie mich aus dem klapprigen Mercedes, in
dessen Kofferraum ich ein oder zwei Stunden zuvor geworfen und aus
Esslingens Gefängnishof irgendwohin gefahren worden war“, schrieb Palmer in
seinem autobiografischen Buch „Mein Kampf und Widerstand im Filbingerland“,
erschienen 1978.
„Sie lösten die Fesseln, schlugen mich alte ausgetretene Steinstufen
hinauf, und oben empfing mich ein Wachtmeister Schlump, den ich bisher nie
gesehen hatte. ‚Hier bei mir wirst du zahm‘, verkündete der, dann warfen
sie mich in ein dunkles Gewölbe.“
Die meisten Besucher kommen heute allerdings eher wegen der beeindruckenden
Aussicht auf den Berg. Bei schönem Wetter reicht der Blick über die dicht
besiedelte Region Ludwigsburg/Stuttgart bis hinüber zum waldreichen
Stromberg, wo die Freiheit wohnt.
8 Oct 2023
## LINKS
[1] https://www.hdgbw.de/ausstellungen/hohenasperg/
[2] https://www.landeskunde-baden-wuerttemberg.de/hohenasperg
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Helmut_Palmer
## AUTOREN
Jörg Palitzsch
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