| # taz.de -- 68er-Film im Historischen Museum: Die rote Fahne über Schöneberg | |
| > Ist es nur ein Spiel mit Farbe oder doch der Probelauf zur Revolution? | |
| > Gerd Conradts 68er Film „Farbtest. Die rote Fahne“ hat es ins Museum | |
| > geschafft. | |
| Bild: Etwas Farbe in der grauen Stadt | |
| Berlin taz | Es fängt an wie ein Krimi. Da läuft ein Mann mit Sakko und | |
| Schnauz mitten auf der Straße und wird von einem Bus verfolgt, so einem | |
| gelben Doppeldecker. Wir sind also in Berlin. Genauer, in der Schlossstraße | |
| in Steglitz. Dann läuft plötzlich ein anderer Mann auf der Straße, der Bus | |
| fährt an ihm vorbei. Doch keine Verfolgungsjagd. | |
| Bei älteren Filmen aber muss es nicht die Handlung sein, die einen als | |
| erstes in Anspruch nimmt. Man schaut sie auch deswegen gern, weil man Dinge | |
| zu sehen bekommt, die es so vielleicht gar nicht mehr gibt. Was man zu der | |
| Zeit, als der Film gedreht wurde, gern getragen hat (Trenchcoat!). Die | |
| Autos früher. Massenhaft VW-Käfer sind zu sehen, gelegentlich ein | |
| Ami-Schlitten. Und man sieht, dass das Berlin damals eine recht graue | |
| Angelegenheit war, und das liegt nicht nur an der regennassen Straße, die | |
| immer viel Raum im Bild einnimmt. | |
| Passanten allerdings sieht man eher weniger, und die wenigen scheint das | |
| Geschehen gar nicht sonderlich zu irritieren, sie schauen kurz und gehen | |
| ihrer Wege. | |
| Die Handlung: Lässt sich in einem Satz zusammenfassen und schmeckt nach | |
| Umsturz: In dem Film laufen Menschen in einer Stafette mit einer roten | |
| Fahne durch Berlin hin zum Rathaus Schöneberg, wo die Fahne auf genau dem | |
| Balkon gehisst wird, wo John F. Kennedy wenige Jahre zuvor verkündete: | |
| [1][„Ich bin ein Berliner.“] | |
| „Farbtest. Die rote Fahne“ ist der Titel des Films, der da an einem grauen | |
| Februartag 1968 in Westberlin gedreht wurde. Derzeit ist er in der | |
| Ausstellung [2][„Roads not Taken“] im Historischen Museum Berlin (DHM) zu | |
| sehen. Und weil der Regisseur jetzt natürlich keineswegs zufällig dort | |
| gerade neben einem steht, will man ihn gleich fragen: „Herr Conradt, war | |
| das ein Studentenulk?“ | |
| ## Ein Happening für die 68er | |
| Gerd Conradt überlegt kurz und schüttelt den Kopf. „Für mich ist es Kunst, | |
| ein Happening“, sagt er. Und: „Es ist eine Provokation, na klar.“ | |
| Entstanden ist der Film im Kamerakurs von Michael Ballhaus an der damals | |
| noch jungen Deutschen Film- und Fernsehakademie (DFFB), der „Farbtest“ | |
| bezieht sich schlicht auf den Umstand, dass die Studierenden hier mal mit | |
| Farbfilm arbeiten durften. Die rote Fahne war aber natürlich ein Aufreger | |
| in einer politisierten Zeit: der Krieg in Vietnam, [3][der erschossene | |
| Benno Ohnesorg], die Radikalisierung der Studentenbewegung, die man dann ja | |
| im Schlagwort „1968“ fasste, und das war schon, was Conradt antrieb. | |
| Einen „authentischen Beitrag“ zur 68er Bewegung wollte er machen, sagt er, | |
| mit seiner Rathauseroberung. Und dass die Fahne trotz der gleichen roten | |
| Farbe doch recht unterschiedlich wehte zu dieser Zeit in Ost und West (wo | |
| man immer mal dieses „Geh doch rüber“ hörte), wusste Conradt auch. Seine | |
| Kindheit hatte der 1941 geborene [4][Regisseur, Kameramann und Autor] in | |
| der DDR verbracht. Wichtiger aber war, sagt er, dass er eine Zeitlang in | |
| Italien gelebt hatte, wo rote Fahnen damals mit der starken kommunistischen | |
| Partei allgegenwärtig waren und deswegen „normal“. Alltag eben. | |
| Auch so eine „Normalität“ im Film: Alle 14 Fahnenträger, nur Männer. Der | |
| Farbtest ist ein Männerfilm. Ist in der Zeit damals mit den ganzen | |
| Studentenführern (ohne *innen) aber gar nicht aufgefallen, auch Gerd | |
| Conradt hat es erst hinterher gemerkt. Und in der DFFB, aus deren Umfeld er | |
| seine Staffelläufer rekrutierte, fanden sich 3 Frauen unter 35 | |
| Studierenden. Conradt wurde mit anderen Studenten nicht zuletzt wegen des | |
| „Rote Fahne“-Films und anderen politischen Aktionen aus dem Studium | |
| geschmissen. „Wir waren auch tierisch dogmatisch“, sagt Conradt. | |
| ## Der Farbtest in der Dauerschleife | |
| „Es hätte auch anders kommen können“ ist der Untertitel der „Roads not | |
| Taken“-Schau mit Blick auf Wendepunkte deutscher Geschichte wie | |
| Berlinblockade und Mauerbau. | |
| Der Farbtest ist Teil des Kabinetts zur Stalin-Note, dem Angebot Stalins | |
| 1952 an die Westmächte für Verhandlungen über ein wiedervereinigtes, | |
| neutrales Deutschland. Ob das ein ernst gemeintes Angebot war oder eher ein | |
| Störmanöver, um die Westintegration der BRD zu behindern, wird weiter | |
| diskutiert. Stefan Paul-Jacobs, einer der Ausstellungskuratoren, schätzt am | |
| Film, wie er die weit verbreitete Angst vor „den Russen“ und dem | |
| Kommunismus ironisch aufnimmt. | |
| Dass „Farbtest. Die rote Fahne“ sein Lieblingsfilm ist, möchte Gerd Conradt | |
| nicht sagen. Aber er schaut ihn gern. „Es sind lauter kleine Theaterstücke, | |
| lauter Performances.“ Täglich zu betrachten in Dauerschleife im DHM bis | |
| November 2024. | |
| Auch der junge Gerd Conradt ist dabei zu sehen als einer der Fahnenträger. | |
| Er trägt einen schwarzen Mantel und einen gelben Schal. Über dem Kopf weht | |
| die rote Fahne. Ein Farbtest, mit den deutschen Farben. | |
| 1 May 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /750-Jahre-Schoeneberg/!5045185 | |
| [2] https://www.dhm.de/ausstellungen/roads-not-taken-oder-es-haette-auch-anders… | |
| [3] /Symbolische-Umbenennungen-in-Berlin/!5686245 | |
| [4] /Videopionier-Gerd-Conradt/!5844748 | |
| ## AUTOREN | |
| Thomas Mauch | |
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