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# taz.de -- Außenseiter der Architektur: Der Brutalismus in voller Anmut
> Er ist ein bauchiger Betonklotz und zeugt von Visionen in Sachen
> Architektur. Der Bierpinsel in StegIitz ist nicht einfach zu nehmen und
> Popgeschichte.
Bild: Unter den kultigen Außenseitern der Architekturgeschichte: der Bierpinsel
Berlin taz | Auf dem Cover des vor drei Jahren erschienenen Samplers „Cafe
Exil“, der „New Adventures in European Music 1972–1980“ verspricht, pra…
es in seiner ganzen Pracht, Berlins wohl bizarrstes Gebäude: der
Bierpinsel.
Das 1976 eröffnete Gebäude, ein auf einer Art Stelze sich erhebender
rundlich vieleckiger 47 Meter hoher Turm, steht paradigmatisch für einen
Geist der Erneuerung, der sich in der Architektur der Siebziger Jahre auch
in Westberlin zeigte. Der Zeit, die die Macher des Samplers umtrieb. Bei
der Musikauswahl haben sie sich nämlich eine ganz spezielle Aufgabe
gestellt: Welche Sounds könnten die Ende der Siebziger in Berlin
gestrandeten Freunde David Bowie und Iggy Pop dazu gebracht haben, ihre
eigene Musik weiterzuentwickeln, [1][beziehungsweise von welchen
Avantgardisten dieser Dekade wurden sie geprägt?] Die Auswahl fiel auf Acts
wie Faust, Cluster und [2][Annette Peacock], allesamt futuristisch, aber
auch widerspenstig anmutende, kultige Außenseiter der Popmusik. Um die zu
visualisieren, ist der Bierpinsel tatsächlich die perfekte Wahl.
## Ikonisch, nur von wenigen verehrt
Trotzig, mächtig, aber gleichzeitig auch voller Anmut ragt er in die Höhe,
und man weiß nicht so recht, ob man bei dem Anblick an einen in Beton
gemeißelten Fiebertraum der Architekturbewegung Brutalismus denken soll
oder an eine überdimensionierte Pop-Art-Skulptur.
Aber so eigenwillig und spektakulär das Ding aussehen mag, ein wenig passt
es auch zu jemandem wie Annette Peacock in der Hinsicht, dass es zwar wie
die US-amerikanische Pionierin elektronischer Musik von ein paar Liebhabern
verehrt wird, der breiten Masse aber so gut wie unbekannt ist. In einer
besseren Welt freilich, in der alle Peacock hören würden, wäre der
Bierpinsel das ikonische Wahrzeichen Berlins, das auf Kaffeetassen für
Touristen abgebildet wird und nicht der vergleichsweise langweilige
Fernsehturm.
Das Hauptproblem des Bierpinsels ist immer noch das, was ihn von Beginn an
begleitet hat: Es weiß einfach niemand so recht, etwas mit dem bauchigen
Betonklotz mit seinen drei Etagen anzufangen. Zuerst befand sich in diesem
ein Steakhaus, dann übernahm die längst pleite gegangene Gastro-Kette
Wienerwald. Die Betreiber und Konzepte wechselten dauernd. Anfang des
Jahrtausends versuchte man es ein paar Jahre lang mit einer Diskothek,
später mit einem Kunstcafé. Zu der Zeit kam auch jemand auf die unselige
Idee, das knallige Rot der Fassaden von Streetartkünstlern übermalen zu
lassen, was dem Bau einiges von seiner Leuchtkraft genommen hat. Und seit
Jahren steht er nun schon leer und fristet ein trauriges Dasein als
Eventlocation, wobei die Events wirklich ziemlich rar gesät sind.
Immerhin gibt es nun ein Konzept, wie es weitergehen soll mit dem seit ein
paar Jahren unter Denkmalschutz stehenden Gebäude. Büros für Start-ups
sollen nach einer Renovierung hier bis zum Jahr 2025 einziehen und eine
Gastronomie wird es auch wieder geben.
Was dann wohl bedeutet, dass man hier auch wieder ein Bier trinken kann.
Das Gebäude, das so aussieht wie ein Rasierpinsel, in dem man Kaltgetränke
zu sich nehmen kann, von dieser Assoziation hat der Bierpinsel – offiziell
hieß er mal Schlossturm oder auch Turmrestaurant Steglitz – vom Volksmund
überhaupt erst seinen Namen.
## Man muss ihn gesehen haben
Auch wenn der Bierpinsel noch eine Weile für die Öffentlichkeit geschlossen
bleibt, deutet sich gerade bereits an, dass er doch noch groß rauskommen
könnte als Ort, den man in Berlin gesehen haben sollte. In der Ausstellung
„Suddenly Wonderful“ in der Berlinischen Galerie wird er aktuell neben
anderen Berliner Großbauten der Siebziger gefeiert. Und steht dort in einer
Reihe mit zwei anderen Objekten, die zwar unter Denkmalschutz stehen, von
denen man aber seit Jahren auch nicht weiß, was man mit ihnen anstellen
soll: dem [3][Kongresszentrum ICC] – wie der Bierpinsel ein Werk der
Architekten Ralf Schüler und Ursulina Schüler-Witte – und den ehemaligen
Tierversuchslaboratorien der Charité, dem sogenannten [4][Mäusebunker].
Die hassgeliebten Bauwerke werden hier gebührend als einst visionäre Bauten
gefeiert, die zwar alle drei asbestverseucht sein mögen und deren
Renovierung und Transformation Unmengen an Geld verschlingen wird, die aber
als Hingucker allemal mehr hergeben als dieses lächerliche Stadtschloss,
das man sich mit horrenden Kosten vor ein paar Jahren in Berlins Mitte
gestellt hat.
In der Ausstellung kann man auch einen Miniaturnachbau des Bierpinsels von
der Künstlerin Tracey Snelling sehen. In den Fenstern ihrer Skulptur laufen
auf kleinen Bildschirmen Videos. Unter anderem mit Aufnahmen von – wie
könnte es auch anders sein – David Bowie.
10 Jul 2023
## LINKS
[1] /Compilation-zur-Berlin-Zeit-von-Bowie-und-Pop/!5741652
[2] /Avantgardejazzrock-von-Annette-Peacock/!5124375
[3] /Gebaeude-mit-Problemen/!5855503
[4] /Denkmalschutz/!5941666
## AUTOREN
Andreas Hartmann
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