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# taz.de -- Avantgardejazzrock von Annette Peacock: Kein Virtuosengegniedel
> Ihr Debütalbum "Im the One" war wegweisend, nach 40 Jahren wird es nun
> wiederveröffentlicht: Annette Peacock setzte dafür sogar Bowie vor die
> Tür.
Bild: Anette Peacock, Anfang der siebziger Jahre.
Experimente muss man sich leisten können. Das ist keine rein ökonomische
Frage. Als in den späten Sechzigern die Grenzlinien zwischen Jazz, Rock und
elektronischer Musik brüchig wurden, mischte die amerikanische Musikerin
Annette Peacock ganz vorne mit. Sie komponierte Avantgarde-Balladen und
tourte mit Free-Jazz-Legende Albert Ayler durch Europa.
Ihr Mann Gary Peacock war damals Bassist bei Miles Davis. Von
Synthesizerpionier Robert Moog bekam sie einen seiner Prototypen zur
Verfügung gestellt, den sie mit dem Jazzpianisten und späteren
Lebensgefährten Paul Bley für Klangstudien nutzte. Sogar ihre Stimme
schickte sie durch das unhandliche Instrument. All dies am Anfang ihrer
Laufbahn.
Dass Annette Peacock heute weniger bekannt ist als die meisten ihrer
musikalischen Partner, dürfte zu einem gut Teil daran liegen, dass sie eine
Frau ist. Dabei war das Interesse an der unberechenbaren Komponistin
keinesfalls gering. Als sie etwa 1971 ihr jetzt wiederveröffentlichtes
Debütalbum "Im the One" aufnahm, schaute auch David Bowie im Studio vorbei.
Doch Peacock wollte sich nicht bei der Arbeit stören lassen und warf ihn
kurzerhand hinaus. Bowie ließ sich nicht so schnell entmutigen und bat sie
später, bei seinem Album "Alladin Sane" mitzumachen. Sein Produzent
allerdings hatte ganz bestimmte Vorstellungen davon, was sie tun sollte;
das lehnte die Musikerin am Ende ab.
Natürlich sagen Produzenten auch bei Männern gern, wo es langgehen soll,
dennoch gibt es genügend Beispiele erfolgreicher männlicher Musiker, die
ihre Ziele jenseits der üblicheren Pop-Karrieremuster verwirklichen konnten
- Frank Zappa und Captain Beefheart etwa. In einem ähnlich offenen Feld
bewegt sich auch Annette Peacock, die mit "Im the One" damals erste
Schritte in einen Rock-Kosmos mit übersichtlichen Strukturen wie
Akkordfolgen und durchgehendem Rhythmus machte, wenn auch ohne großen
kommerziellen Erfolg.
## Keine Kompromisse
Peacocks Album machte vor, was Jazzrock sein kann, wenn man auf das
Virtuosengegniedel verzichtet und stattdessen Songs schreibt, in denen der
Gesang das Zentrum bildet. Fast bedächtig kommt ihre Musik daher, mit einem
schleichenden Funk und reichlich Leerstellen in der Textur. Überraschungen,
unerwartete Brüche und all das gibt es hier genauso. Es klingt auch ganz
wunderbar überdreht, nur eben nicht nach Kunsthandwerk, das sich
verselbständigt hat.
Das Titelstück gibt hier die Richtung vor. Nach einem Freiform-Intro mit
atonalen Synthesizer- und Bläserimprovisationen folgt ein Rocksong, in dem
Peacock mit ihrer elegant heiseren Stimme immer wieder beteuert, dass sie
"the One" sei. Nach einigen stilistischen Wendungen kommt dann ihr
verzerrter Synthesizergesang zur Geltung. Neben den Jazzrocknummern gibt es
impressionistische Balladen mit Klavierbegleitung und sogar eine
Coverversion von Elvis Presleys "Love Me Tender".
Nach der Platte hatte ihr Label RCA kein Bedürfnis mehr nach neuem
Material. Erst sechs Jahre später erschien mit "X-Dreams" ein neues Album
bei einer kleinen Plattenfirma. 1982 schließlich startete Peacock, dem
damaligen Independent-Aufbruch folgend, in England ihr eigenes Label
Ironic. Sie ist überzeugt: "Hätte ich meine Musik als Mann gemacht, wäre
meine Karriere womöglich ganz anders verlaufen."
Aber Peacock ist die "Outness Queen", wie es im Titel eines späteren Songs
heißt, die große Außenseiterin des Betriebs, was einer gewissen
Selbstheroisierung nicht entbehrt. "Erfolg, der nicht auf kompromissloser,
guter Arbeit beruht, ist vollkommen bedeutungslos. Kommerzieller Erfolg
wird nur durch Werbung und Vertrieb erzielt."
Dem Internet und der Nachfrage der gut informierten "Online-Generation" ist
es zu verdanken, dass Peacock ihr Debütalbum jetzt, knapp vierzig Jahre
nach seinem Erscheinen, auf ihrem wiederbelebten Ironic-Label zum ersten
Mal auf CD veröffentlicht hat. RCA zeigt sich bis heute desinteressiert an
der Platte, die unter anderem David Bowie zu Ziggy Stardust inspirierte.
Peacock ist wohl das, was man einen "musicians musician" nennt - bedeutend
im Einfluss auf das Musikgeschehen, aber eben weitgehend unter Ausschluss
der Öffentlichkeit.
Vielleicht gibt es mit der Neuauflage von "Im the One" ja doch noch einen
neuen Aufbruch für die 1941 geborene Musikerin. Immerhin hat Ironic US
seinen Firmensitz im bewegungserprobten Woodstock. Sie selbst hätte wohl
nichts dagegen: "Obwohl ich dem Erfolg im Prinzip aus dem Weg gegangen bin,
hoffe ich, dass er, sollte er in irgendeiner Form einmal kommen, nicht erst
postum sein wird."
Annette Peacock: "Im the One" (Ironic), zu bestellen über
[1][www.annettepeacock.com]
21 Mar 2011
## LINKS
[1] http://www.annettepeacock.com/
## AUTOREN
Tim Caspar Boehme
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