# taz.de -- Bausünden in Steglitz: Parkplätze, Pisse, Privatisierung | |
> Die Architektur in Steglitz steht für Größenwahn und Scheitern. Bei einem | |
> Kiezspaziergang stößt man auf Investorenprojekte, Autobahnen und eine | |
> Rollerdisko. | |
Bild: Spekulation und Leerstand: Die Bauruine des Steglitzer Kreisel | |
Berlin taz | Die zwei Steglitzer Wahrzeichen sind Monumente einer | |
gescheiterten Stadtplanung: der „Bierpinsel“ – ein futuristisch anmutender | |
Turm, der aussieht, als hätte jemand ein Raumschiff über einer | |
Autobahnbrücke geparkt – und der Steglitzer Kreisel, eine riesige | |
Hochhausbaustelle, die heute als Stahlskelett existiert. Beide stehen seit | |
Jahren leer. Zusammen mit gleich zwei Autobahntrassen, die den Kiez | |
zerschneiden, stehen sie sinnbildlich für eine verfehlte Privatisierungs- | |
und Verkehrspolitik Berlins. | |
An einem lauen Spätsommerabend führt Dennis Egginger-Gonzalez eine kleine | |
Personengruppe durch den Kiez. „Auf der kurzen Strecke zwischen „Boulevard | |
Berlin“ und Steglitzer Kreisel wird überdeutlich, dass die Investoren und | |
Immobilienfirmen mittlerweile tun und lassen können, was sie wollen“, sagt | |
der Bezirksverordnete der Linkspartei dabei. Egginger-Gonzalez ist auch | |
Mitglied im Stadtplanungsausschuss von [1][Steglitz-Zehlendorf]. Die | |
Politik habe selbst verschuldet die Kontrolle über den Bezirk weitgehend | |
verloren, kritisiert er. Die [2][Planungen für eine autogerechte Stadt] | |
hätten große Räume in Berlin blockiert, die heute für eine soziale | |
Stadtplanung fehlten. | |
Den Kiezspaziergang hat der Bildungsverein Helle Panke der | |
Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin organisiert. Die etwa 20 Menschen, die | |
teilnehmen, kommen fast alle aus dem Bezirk. Als der Rundgang beginnt, ist | |
es noch hell – und trotzdem schauen die besuchten Orte sehr düster aus. | |
Da ist etwa das 2012 eröffnete „Boulevard Berlin“. Mit 64.000 Quadratmetern | |
Verkaufsfläche ist es die drittgrößte Shoppingmall Berlins, direkt an der | |
Schloßstraße gelegen. Doch wenn man das Einkaufszentrum betritt, ist es | |
auffallend leer. Kein Wunder: Geschäfte gibt nur noch im Erdgeschoss, das | |
erste und das zweite Stockwerk sind verwaist. Im Parkhaus sind nur 200 von | |
850 Stellplätzen belegt. | |
## Eine Straße, vier Shoppingsmalls | |
Das Einkaufszentrum sei [3][bereits vor der Coronapandemie ins Wanken | |
geraten], sagt Egginger-Gonzalez. Das mag auch daran liegen, dass das | |
„Boulevard“ nicht einmal die einzige Mall auf der Schloßstraße ist: Mit d… | |
„Schloss“ am Rathaus Steglitz, dem „Forum Steglitz“ und | |
„Schloss-Straßen-Center“ ist die Konkurrenz enorm. Die Straße sei | |
„überreizt“, sagt Egginger-Gonzalez. Der Hedgefonds, der die Shoppingmall | |
2022 günstig erworben hat, versuche nun, „zu retten, was zu retten ist“, | |
etwa mit einer gemischten Nutzung durch Büros und Gastronomie. Doch | |
Egginger-Gonzalez ist sich sicher: „Hier ist der nächste Leerstand | |
vorprogrammiert.“ | |
Er weist auch auf die „aufgeblasene Parkplatzinfrastruktur“ hin. Die | |
Einkaufszentren im Bezirk kämen zusammen auf rund 3.000 Parkplätze, diese | |
seien nach seinen Schätzungen aber nur zu 20 Prozent ausgelastet. Dazu | |
kommen weitere Parkflächen, teils öffentlich, teils privat. Der Bedarf für | |
soziale und kulturelle Infrastruktur sei hingegen enorm, die öffentliche | |
Hand brauche daher wieder Zugriff auf diese Flächen. | |
Gleich gegenüber der Shoppingmall liegt der Bierpinsel. Das [4][merkwürdige | |
Steglitzer Wahrzeichen wurde 1976 errichtet], in den damaligen Modefarben | |
Grün und Orange angepinselt und galt früher als „Pommesbude der Herzen“. | |
Doch seit mehr als 20 Jahren steht der 47 Meter hohe Klotz fast durchgehend | |
leer: Rohrbruch, Asbestfund, Brandschutzbestimmungen. Nun riecht es heftig | |
nach Urin. Seit 2021 gehört der Pinsel der Immoma GmbH von Götz Fluck | |
(Motto: „Wertschöpfung durch Wandel“), die dort wieder Gastro einrichten | |
will und auch andere Luftschlösser plant, verbunden mit dem Hinweis, man | |
suche noch nach Finanziers. | |
Aus der ursprünglich für dieses Jahr verkündeten Wiedereröffnung wurde | |
nichts. Egginger-Gonzalez spricht von „spekulativem Leerstand“, da Fluck | |
die Grundfläche, die durch einen Erbbauvertrag dem Land Berlin gehört, | |
eigentlich kaufen will. „In dem Moment, in dem die öffentliche Hand auch | |
noch Erbbauflächen weggibt, verliert sie die Kontrolle“, warnt er. Das | |
Bezirksamt sei machtlos, da es gegen Gewerbeleerstand nicht vorgehen kann. | |
Der Bezirk hat in dieser Situation lediglich die Möglichkeit, | |
Zwischennutzungen zu genehmigen. So gab es in der Vergangenheit Kunstevents | |
oder Technopartys. | |
## Ehemalige Stadtautobahn ohne Stau | |
Von der Unterführung am Fuß des Pinsels führt eine schmucklose Betontreppe | |
nach oben – und plötzlich steht man an einer Autobahn. Von der ehemaligen | |
A104 sollte man einmal direkt in die Shoppingmall fahren können, nun endet | |
sie wenige Hundert Meter vom Bierpinsel entfernt in der Schildhornstraße. | |
Im Gegensatz zum [5][gerade eröffneten Teilstück der A100 in Neukölln und | |
Treptow] staut sich hier aber nichts – die vierspurige Trasse ist wie leer | |
gefegt. Vielleicht sollten die werktätigen Massen mit ihrem Auto lieber | |
nach Steglitz fahren, denkt man. Hier sind die Autobahnen noch frei und | |
Parkplätze gibt es auch. | |
Doch so einfach ist es nicht. Die Schildhornstraße ist eine der am | |
stärksten mit Feinstaub belasteten Straßen Berlins, wie man auch an den | |
grauen Fassaden ablesen kann. Egginger-Gonzalez wünscht sich eine | |
Fahrradspur, dann käme man wesentlich schneller in den östlichen Teil des | |
Viertels, der durch die A103 – eine weitere Stadtautobahn – abgeschnitten | |
ist, sagt er. Doch das ist verboten, denn die ehemalige A104 gilt noch | |
immer als Kraftfahrstraße. Beide Trassen seien „völlig überdimensionierte | |
Straßen, die diesen Kiez zerstückeln“, sagt der Politiker. Eine vor zwei | |
Jahren beantragte Umwidmung werde von der zuständigen Senatsverwaltung | |
blockiert. | |
Die A103 führt auch am seit 23 Jahren leer stehenden Stadtbad Steglitz und | |
an einem weiteren Parkhaus vorbei, bis sie als „absurder Stummel“ am | |
Steglitzer Kreisel endet, wie Egginger-Gonzalez sagt. Unter dem Stummel: | |
wieder Parkplätze, unter denen wiederum der historische Kern von Steglitz | |
begraben liegt. Die Linke fordert, die A103 zurückzubauen und die frei | |
werdenden Flächen, die bereits versiegelt sind, für Radverkehr, sozialen | |
Wohnungsbau und „Sorgezentren“ zu nutzen. | |
## Bauruine und Spekulationsobjekt | |
Letzte Station des Rundgangs ist der Steglitzer Kreisel mit seiner weithin | |
sichtbaren, eingerüsteten Hochhausruine. Wieder Unterkellerung, Leerstand | |
sowie ein unterirdischer Busbahnhof. Und natürlich: noch mehr Parkplätze | |
mit noch mehr Uringestank. In der Ladenpassage war früher ein | |
Outdoor-Geschäft, jetzt steht alles leer. In einem Gang findet allerdings | |
eine Rollerdisko statt – eine Zwischennutzung, fast der einzige belebte Ort | |
an diesem Abend. | |
Der Bau des Hochhauses begann 1968, fertiggestellt wurde es erst 1980. Nach | |
mehreren Besitzerwechseln gehört es inzwischen [6][der | |
Immobiliengesellschaft Adler Group], aber auch die will es nach Ansicht von | |
Egginger-Gonzalez wieder loswerden. Das Gebäude sei ein Spekulationsobjekt. | |
Das Unternehmen musste nach seinen Angaben seit 2018 allein 700.000 Euro | |
Gebühren für Genehmigungen bezahlen und hat das Baugerüst inzwischen sogar | |
gekauft. Um diese Kosten abzufedern, wurden Projekte wie die Rollerdisko | |
reingeholt, bald wahrscheinlich [7][auch die Kältehilfe], was angesichts | |
der vielen Obdachlosen im Kiez sinnvoll wäre. | |
Egginger-Gonzalez, der nun wie ein Buch redet, ist überzeugt: Die Adler | |
Group wolle die unrentable Bauruine gar nicht umbauen, simuliere aber | |
Baufortschritte, weil sie die Baugenehmigung benötigt, um verkaufen zu | |
können. Er habe die Baustelle besichtigt, Akteineinsicht beantragt und | |
versucht, Adler die Baugenehmigung zu entziehen: „Die öffentliche Hand muss | |
wieder die Kontrolle bekommen“, wiederholt er sein Mantra. „Es gibt keinen | |
anderen Weg, diesen Wahnsinn wieder in eine gute Bahn laufen zu lassen.“ | |
Der Steglitzer Kreisel sei ein großes, zentral angebundenes Stück Land, auf | |
dem die Bezirksverwaltung, eine Gemeinschaftsschule und günstige Wohnungen | |
untergebracht werden könnten. Das kann allerdings dauern. Entmutigt von | |
diesen geringen Erfolgsaussichten wirkt er nicht: „Auch die völlige | |
Privatisierung der City-Zentren ist umkehrbar. Der Weg aus der Sackgasse | |
ist jedoch mindestens so lang wie der Weg hinein.“ | |
10 Sep 2025 | |
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## AUTOREN | |
Darius Ossami | |
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