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# taz.de -- Kreative Zwischennutzung: Rückeroberung der Innenstadt
> Wo in der Hamburger City Karstadt Sport war, befindet sich heute mit
> „Jupiter“ ein Raum für Kreatives. Sieht so die Innenstadt der Zukunft
> aus?
Bild: Karstadt Sport ist zu einem Ort der Kreativität geworden
Hamburg taz | Den Straßenlärm und Trubel von unten hört man nicht hier
oben, auf einer Dachterrasse mitten in der Hamburger Innenstadt.
Um eine kreisförmige Fläche herum sitzen kleine Gruppen auf Bänken, trinken
Limo und Bier. Ein Pärchen hat einen Hund dabei. In der Mitte toben Kinder
und spielen Fangen. Das Schild „Betreten der Event-Fläche ist mit
Straßenschuhen nicht gestattet“ bleibt unbeachtet. Die Stimmung ist
fröhlich. Die Szenerie erinnert an einen Stadtpark und weniger an das
oberste Stockwerk eines ehemaligen Kaufhauses.
Früher war eine Filiale von Karstadt Sport in dem großen Gebäude, das heute
„JUPITER“ in großen Lettern auf seiner Fassade trägt. Seit Mitte 2022 sei
Jupiter der „Ort der größten kreativwirtschaftlichen Zwischennutzung in
Deutschland“, so steht es auf Website der Hamburger Kreativ-Gesellschaft,
[1][die das Projekt fördert].
Auf sechs Stockwerken ist Raum für Künstler:innen, Pop-up Geschäfte und
eine Bar. Die Bar ist am Tag der Neueröffnung gut besucht. Menschen aller
Altersklassen tanzen zur Musik. Viele stehen für Getränke an. Von der Bar
aus gelangen Besucher:innen auf die große Dachterrasse.
Von hier oben reicht der Blick ungewohnt weit für eine Innenstadt. Er
schweift über andere Dächer. Welches dieser Gebäude wird das nächste sein,
das die Gesellschaft sich zurückholt? Von Jupiter aus die Elektro-Kette
Saturn kapern? Möglichkeiten gibt es viele.
Die [2][Mönckebergstraße] in Hamburg ist eine Shoppingmeile, wie es sie in
jeder anderen Stadt ab 100.000 Einwohner:innen gibt: Peek &
Cloppenburg, adidas, Zara, Douglas. Für die Stärkung zwischen dem
Konsumieren laden Starbucks und Bäckereiketten ein. Fast Fashion und
Franchise – es braucht nicht viele Worte, um die Innenstädte der Republik
zu beschreiben.
Das sogenannte Innenstadtsterben: eigentlich ein schöner Gedanke von hier
oben.
„Dass das kostenlos ist“, ruft ein junger Mann im Vorbeigehen seiner
Begleitung zu. In seiner Stimme schwingt Staunen mit. Die Entkoppelung
öffentlichen Raumes von der Pflicht zu konsumieren scheint ungewohnt.
## Überbleibsel aus Kaufhaus-Zeiten
Einige Ruinen erinnern noch an die Vergangenheit des Gebäudes: Ehemalige
Umkleidekabinen dienen als Lagerraum. Die weiß lackierten Theken mit dem
Schild „Kasse“ sind verlassen, denn Stangenware gibt es hier nicht zu
kaufen. Werke lokaler Künstler:innen sind hier ausgestellt. Über ihnen
hängen Schilder, die auf „Saisonsport Männer“ und „locker room“ hinwe…
Das Licht kommt noch aus denselben Lampen wie zu Kaufhaus-Tagen. Es scheint
aber nicht so brutal und fühlt sich weniger nach Kopfschmerzen und Stress
an. Das Brummen der Rolltreppen, in der sonst so ruhigen Ausstellung fällt
es auf.
Jetzt erst wird deutlich, wie viel Platz für den Verkauf von
Sportklamotten, Bällen und Taucherbrillen vorgesehen war. Gemälde,
Fotografien und Skulpturen erstrecken sich über drei Etagen.
Die städtische Kreativ Gesellschaft ist eine „Anlaufstelle für alle
Akteur*innen der Hamburger Kreativwirtschaft“. So steht es auf ihrer
[3][Website]. Sie hat das leerstehende Kaufhaus im Rahmen des Projekts
„Frei_Fläche“ angemietet und stellt es nun für verschiedene Projekte gegen
eine Miete von 1,50 Euro pro Quadratmeter zur Verfügung. Es handelt sich um
ein Programm zur Bekämpfung von Leerständen in der Stadt. Neben dem Jupiter
gibt es in Hamburg noch weitere Orte, die zur kreativwirtschaftlichen
Zwischennutzung zur Verfügung stehen.
Von den insgesamt 8.000 Quadratmetern im Jupiter ist noch ein
beträchtlicher Teil ungenutzt: Zwischen Galerie und Bar ist ein „Open
Space“, fast ein Stockwerk leere Fläche. Weitläufig erstreckt sich der
graue Kunststoffboden nach links und rechts. In der Mitte rumoren die
Rolltreppen. Als Großstadt-Wohnungssuchende kann man gar nicht anders als
zu schätzen, wie viele Zimmer hier wohl reinpassen würden.
## Öffentlicher Raum ist nicht für alle da
Auf dem Weg nach draußen, vorbei am Security-Personal, ist sie wieder da,
die Realität: Vor dem Schaufenster des Jupiter sitzen Menschen. Einige
betteln, andere schützen sich mit einem Schlafsack vor der immer noch
ungemütlichen Aprilluft. Gerne gesehen waren die Bettler:innen in der
Mönckebergstraße noch nie. Seit einigen Wochen werden sie jedoch noch
vehementer von der Polizei [4][aus der Innenstadt verdrängt].
Ein Mann läuft an ihnen vorbei. Er trägt eine bunte Giraffe unterm Arm. Für
200 Euro kann man das Kunstwerk aus recycelten Flip-Flops in einem der
Pop-up-Stores erwerben. Auch öffentlicher Raum ist nicht für alle da.
Sollte die Innenstadt zurückerobert werden, lautet die Frage: „Für wen
eigentlich?“
9 May 2023
## LINKS
[1] /Ein-Kaufhaus-fuer-Hamburgs-Kreative/!5861820
[2] https://www.hamburg.de/passagen-strassen/moenckebergstrasse/
[3] https://kreativgesellschaft.org/
[4] /Aktivist-ueber-Bettelverbote-in-Hamburg/!5928138
## AUTOREN
Mona Rouhandeh
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