| # taz.de -- Fan blickt auf die Partie Union-Neapel: Forza Napoli statt Forza Fo… | |
| > Antonino Verde in Ribbeck im Havelland huldigt statt dem „Birnbaum“ | |
| > lieber dem SSC Neapel. Er freut sich auf dessen Spiel im Berliner | |
| > Olympiastadion. | |
| Bild: Bekenntnis zu Neapel: Antonino Verde mit Söhnen und einem befreundeten U… | |
| Ribbeck taz | Berlin ist Metropole und bildet sich darauf eine Menge ein, | |
| weil: Leute und Trubel gibt’s hier ohne Ende. Anders als im Umland, wo viel | |
| weniger los ist, was man auch irgendwie gut findet, weil man sich dann mal | |
| vom Großstadtgewusel wochenenderholen kann. Zum Beispiel in Ribbeck, dem | |
| kleinen Dorf im Havelland, das fast genauso berühmt ist wie Berlin. Wegen | |
| eines Birnbaums, den der [1][Dichter Theodor Fontane] 1889 in ein Gedicht | |
| eingepflanzt hat. Angeblich kennt es fast jedes Kind, das hierzulande die | |
| Schule besucht hat. In Ribbeck selbst haben sie sich das zunutze gemacht | |
| und den „Birnenkult“ zum Schwerpunkt des Dorfmarketings erhoben. | |
| Antonino Verde wusste weder etwas vom Birnenkult noch von dem Gedicht über | |
| den „Herrn von Ribbeck zu Ribbeck im Havelland“, als er vor viereinhalb | |
| Jahren mit seiner Frau Rossana und seinen beiden Kindern aus Berlin in die | |
| märkische Gemeinde zog. Er stammt aus Italien, aus einer kleinen Stadt bei | |
| Neapel, wo er von Theodor Fontane nie etwas gehört hatte. Inzwischen weiß | |
| er natürlich, mit welcher Berühmtheit sein jetziger Heimatort in der weiten | |
| Welt verbunden wird. Das ändert jedoch nichts daran, dass Antonino Verde | |
| weiterhin nur seinen eigenen Kult pflegt. Und der heißt Napoli | |
| beziehungsweise SSC Neapel, der Fußballverein aus der Stadt am Vesuv. | |
| Wie Verde ihm huldigt, konnte jeder sehen, der im Frühsommer mit dem Auto | |
| durch Ribbeck fuhr (so wie der Reporter). Auf einem Grundstück am | |
| Straßenrand sah man einen alten Pferdewagen mit einem großen bunten Banner: | |
| „Napoli Campione“. Es war Antonino Verdes öffentlicher Glückwunsch zum | |
| [2][italienischen Fußballmeistertitel für seinen SSC Neapel]. „Einige | |
| Autofahrer haben gehupt. Sie werden sich wohl etwas gewundert haben“, sagt | |
| Herr Verde, der sich einfach unbändig darüber gefreut hatte, dass sein Klub | |
| nach ewigen 33 Jahren wieder einmal Meister wurde. | |
| Nun spielt Neapel in der Champions League in einer Gruppe mit dem [3][1. FC | |
| Union Berlin]. Am 24. Oktober findet das Hinspiel im Olympiastadion statt. | |
| Obwohl es zunächst nicht danach aussah, wird Antonino Verde dabei sein | |
| können, dank einer glücklichen Fügung sogar mit der ganzen Familie. Was | |
| auch seine Frau Rossana erleichtert. Hätte sie es doch als „Schande“ | |
| empfunden, nicht live vor Ort sein zu können, wo sie doch vor Jahren dort | |
| quasi um die Ecke in Spandau gewohnt hatten. | |
| Rossana ist in Berlin geboren, aber ihre Familie stammt aus Sizilien. Ihr | |
| jetziger Mann ist erst im Jahr 2000 nach Berlin gekommen. Der 41-Jährige | |
| stammt aus dem Städtchen Vico Equense, wenige Kilometer von Neapel | |
| entfernt. Dort arbeitete er in der Gastronomie, aber im Winter gab es meist | |
| wenig zu tun. Als ihn ein italienischer Freund anrief, ob er nicht nach | |
| Potsdam kommen wolle, weil in einem Einkaufszentrum Kellner gesucht würden, | |
| hat er sich auf den Weg gemacht in die Brandenburg-Kapitale. Drei Monate | |
| wollte er bleiben und dann zurück nach Italien. „Ich habe hier gut | |
| verdient, bin auch mit der Sprache und mit den Leuten gut klargekommen“, | |
| sagt er. „Und so sind aus den drei Monaten 23 Jahre geworden.“ | |
| ## Ein Häuschen im Havelland | |
| Aus Spandau ist Familie Verde 2019 ins Havelland gezogen, weil sie gern ein | |
| kleines Häuschen wollte. In Berlin ließ sich das preislich nicht | |
| verwirklichen und so landeten sie in Ribbeck, wo sie ein Grundstück mit | |
| einem alten Haus fanden. „Ich komme ja auch aus einem kleinem Ort“, sagt | |
| Antonino Verde. „Deshalb dachte ich, für unsere Kinder wäre das auch gut | |
| und besser, als in der Großstadt aufzuwachsen. Hier ist ein kleiner | |
| gemütlicher Ort, wo sie Freunde finden und nebenbei noch mit ein paar | |
| Tieren aufwachsen. Wir haben Ponys, Schafe, Ziegen und Hühner, die jeden | |
| Tag Eier legen. Was will man mehr.“ | |
| Die Jungs Michele und Guiseppe sind auch längst vom Fußballfieber der | |
| Eltern angesteckt. Vater Antonino war in seiner Heimat ebenfalls schon früh | |
| ein glühender Tifoso. Was kein Wunder ist, da in den Achtzigerjahren der | |
| berühmteste Fußballer der Welt, Diego Maradona, beim SSC Neapel spielte. | |
| Von 1984 bis 1991 hatte er die ganze Stadt in Ekstase versetzt und zu | |
| Titeln geführt. Gesehen im Stadion hat Antonino Verde den Argentinier nie, | |
| dazu war er zu jung. Aber er hat eine Box mit lauter DVDs, die Maradonas | |
| ganzes Leben nachzeichnen, von der Kindheit bis zum Gewinn des Uefa-Cups | |
| mit Napoli gegen VfB Stuttgart. | |
| Die Spiele von Napoli verfolgt die Familie in Ribbeck regelmäßig auf dem | |
| italienischen Sky-Kanal. „Wir sammeln auch alle Informationen, die wir | |
| kriegen können, auch über SMS mit meinen alten Kumpels in Neapel, die jeden | |
| Sonntag ins Stadion gehen. Als wir vergangenes Jahr in Italien Urlaub | |
| machten, waren wir mit der ganzen Familie im Maradona-Stadion beim Spiel | |
| gegen AS Roma“, erzählt Antonino Verde, der vor einigen Jahren auch beim | |
| Euro-League-Spiel von Napoli in Wolfsburg war. | |
| ## Eine spezielle Neapel-Union-Connection | |
| Und nun die Partie gegen Union, die insofern ein besonderes Ereignis ist, | |
| als es eine spezielle Napoli-Union-Connection in Ribbeck gibt. „Wir sind | |
| mit einer Familie aus dem Nachbarort Berge befreundet, seit unsere Kinder | |
| zusammen in den Kindergarten gingen. Die Familie steht total auf Union. Nun | |
| treffen unsere Lieblingsvereine in der Champions League aufeinander. Wir | |
| finden das schön“, sagt Antonino Verde. Sie werden wohl alle das Spiel im | |
| Olympiastadion anschauen, jedoch nicht zusammen. Fußball ist immer noch | |
| Fußball und Verein ist Verein, da pflegt jeder am Spieltag seine ureigene | |
| Liebe. | |
| Sofern es mit den Tickets – dank eines Unioners mit guten Beziehungen – | |
| klappt, wird Antonino Verde mit seiner Frau, den Kindern, aber auch | |
| Schwager und Schwiegervater ins Olympiastadion gehen. Dorthin, wo er bisher | |
| nur ab und zu Hertha sah, als die noch in der Ersten Bundesliga spielten. | |
| Und was ist mit dem Rückspiel in Neapel, das schon bald stattfindet? „Das | |
| gucken wir zu Hause im Fernsehen. Wegen der Arbeit schaffe ich es nicht | |
| nach Neapel, was natürlich schade ist, allein wegen der tollen Atmosphäre | |
| im Maradona-Stadion. Manche Leute sagen zwar, dass es dort gefährlich wäre. | |
| Aber das ist nicht mehr so.“ | |
| Rein sportlich erwartet Antonino Verde übrigens ein spannendes Match, denn | |
| Napoli hat ähnlich wie Union aktuell nicht den besten Lauf. | |
| Die Arbeit, die Antonio Verde vom spontanen Heimattrip abhält, ist übrigens | |
| ein Eiscafé, das er und Rossana in Brandenburg an der Havel betreiben. Es | |
| heißt erstaunlicherweise nicht „Napoli“ oder „Maradona“, sondern „Pi… | |
| San Marco“, so wie der berühmte Platz in Venedig. | |
| Die Stammgäste wissen natürlich trotzdem, dass die jeden Tag aus Ribbeck | |
| pendelnden Café-Besitzer innige Napoli-Fans sind. „Unsere Gäste reden mit | |
| mir oft über Fußball, und dass jetzt Union und Neapel aufeinandertreffen, | |
| freut die sehr. Es ist ein bisschen wie ein Spiel Italien gegen | |
| Deutschland.“ | |
| ## Feiern im Olympiastadion | |
| Natürlich sind die Neu-Märker mit den süditalienischen Wurzeln auch Fans | |
| der Squadra Azzurra. Als Italien vor zwei Jahren Fußballeuropameister wurde | |
| (übrigens mit dem jetzigen Unioner Leonardo Bonucci), ist Antonino Verde | |
| anschließend nach Berlin gefahren, um beim mitternächtlichen Autocorso | |
| mitzumachen. Auch bei der WM 2006 hatten sie in Berlin gefeiert. Rossana, | |
| die er damals noch nicht kannte, war sogar in Dortmund beim legendären | |
| Halbfinalsieg Italiens gegen Deutschland im Stadion dabei. | |
| Für die EM im nächsten Jahr wünschen sie sich natürlich, wieder nach dem | |
| Finale im Berliner Olympiastadion feiern zu können. Jetzt aber dreht sich | |
| erstmal alles um Union-Napoli. Aus dem Anlass lässt Antonino seine große | |
| [4][Napoli-Fahne] am Mast neben dem Pferdewagen auch bis zum 24. Oktober | |
| hängen. So werden sich dann wohl noch einige Vorbeifahrende wundern über | |
| Forza Napoli statt Forza Fontane. | |
| Der berühmte Dichter war übrigens auch mal in Neapel, 1874 auf einer | |
| Italienreise. Sehr begeistert soll er sich nicht gezeigt haben, eher wie | |
| ein typischer „nörgelnder Tourist“, wie es ein Fontane-Experte beschrieb. | |
| Die Leute schienen ihm wohl suspekt. Würde er heute die ansteckende | |
| Lebenslust von Antonino Verde aus Ribbeck im Havelland erleben, wäre er | |
| vielleicht eines Besseren belehrt. Sein berühmtes Gedicht kennt der | |
| Italo-Märker inzwischen, wenn auch nicht auswendig. | |
| 23 Oct 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Gunnar Leue | |
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