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# taz.de -- Multi Club Ownerships im Fußball: Geschäft gegen die Fairness
> Multi Club Ownerships sind der jüngste Auswuchs des Fußballkapitalismus:
> Mehrere Klubs gehören demselben Investor. Das ist ein Problem.
Bild: Duell der Limoklubs: In der Europa League 2018/19 trifft Salzburg auf RB …
Auf den ersten Blick wirken die letzten Wochen des FC Girona wie ein
kleines Fußballmärchen im zunehmend rationalisierten Profifußball. Nach
neun Spieltagen in der ersten spanischen Liga hat der katalanische Klub
siebenmal gewonnen und steht in der Tabelle zwischen den Superteams von
Real Madrid und dem FC Barcelona auf Rang zwei.
Noch vor zwei Jahren kickte der Verein zweitklassig, jetzt scheint er auf
dem Weg in den Europapokal. Der Kader ist gespickt mit jungen, aufregenden
Talenten, die das Land begeistern. Spieler wie Sávio, 19, und Yan Couto,
21, gehören zu den Leistungsträgern einer Mannschaft, die von der
spanischen Zeitung El País kürzlich als „großes Kino der Gegenwart“
gewürdigt wurde.
Doch je genauer man auf den FC Girona blickt, desto stärker verblasst das
Märchen, und zum Vorschein kommt eben doch: der zunehmend rationalisierte
Profifußball.
Denn Girona ist letztlich kaum mehr als das, was die Amerikaner „Farmteam“
nennen. Abseits der allergrößten Fußballbühne sollen hier talentierte
Spieler Erfahrung sammeln, bis sie gut genug sind, um bei Manchester City
zu spielen.
Denn der FC Girona gehört, wie zwölf weitere Klubs, zur City Football Group
– einer multinationalen Holdinggesellschaft, die Anteile an Fußballvereinen
auf der ganzen Welt hält. An der Spitze steht Manchester City, der
englische Meister, dem letztlich alle anderen Vereine mehr oder weniger
zuarbeiten sollen. Die Red-Bull-Gruppe mit dem Krösus in Leipzig arbeitet
ganz ähnlich.
## „Das Phänomen passt ins Gesamtbild“
Konstrukte wie diese, bei denen ein sehr reicher Akteur mehrere Klubs
besitzt, werden im Fußballgeschäft gerade immer häufiger. Der gängige Name
für sie kommt aus dem Englischen: Multi Club Ownership, kurz MCO.
„Das Phänomen passt ins Gesamtbild“, findet Markus Breuer. Der
Sportökonom von der Hochschule Heidelberg hat [1][2018 erstmals zu MCOs
publiziert] und erklärt im Gespräch mit der taz: „Multi Club Ownerships im
europäischen Fußball sind eine logische Folge der immer weiteren
Kommerzialisierung und Professionalisierung des Sports.“
Betriebswirtschaftlich seien Multi Club Ownerships für die Investoren
zweifellos sinnvoll, „aber sie führen auch zu einer Verzerrung des
sportlichen Wettbewerbs“.
Aus unternehmerischer Sicht ist die Idee recht simpel. „Wenn wir davon
ausgehen, dass Investoren nicht aus einem Sportinteresse heraus
investieren, sondern weil sie Geld verdienen wollen“, erklärt Sportökonom
Breuer, „dann ist es im Sinne der Risikostreuung sinnvoll, in verschiedene
Klubs zu investieren.“
Risikostreuung bedeutet in diesem Fall, dass man der [2][Volatilität] von
Fußballvereinen, die stark mit den sportlichem Ergebnissen zusammenhängt,
etwas entgegensetzt.
## Fußball ist nicht immer rational
Ja, Geld schießt Tore, Erfolge sind zu einem gewissen Grad plan- und hohe
Einnahmen kalkulierbar. Das beweist ein Blick auf die
[3][Bundesligatabellen der letzten elf Jahre]. Aber Fußball ist nicht immer
rational. Mannschaften spielen sich in einen Rausch oder geraten in eine
Abwärtsspirale. Vereine können überraschend absteigen und müssen plötzlich
ihre finanziellen Planungen über den Haufen werfen.
Das macht es für gewinnorientierte Investoren gefährlich, ihr Geld in nur
einen Fußballverein zu stecken. Also streuen sie ihr Risiko; sie kaufen
Anteile bei mehreren Klubs und sichern sich damit für unerwartete
Misserfolge ab.
Nach diesem Konzept arbeitet zum Beispiel die [4][Private Equity
Gesellschaft 777], die im letzten März die Anteile von Lars Windhorst an
Hertha BSC gekauft hat. Zum Portfolio von 777 gehören neben dem kriselnden
Hauptstadtklub auch etwa der FC Sevilla und CFC Genua. Mal sind die
Amerikaner Mehrheits-, mal Minderheitseigner.
Unternehmen wie 777 arbeiten tatsächlich ausschließlich gewinnorientiert.
Die Motive der City Football Group sind hingegen nicht rein wirtschaftlich.
Die Besitzer aus Abu Dhabi verfolgen „auch ein sehr starkes politisches
Engagement“, sagt Markus Breuer. [5][Stichwort Sportswashing].
## Eine Gefahr für den fairen Wettbewerb
Dass viele Beobachter:innen in Multi Club Ownerships eine Gefahr für
den fairen Wettbewerb sehen, hat aber noch andere Gründe, betont der
Sportökonom: „In solchen Portfolios sind einige Dinge möglich, die man
bei einzelnen Investments nicht tun kann.“
Dazu gehört beispielsweise, dass die Vereine Ressourcen, also
Scouting-Netzwerke oder Posten im Management, teilen und sich so Vorteile
verschaffen können. Am kritischsten blicken Expert:innen aber auf die
Transferpolitik in MCOs. So legten aktuelle Untersuchungen nahe, dass
Transfers der Vereine untereinander „nicht zu marktüblichen Preisen
durchgeführt werden“, sagt Breuer.
Das bekannteste Beispiel hierfür ist die Red-Bull-Gruppe. 20 Spieler
wechselten bisher von Salzburg nach Leipzig, insgesamt gab es RB-intern
sogar schon weit über 100 Transfers. Wissenschaftler:innen der
Sporthochschule Köln kommen zu dem Ergebnis, dass diese im Schnitt 5
Millionen Euro günstiger waren, als es auf dem Transfermarkt zu erwarten
gewesen wäre.
## Möglichkeit für Tricksereien
Ebenfalls beliebt sind Leihen untereinander, so stehen etwa die in Girona
gefeierten Jungprofis Sávio und Yan Couto tatsächlich bei den City-Klubs
Estac Troyes aus Frankreich und Manchester City unter Vertrag. Abgesehen
vom Identitätsverlust, den viele in der Degradierung von Vereinen zu reinen
Ausbildungsklubs sehen, sind solche Leihgeschäfte auch eine Möglichkeit zu
Tricksereien.
Vor zwei Jahren hebelte der [6][AS Nancy eine Transfersperre aus], indem
der Verein seine Wunschspieler nicht selbst kaufte, sondern sie vom
belgischen Klub KV Oostende verpflichten ließ. Anschließend lieh Nancy die
Spieler einfach aus. Beide Vereine gehören zur Pacific Media Group, die
auch Anteile am FC Kaiserslautern hält.
„Wir sind überzeugt davon, dass Multi Club Ownerships der Integrität des
Wettbewerbs schaden“, sagt Helen Breit gegenüber der taz. Die
Fanvertreterin ist Teil der „[7][Taskforce Zukunft Profifußball]“, die vor
gut drei Jahren Konzepte für Reformen im Fußball vorlegte.
In Arbeitsgruppen formulierten sie auch eine Haltung zu MCOs; die Taskforce
fordert darin nationale wie internationale Regulierungen. Es solle etwa
verboten werden, dass ein Investor, der im Ausland bereits mehr als 10
Prozent der Anteile an einem Klub hält, auch in Deutschland bei einem
Verein einsteigen darf. Den Einstieg von 777 bei der Hertha lehnen die
Interessenvertreter:innen entsprechend ab. „Der Fußball darf nicht
noch mehr zum Spielball von Investoren werden“, fordert Breit.
Es gibt keine gesicherten Zahlen dazu, wie viele Vereine weltweit Teile von
MCO-Konstrukten sind. Laut Uefa waren es 2022 180, eine [8][Recherche aus
Dänemark] kam im März bereits auf 256 Klubs. Klar ist: Es werden immer
mehr.
## Die Regeln der Uefa sind nur auf dem Papier streng
Auch die Uefa kann das Thema nicht mehr ignorieren. Im März sagte
[9][Präsident Aleksander Čeferin] im Gespräch mit dem ehemaligen Fußballer
Gary Neville: „Es gibt mehr und mehr Interesse an Multi Club Ownerships.“
Darüber müsse man reden und womöglich „die aktuellen Regeln überdenken“.
Auf dem Papier wirken die aktuellen Regeln streng. Demnach dürfen zwei
Vereine, die unter Kontrolle eines Investors sind, nicht an
Uefa-Klubwettbewerben teilnehmen. In der Realität aber winkte der
Verband in diesem Sommer drei solcher Konstellationen durch, nachdem
angeblich „bedeutsame Änderungen“ von den Klubs vorgenommen worden seien,
um sicherzustellen, dass niemand unangemessen viel Kontrolle hat.
Die Schwesterklubs aus Leipzig und Salzburg haben in der Europa League
sogar schon direkt gegeneinander gespielt. Für die Uefa ist das Engagement
von Red Bull bei den Österreichern offiziell ein ganz gewöhnliches
Sponsoring.
Fanvertreterin Helen Breit sagt: „Ich muss inzwischen ein großes
Fragezeichen dahinter machen, ob die Verbände dieses Problem überhaupt in
den Griff bekommen wollen. Wir haben den Eindruck, dass niemand so richtig
regulieren will.“ Auch Sportökonom Markus Breuer hält eher eine weitere
Aufweichung der Regeln für wahrscheinlich.
## „Regulierung ist etwas positives“
Aber der 42-Jährige sieht ohnehin nicht die Verbände in der Verantwortung
zu regulieren, „sondern die Fans dürfen nicht vergessen, welchen Einfluss
sie haben. Wenn sie sich von einem Klub abwenden, dann hat das einen
Einfluss.“ Das passiere bei MCO-Einstiegen aber nur selten.
Helen Breit kann dem wenig abgewinnen: „Natürlich stirbt jeder Markt, wenn
es keine Nachfrage mehr gibt“, sagt die Fanvertreterin. „Aber die Frage ist
doch, welche Art von Fans der Fußball will. Es wird immer Menschen geben,
die ihn wie eine Ware konsumieren. Aber wenn man sich die Basis erhalten
will, dann sollte man auf die hören, die Fußball als Publikumssport
mitgestalten wollen.“ Und die seien mehrheitlich gegen MCOs. „Regulierung
ist etwas Positives, weil es schützt.“
Zu glauben, deutsche Klubs seien dank der 50+1-Regel vor dem Einfluss der
MCO-Konstrukte geschützt, ist übrigens falsch. Das zeigt nicht nur das
Investment von 777 bei Hertha, sondern auch eine Aussage des Freiburger
Sportvorstands Jochen Saier auf der jüngsten Jahreshauptversammlung.
Demnach habe der SC die Multi Club Ownerships als „eine neue
Herausforderung“ auf dem Transfermarkt wahrgenommen. Da wechselt ein Talent
schon mal lieber nach Katalonien als in den Breisgau.
22 Oct 2023
## LINKS
[1] https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-319-77389-6_7
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Volatilit%C3%A4t#:~:text=Volatilit%C3%A4t%20(…
[3] /Finale-in-der-Fussball-Bundesliga/!5937072
[4] /Investor-bei-Hertha-BSC/!5922598
[5] /Fussball-WM-Vergabe-2030/!5960565
[6] https://www.insideworldfootball.com/2021/08/03/french-clubs-protest-nancy-o…
[7] https://zukunft-profifussball.de/integritat-des-wettbewerbs-konzept
[8] https://www.playthegame.org/news/spree-of-buying-clubs-threatens-football-i…
[9] https://www.youtube.com/watch?v=YMtMg9BqZSM&t=975s
## AUTOREN
David Kulessa
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