# taz.de -- Union Berlin in der Champions League: Wir werden ewig leben | |
> Sie können's doch noch: Union Berlin gewinnt mit altbekannten Mitteln | |
> einen Punkt in Neapel. Der sportliche Wert ist gering, die Symbolkraft | |
> gewaltig. | |
Bild: Bereit, um aufzustehen: Urs Fischer hat endlich wieder Fußballgesetze ge… | |
NEAPEL taz | Minutenlang hallten nach dem Abpfiff die Sprechchöre durchs | |
Stadio Diego Armando Maradona: „Urs Fischer, Urs Fischer!“ Die mitgereisten | |
Union-Fans ließen keinen Zweifel, dass sie dieses Remis als Sieg fühlten | |
und der größte Sieger an der Seitenlinie stand. Ein historisches 1:1 hatte | |
Union in der Champions League gegen den italienischen Meister SSC Neapel | |
erstritten – spielerisch sehr glücklich, kämpferisch durchaus verdient. | |
Der erste Punktgewinn überhaupt in der Champions League verschafft Trainer | |
Urs Fischer nach der traumatischen Serie von zwölf Niederlagen erst einmal | |
Luft. Wenngleich der Schweizer Ruhepol nach der Partie glaubhaft betonte: | |
„In erster Linie geht es hier nicht um mich. Es freut mich für Union und | |
die Mannschaft, dass wir uns endlich belohnt haben.“ Und: „Man kann sich ja | |
vorstellen, wie die Stimmung nach zwölf Niederlagen war. In solchen | |
Situationen gilt es, kleine Schritte zu machen.“ Ein erster ist getan. | |
Zu Saisonbeginn schien es eine logische Konsequenz, dass die märchenhaft in | |
die Champions League eingezogenen Unioner Minimalisten auch mal beginnen | |
sollten, ansehnlichen Fußball zu spielen. Doch das spät zusammengestellte | |
Team wirkte davon überfordert, und mit solchen Wünschen ist es in der Krise | |
längst vorbei. Ob das Unioner Führungsduo von Präsident Dirk Zingler und | |
Manager Oliver Ruhnert tatsächlich bereit wäre, den Freiburger Weg zu gehen | |
und notfalls mit Fischer in Liga zwei abzusteigen, ist trotz der | |
Treueschwüre fraglich. | |
## Eklig, hartnäckig und effizient | |
Schließlich hat man mit Kalibern wie Robin Gosens und Kevin Volland nicht | |
gerade für einen Abstieg eingekauft. Und in der starken zweiten Liga wäre | |
ein rascher Wiederaufstieg alles andere als garantiert. Somit ist der | |
Punktgewinn natürlich auch einer für Fischer. Und angesichts des nun auch | |
mathematischen Aus in der Champions League geht es eh vor allem um eine | |
Ansage für die Liga: Es klappt doch noch nach altem Rezept. Entsprechend | |
war Union in Neapel wieder ganz bei sich: eklig, hartnäckig und effizient. | |
Oder in Fischers Worten: „Die Mannschaft hat gezeigt, dass sie bereit ist, | |
aufzustehen.“ | |
Eigentlich sind solche Remis in der Welt des Fußballs natürlich nicht | |
vorgesehen. Die spielfreudige SSC Neapel war die in beinah jeder Hinsicht | |
weit überlegene Mannschaft. Vor allem in der ersten Hälfte kombinierten | |
sich die Neapolitaner nach Lust und Laune durch den Unioner Strafraum, | |
bildeten allerlei Dreiecke, kamen viel zu leicht hinter die Kette, glänzten | |
vor allem in Form des großen Dribbelkünstlers Kvaratskhelia. Union brauchte | |
jede Menge Glück, Torhüter Rönnow den Pfosten (24.) und den | |
Videoassistenten, der Neapels erstes Tor wegen Foulspiels aberkannte (30.), | |
um in der Partie zu bleiben. Dann erzielte Politano die folgerichtige | |
Führung (39.). | |
Doch der erste gut ausgespielte Konter genügte, um durch den agilen Fofana | |
zum 1:1-Ausgleich zu kommen (52.) und die Partie zu kippen. Kompakt und | |
konterschnell wie zu besten Zeiten waren die Berliner dann streckenweise, | |
Neapel zunehmend fahrig und frustriert. Eigentlich ist Unions modernes | |
Kick-and-Rush in der Champions League nicht vorgesehen. Aber was sind schon | |
Fußballgesetze? | |
## Unioner zeigen das Gesicht des hässlichen Deutschen | |
Der Hauch von altem Märchen blieb allerdings nicht der einzige Eindruck des | |
Abends. Vor der Partie hatten Unioner Fans mit befreundeten Gladbachern das | |
Gesicht des hässlichen Deutschen gezeigt und waren laut italienischer | |
Polizei mit Metallstangen randalierend durch die Innenstadt gezogen. Als | |
Bilanz standen Verletzte, zerstörte Schaufenster, beschädigte Autos und elf | |
Festnahmen. | |
Die italienischen Ultras revanchierten sich während der Partie mit | |
zahlreichen Böllern, die gefährlich nahe Richtung Gästeblock flogen. Erst | |
spät griff das Sicherheitspersonal ein. All das weckte ungute Erinnerungen | |
an die Gewalt bei Eintracht Frankfurts Auswärtsspiel in Neapel vor sechs | |
Monaten. | |
Für Union sind die Liga und das kommende Spiel gegen Tabellenführer | |
Leverkusen längst der relevantere Schauplatz, mental aber ist das Remis | |
wichtig. So erinnerte Fischer daran, dass man durch das 1:1 ja noch die | |
Chance auf den dritten Platz in der Gruppenphase, mithin Europa League, | |
habe. Ein symbolischer Befreiungsschlag, der die Köpfe für Leverkusen heben | |
soll. Und schließlich machte auch der Trainer der Gastgeber Mut. „Wir | |
wussten, dass Union Berlin ein Team ist, das dich nerven kann“, gab Neapels | |
Coach Rudi Garcia nachher zu Protokoll. „Sie sind besser, als das letzte | |
0:3 in der Liga klingt. Union ist ein deutsches Team, eines, das niemals | |
stirbt.“ | |
Das ist zwar auch viel übliches Klischeegeplänkel und das Starkreden des | |
Gegners für den angezählten Garcia nicht ganz uneigennützig. Aber ein Team, | |
das niemals stirbt, darf für Unioner schon klingen nach: Wir werden ewig | |
leben. Im Abstiegskampf kann eine Erinnerung daran nicht schaden. | |
9 Nov 2023 | |
## AUTOREN | |
Alina Schwermer | |
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