| # taz.de -- Energiewende und Landwirtschaft: Oben Solarpark, unten Trecker | |
| > Agri-Photovoltaik-Flächen können Energie, Landwirtschaft und Artenschutz | |
| > miteinander kombinieren. Aber noch ist ihre Umsetzung schwierig. | |
| Bild: Genug Abstand für Licht und Regen und hoch genug, dass ein Trecker darun… | |
| KLEIN RHEIDE taz | Glockenblumen und Wiesenschaumkraut leuchten zwischen | |
| den Grashalmen, ein weißer Falter flattert über den Blüten. In lockeren | |
| Reihen stehen im schleswig-holsteinischen Klein Rheide Photovoltaik-Anlagen | |
| auf der Wiese. Sie sind so weit auseinander, dass zwischen ihnen | |
| Sonnenlicht auf den Boden fallen kann, und so hoch, dass Menschen und | |
| Geräte unter ihnen arbeiten können, durch die Ritzen zwischen den Modulen | |
| fällt Regen. Auf der Wiese finden sich seltene Pflanzen wie die | |
| Sand-Strohblume und Tiere wie die Kreuzkröte, die in einem Teich auf dem | |
| Gelände lebt. | |
| „Rechtlich ist das hier ein Supermarktparkplatz“, sagt René Nissen, | |
| Geschäftsführer der [1][„Wattmanufactur“], ein Unternehmen aus | |
| Nordfriesland, das Solarparks baut und dabei einen ökologischen Mehrwert | |
| schaffen will, so die Firmenwerbung. Die Wattmanufactur setzt sich als Teil | |
| eines Bündnisses von Anlagenherstellern und Energieunternehmen dafür ein, | |
| Energiegewinnung, Artenschutz und Landwirtschaft zusammenzudenken und die | |
| rechtlichen Probleme zu lösen, die heute noch die Kombination von | |
| Photovoltaik und Landwirtschaft erschweren. | |
| Denn die sogenannten Agri-Photovoltaik-Flächen, vor allem wenn sie extensiv | |
| betrieben werden, könnten mehrere Probleme auf einmal lösen. Die | |
| Schwierigkeiten der Umsetzung liegen im Detail – und darin, dass das | |
| Verfahren noch nicht bekannt genug ist, glauben Nissen und seine | |
| Mitstreiter*innen. Das wollen sie ändern: Anfang August schaute | |
| Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) auf seiner Sommertour | |
| vorbei, auch sein Parteifreund Cem Özdemir, im Bundeskabinett für | |
| Landwirtschaft zuständig, war im Juni da. | |
| Der Zeitpunkt passt: Die Bundesregierung [2][arbeitet zurzeit an einem | |
| Solarpaket], das nach Ende der politischen Sommerpause im Bundestag beraten | |
| werden soll. Der Ausbau von Photovoltaik-Anlagen ist ein Ziel der | |
| Ampelregierung: 20 Gigawatt Leistung sollen künftig pro Jahr hinzukommen, | |
| davon je die Hälfte auf Dächern und in der Fläche, sagt Habeck. Doch wohin | |
| sollen alle diese Solarparks, wenn gleichzeitig Land für Windräder, | |
| Naturschutz und Wohnungsbau gebraucht wird? Bisher wurden oft Äcker und | |
| Wiesen umgewandelt, aber auch deren Menge ist begrenzt. | |
| ## Zweimal Geld für jeden Meter | |
| „Agri-Photovoltaik kann diese Nutzungskonflikte lösen, ohne dass die | |
| bisherige Nutzung von Feldern, Äckern und Wiesen verloren geht, und sie hat | |
| das technische Potenzial, mehr als den gesamten aktuellen Strombedarf zu | |
| decken“, so steht es in einer [3][Stellungnahme des Bauernverbandes]. | |
| Wenn die Landwirtschaftslobby jubelt, ist Obacht geboten: Unterm Strich | |
| bedeutet das Modell der doppelten Nutzung, dass Landwirt*innen an einem | |
| Quadratmeter Boden zweimal verdienen. Kann das fair sein? „Ja“, sagt | |
| Nissen. Denn ein Großteil der landwirtschaftlichen Flächen in Deutschland | |
| ist verpachtet. Wird ein Acker komplett in einen Solarpark umgewandelt, | |
| verdienen die Landbesitzer*innen und Investor*innen, während die | |
| Bäuer*innen die Fläche verlieren. Bei Agri-PV können sie sie weiter | |
| nutzen, allerdings anders als vorher. | |
| Daher sehen auch Naturschutz-Organisationen in dem Modell eine Chance, | |
| gerade wenn intensiv bewirtschaftetes Land umgewandelt wird: „Rundum | |
| begrünte Photovoltaik-Anlagen, genannt Biodiversitäts-Solarparks, könnten | |
| ein Gewinn für Flora und Fauna sein, denn unter und um die Solarmodule | |
| wächst und blüht es – für Insekten, Kriechtiere und auch für Schafe ein | |
| Paradies“, schreibt Ina Walenda, Photovoltaik-Expertin der Naturfreunde | |
| Schleswig-Holstein. Möglich seien biodiverse Verbundsysteme, die sich als | |
| Grünstreifen durch die Agrarlandschaft ziehen. | |
| Von solchen Modellen sprechen auch Teilnehmende des Vor-Ort-Termins auf dem | |
| Solarpark Klein Rheide, den die Wattmanufactur auf dem Gelände des | |
| Landwirts Dag Frerichs errichtet hat. Auf der Fläche stand früher Mais, | |
| berichtet Frerichs. Dann entschloss er sich, gemeinsam mit der Gemeinde, | |
| die Fläche zur Stromproduktion zu nutzen – und gleichzeitig etwas für | |
| Artenschutz und Biodiversität zu tun. Denn nach der Gemeinsamen | |
| Agrarpolitik (GAP) der EU sind Landwirt*innen verpflichtet, 4 Prozent | |
| ihrer Äcker brachliegen zu lassen. | |
| ## Möglich ist im Baurecht vieles | |
| Hier taucht das nächste Problem auf: Kann eine Fläche, auf der Solaranlagen | |
| stehen, als unbewirtschaftet gelten? In einigen Bundesländern, darunter | |
| Niedersachsen, kann ein Gelände, auf dem sich Artenvielfalt nachweisen | |
| lässt, seine eigene Ausgleichsfläche sein, während ein Solarpark in | |
| Schleswig-Holstein als Gewerbefläche gilt. „Das Land hat es eigentlich gut | |
| gemacht und Regeln für Solarenergie aufgestellt“, sagt René Nissen. „Doch | |
| das fällt uns jetzt auf die Füße, weil extensive Agri-PV nicht vorgesehen | |
| ist.“ | |
| Auch wenn die Länder einigen Spielraum haben, ist hauptsächlich die | |
| Bundesebene gefragt. Aus Sicht der Verbände und Energieunternehmen wäre es | |
| sinnvoll, das Thema beim Landwirtschaftsministerium anzudocken und bereits | |
| bestehende Verordnungen zu ergänzen. Generell könnten Landwirt*innen | |
| bereits jetzt mit dem Bau solcher Parks loslegen, aber oft scheuen sich | |
| Gemeinden, Projekte außerhalb der Standards zu genehmigen, weiß der Jurist | |
| Jens Vollprecht. Er will den Beteiligten Mut machen: „Baurecht kann | |
| vieles.“ | |
| Am besten hilft eigene Anschauung, ist René Nissen überzeugt: „Wir hatten | |
| schon Naturschützer hier, die vorher gedacht hatten, Draht und Kabel passen | |
| nicht zu Biodiversität. Und Gemeinderäte, die begeistert waren, wie gut die | |
| Fläche aussieht.“ Schlecht seien Agri-PV-Anlagen nur für Investoren, die | |
| möglichst viel Strom pro Quadratmeter erzeugen wollten. Dabei liege der | |
| Ertrag etwa in Klein Rheide gar nicht weit unterhalb des Maximums: „Bei | |
| einer klassischen Solar-Fläche könnten wir hier 1,4 Megawatt Strom | |
| erzeugen, hier sind es 1,2 MW.“ | |
| Das Verfahren erfordere ein Umdenken aller Beteiligten, auch im | |
| Artenschutz, sagte Habeck nach dem Rundgang. Um angesichts begrenzter | |
| Flächen die Ausbauziele für Photovoltaik zu schaffen, „sollten wir uns dem | |
| Gedanken nähern, dass dieses Modell der Standard wird“. | |
| 8 Aug 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.wattmanufactur.de/kontakt.html | |
| [2] https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Publikationen/Energie/photovoltaik-stategi… | |
| [3] https://www.bauernverband.de/dbv-positionen/positionen-beschluesse/position… | |
| ## AUTOREN | |
| Esther Geißlinger | |
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