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# taz.de -- „Mensch Meier“ von Schließung bedroht: Die Kosten der Utopie
> Steigende Preise und schwindende Besucherzahlen machen dem subkulturellen
> Club zu schaffen. Jetzt sucht das Gründungskollektiv nach
> Nachfolger:innen.
Bild: Der alternative Club Mensch Meier in seiner vollen Pracht
Berlin taz | „Tanz den Untergang mit uns“ steht an der Fassade des Clubs
Mensch Meier geschrieben. Die Aufforderung kann man jetzt wörtlich nehmen.
Denn schon Ende des Jahres könnte der in einem Industriegebiet an der
Storkower Straße im Prenzlauer Berg gelegene Club Geschichte sein. Damit
würde ein Ort des Berliner Nachtlebens wegfallen, der, vergleichbar nur mit
dem [1][About Blank am] Ostkreuz, das Veranstalten von Partys mit einem
klar linken und antifaschistischen Impetus verbindet.
Schon vor ein paar Wochen wurde auf der Homepage über das mögliche Aus
informiert und ein paar der Gründe dafür zumindest angedeutet. Die Zäsur
durch Corona, gestiegene Energiekosten und die Inflation werden dort unter
anderem angegeben.
Etwas präziser wird Karo, Sprecherin des Mensch Meier bei einem Gespräch in
der Gemeinschaftsküche des Clubs und dann bei einer Zigarette im Garten.
Das derzeitige Kollektiv, das im Wesentlichen aus zehn Personen besteht und
das den vor fast zehn Jahren gegründeten Club mit aufgebaut hat, will die
Verantwortung abgeben. Diesbezüglich sei man in Gesprächen mit dem
Vermieter.
Die Hoffnung ist, die Räumlichkeiten an ein anderes Kollektiv abgeben zu
können, von dem anzunehmen sei, dass es den Club im Sinne seiner Erfinder
weiterbetreiben würde. Man habe auch schon eines zur Hand. Viel mehr möchte
Karo zu den Verhandlungen hinter den Kulissen nicht sagen, um diese nicht
zu gefährden. „Wir versuchen jedenfalls, dass der Ort erhalten bleibt“,
sagt sie.
## Mehr als Rave und Drogen
Das Mensch Meier ist mit seiner basisdemokratischen Kollektivstruktur
ziemlich außergewöhnlich in der Berliner Clubszene. Alle dürfen mitreden
bei Entscheidungsprozessen, alle verdienen das Gleiche. Von Anfang an
wollte man einen Ort schaffen, in dem es um mehr geht, als Partys zu
schmeißen und mit diesen einen guten Schnitt zu machen. „Party bedeutet
nicht einfach nur Drogen nehmen und raven“, so erklärt Karo die
Mensch-Meier-Philosophie. „Party bedeutet auch, offen sein für neue Leute,
andere Lebensrealitäten, neue künstlerische Eindrücke.“
Gleichzeitig sei es von Beginn an darum gegangen, „Kunst und Kultur für
alle zu ermöglichen. Das bedeutet auch, dass wir so wenig Eintritt nehmen
wie möglich.“ Über die erste Preiserhöhung bei den Getränken und ob man
diese den Gästen zumuten könne, sei gar über ein Jahr diskutiert worden.
Der Anspruch ist also, einen möglichst nichtkommerziellen,
diskriminierungsfreien, utopischen Ort zu schaffen. Das Mensch Meier hat
tatsächlich schon [2][ein Awareness-Team] gehabt, als andere Clubs noch gar
nicht wussten, was das überhaupt ist. Und es hat mit [3][„Spaceship“ eine
Partyreihe etabliert, die sich auch an Menschen mit Behinderungen richtet],
was es so vergleichbar nirgendwo sonst gibt in Berlin. Die Welt muss eine
bessere werden, fangen wir mit den Verbesserungen schon mal im eigenen Club
an, so ungefähr lautet das Selbstverständnis des Meier.
Doch die Welt ist, wenn man so will, eher eine schlechtere geworden.
„Krieg, Klimawandel“ – Karo spricht es selbst an. „Den Leuten ist in di…
Zeiten vielleicht gerade nicht so nach Feiern zumute und sie haben nicht so
viel Lust auf Neues, Innovatives und Ungewöhnliches. Sie wollen eher was
Vertrautes, wo sie sich darauf verlassen können, was passiert“, glaubt sie.
Und versucht, diese Beschreibung dafür herzunehmen, dass die Besucherzahlen
in der letzten Zeit zurückgegangen seien.
## Ausgebranntes Kollektiv
Die Corona-Zäsur ist ebenfalls ein wichtiger Faktor. Als nach der Pandemie
endlich wieder gefeiert werden durfte, war auch im Mensch Meier der Ansturm
gewaltig. „Bei den ersten Partys bildeten sich riesige Schlangen vor der
Tür und die Euphorie war riesig“, so Karo, „aber offensichtlich waren die
Leute schnell wieder bedient.“ Was direkt auf die Pandemie folgte, war ja
dann gleich die nächste Krise, ausgelöst durch den Krieg samt
Wirtschaftskrise und Inflation. „Das Publikum, das wir ansprechen, hat halt
nicht so viel Geld“, so Karo. Und könne sich bei gestiegenen
Lebenshaltungskosten das gleichzeitig teurer gewordene Feiern kaum noch
leisten.
Das gelte auch für sie selbst. Wer im Mensch Meier arbeitet, sei es zwar
gewohnt, prekär zu leben. Sie spricht vom Mensch Meier als „riesengroßem
Sozialexperiment“ und davon, „seit Jahren am Existenzminimum Kultur zu
vermitteln“. Nun aber sei eine Schwelle erreicht. Der Tank sei leer, man
sei erschöpft. „Die meisten von uns können und wollen sich diese Art von
Verhältnissen nicht mehr leisten. Da ist es vielleicht auch mal Zeit für
einen Generationenwechsel.“
Viele, auch Karo, würden nun weiter als DJs arbeiten, Partys organisieren,
das unterbrochene oder vernachlässigte Studium wieder aufnehmen.
Sie sagt, im Abgang möchte man all die angesprochenen Ursachen für das
drohende Ende des Mensch Meier wenigstens noch in den Diskurs der
Stadtgesellschaft hineintragen. Wie geht man weiter um mit subkulturellen
Orten in Zeiten, in denen sich die Schere zwischen Arm und Reich immer
weiter öffnet und sich die Ärmeren die Subkultur kaum noch leisten können?
Und gäbe es nicht auch andere Möglichkeiten, auf ständig steigende
Fixkosten wie Miete und Strom, über die Karo klagt, anders zu reagieren,
als immer nur Eintritts- und Getränkepreise zu erhöhen? „Man braucht so
etwas wie Bestandsschutz und wahrscheinlich eine Förderungsstruktur für
subkulturelle, nicht rein kommerzielle Orte“, glaubt Karo. Halb im Spaß und
halb ernst formuliert sie dann noch diesen Satz, der sich an den neuen
Berliner Kultursenator von der CDU richtet: „Joe Chialo, wenn du das hier
liest: Bitte kauf die Immobilie, in dem sich das Mensch Meier befindet.“
7 Aug 2023
## LINKS
[1] /Streit-um-die-A100-in-Berlin/!5914275
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[3] /Inklusive-Disco-in-Berlin/!5375804
## AUTOREN
Andreas Hartmann
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