# taz.de -- Der Weg des Augustinerbiers: Vom Edelstoff zum Trendbier | |
> In den 90ern musste man noch in abgelegene Berliner Gegenden fahren, um | |
> es zu kriegen. Wer heute damit unterwegs ist, reiht sich ein. | |
Bild: Die Mode der Jungen der vorvorvergangenen Saison: Etikett von Augustinerb… | |
Gegenstände und Gebräuche, Dinge und Handlungen, die man | |
selbstverständlich, unschuldig, nicht distinktionsorientiert benutzt | |
beziehungsweise vollzogen hat – und die dann plötzlich etwas bedeuten: Los | |
ging das glaube ich mit [1][dem Augustiner]. | |
Ich kann mich nicht erinnern, dass in meiner beobachtenden Kindheit und | |
konsumierenden Jugend die Biermarke irgendeine Rolle gespielt hätte. Wir | |
wählten unsere Lokale nicht nach ihr aus, und wenn wir in einer | |
Augustinerwirtschaft saßen, dann tranken wir eben das. | |
Es muss in den 90ern angefangen haben, dass plötzlich alle nur noch | |
Augustiner wollten, auch ich nahm mir jetzt aus München ab und an ein paar | |
Flaschen „Edelstoff“ mit. In Berlin war es da noch einigermaßen | |
kompliziert, an das Getränk zu kommen, man musste Getränkemärkte in | |
dubiosen Gegenden wie Lichterfelde-West aufsuchen. Partys, bei denen man | |
den Gästen ein Augustiner in die Hand drücken konnte, waren beliebt, nicht | |
nur bei der bayrischen Diaspora. | |
Ein Aufsatz, den ich 2004 für das München-Stadtbuch des Verbrecher-Verlags | |
schrieb, markiert dann schon den Übergang zum allseits und allweil | |
verfügbaren, globalisierten Produkt: „Ubi Augustiner, ibi Monaco“, konnte | |
ich da meine gelegentlichen Anfälle von Heimweh rational- bzw. | |
alkoholisieren. Wenn ein Avantgarde-Verlag so was brachte – und mehr | |
Avantgarde als der Verbrecher-Verlag in den 00er Jahren geht, glaub ich, | |
gar nicht –, dann würden sich bald alle Zapfhähne öffnen. | |
## Das Gegenstück zum „Tannenzäpfle“ | |
In den 10ern tauchte Augustiner tatsächlich in den Spätis auf, als | |
vielleicht nicht ganz so gentrifizierungsorientiertes Westberliner | |
Gegenstück zum [2][baden-württembergischen Ossivertreiberzaubertrank | |
„Tannenzäpfle“] in Mitte und Prenzlauer Berg. | |
Wer heute mit einer Flasche Augustiner in der Hand in Berlin unterwegs ist, | |
zeichnet sich nicht mehr durch Geschmack oder Stil aus, er reiht sich ein. | |
Als älterer Herr könnte ich in den Verdacht geraten, auf die Mode der | |
Jungen der vorvorvergangenen Saison aufzuspringen, aber glücklicherweise | |
nimmt mich die Jugend eh nicht mehr wahr, weswegen sich Rechtfertigungen, | |
ich hätte dieses Bier schon getrunken, als sie noch alles außer Muttermilch | |
verschmähte, erübrigen. | |
Ähnlich verhält es sich mit den von mir seit frühester Jugend praktizierten | |
heutigen Trendbeschäftigungen Klettern („Bouldern“), Bergwandern („Hiken… | |
im Gärtchen hackeln („Urban Gardening“) und Schwammerlsuchen | |
([3][„Waldbaden“]). Das Ganze erinnert mich an [4][den Film „Tenet“], wo | |
der Protagonist nicht immer weiß, ob er gerade linear oder zeitinvertiert | |
unterwegs ist: Tue ich gerade etwas vor mich hin, das in 20 Jahren alle | |
geil finden werden? Bin ich meiner Zeit voraus oder hinken die anderen der | |
ihren hinterher? | |
Zur Erholung von diesem gedanklichen Tatzelwurm brauche ich jetzt erst mal | |
ein Bier: Ich steh gerade auf Flötzinger. | |
7 Aug 2023 | |
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## AUTOREN | |
Ambros Waibel | |
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