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# taz.de -- Angeblich sanfter Tourismus: Nichtschwimmer am Waldrand
> Waldbaden ist hierzulande der neue Megatrend. Für den Wald und all die
> darin lebenden Wildtiere und Pflanzen bedeutet das jedoch Stress pur.
Bild: Unter den lichtdurchfluteten Bäumen findet der gestresste Großstädter …
Sanft streicht der Wind durch die Fichtenzweige, ein Buchfink singt, in der
Ferne hämmert ein Schwarzspecht. Auf dem Boden sitzen geht nicht, weil sich
Wasser aus dem Moos in die Hose drückt. Lieber sucht man sich einen
trockenen Baumstamm, um die gute Luft und die heilsamen Geister des Waldes
zu genießen.
Terpene umschwirren die Nase, keine Insekten sondern die Duftstoffe der
Bäume. Sie kommunizieren mit den flüchtigen Düften und teilen sich mit,
wenn Fressfeinde im Anflug sind. Oder die Bäume locken mit den Düften für
sie nützliche Insekten an. Auch Menschen können manche der Terpene gut
riechen, wie in einem Kiefernwald oder unter Fichten. Andere Terpene nimmt
der Mensch im Wald nur unbewusst wahr, und dennoch wirken sie auf das
Nervensystem und beruhigen.
Japanische Mediziner, Neurobiologen und andere Wissenschaftler haben die
Gesundheitswirkung des Waldes auf den Menschen untersucht. Sie haben
Blutströme, Hormone und alle anderen körperlichen Vorgänge des Menschen im
Wald vermessen und herausgefunden, dass der präfrontale Cortex im Wald zur
Ruhe kommt, der Blutdruck sinkt, der Puls sich verlangsamt und die
Konzentration des Stresshormons Kortisol abnimmt. Der Wald macht gestresste
Städter gesund, weshalb die japanische Regierung ihre
zivilisationsgeschädigten Bürger seit bald 20 Jahren in den Wald zum
Shinrin-yoku schickt.
Wörtlich übersetzt bedeutet Shinrin-yoku „die Atmosphäre des Waldes
einnehmen“, was besser wiedergibt, was in Deutschland schnöde „Waldbaden“
heißt und hierzulande der Megatrend im sanften Tourismus ist.
Waldbademeister geleiten Nichtschwimmer vom Waldrand durch herabhängende
Zweige in das erholsame Grün, weisen auf Pilze, Ameisenhügel und eine
herabgefallene Feder. Sie lenken die Aufmerksamkeit der
Seepferdchenschwimmer, machen Atemübungen unter Fichten, leiten sie an,
nahe der Buche zu meditieren und sich auf den Liegen im Unterholz
niederzulegen, um die heilenden Kräfte des Waldes mit allen Sinnen
aufzunehmen.
Leider erhöht das Waldbaden den Stress von Fröschen, Libellen und Hasen,
die noch weniger Ruhe und Rückzug finden, wenn sich Menschen abseits der
Wege durchs Unterholz treiben lassen. Zudem bieten alle möglichen Leute
Kurse im Überleben im Wald, in Hüttenbau, Kräuterwanderungen,
Selbstversorgung im Wald an und bringen naturferne Menschen unter Bäume.
Hinz und Kunz suchen in der morschen Rinde nach Regenwürmern, richten
herumliegende Äste zum Tipi rund um den Baumstamm auf, rupfen Blätter und
Blüten für den Kräutersalat. Der Wald gerät in Stress, denn er ist weder
Freizeitpark noch Badeanstalt.
## Terpene gibt auch im Fläschchen
Den Geruch der Terpene können Waldfreunde auch als Öl in Fläschchen für
Duftlampen kaufen. Vielleicht wirkt’s, so wie auch der Anblick eines Bildes
mit einer Naturszene das Hirn beruhigt. „Der Geruch hat einen größeren
Einfluss auf physiologische Vorgänge als die Stimuli der anderen Sinne“,
schreiben die japanischen Wissenschaftler Yuko Tsunetsugu und Bum-Yin Park,
die den Einfluss des Waldes auf Körper und präfrontalen Cortex untersuchen.
Immer wenn der Mensch hochkonzentriert an einer Sache arbeitet, ist der
präfrontale Cortex im Einsatz. Der Denkapparat muss ebenso entspannen wie
ein Muskel, sonst verkrampft sich der Mensch irgendwann und geht unter. Wie
beim Schwimmen mit Wadenkrampf. Damit der Mensch gesund und locker bleibt,
muss er auch das Reptilienhirn nutzen. Das springt dann an, wenn Mensch
über einen Baumstamm balanciert. Oder auf Knien eine Ameise beim Wandern
durch die Laubstreu folgt. Im Denkmodus einer Eidechse können auch
Nichtschwimmer entlang des Waldsaums direkt am Weg entspannen. Zur
Beruhigung des Waldes.
29 Jun 2019
## AUTOREN
Ulrike Fokken
## TAGS
Waldbaden
Bäume
Stress
Erholung
Zukunft
Grunewald
Forstwirtschaft
Moderne Kunst
Reiseland Deutschland
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