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# taz.de -- Berlin und seine Forste: Wald tut wohl
> Wenn Stresshormone sinken und das Nervensystem sich stabilisiert, dann
> ist oft ein Wald im Spiel. Der tut dem Menschen einfach gut.
Bild: Bereit zum Waldbaden: der Grunewald
Berlin taz | „Den Baum berühren, den Baum spüren, eins werden mit dem Baum�…
– so murmelt die weltberühmte Baumumarmerin aus den Touché-Comics der taz
seit Menschengedenken, während sie mit geschlossenen Augen einen Stamm in
ihre Arme schließt. Oft geht das nicht gut aus, und wer das Wagnis
eingehen sollte, in einem echten Wald einen echten Baum zu umarmen, sollte
sich um hämische Kommentare nicht scheren oder aber aufpassen, dass
wirklich niemand in der Nähe ist.
Es sei denn, man geht gleich in der Gruppe. „Waldbaden“ heißt das seit
einiger Zeit, und neben dem Körperkontakt mit den hölzernen Großlebewesen
dürfen die nackten Fußsohlen mit Kiefernzapfen Bekanntschaft machen, es
wird an würzigem Harz geschnuppert oder einfach der von Zilpzalp und
Kuckuck unterbrochenen Stille gelauscht.
Für echte Waldliebhaberinnen ist so ein sinnliches Erlebnis sicher nichts
Revolutionäres, aber unter dem neuen Label, das aus Japan kommt –
shinrin-yoku heißt es dort im Original – lässt es sich eben besser
popularisieren und auch vermarkten.
Aber das heißt ja nicht, dass es unsinnig ist, im Gegenteil: Der Nutzen des
Waldes für Körper und Psyche ist durchaus erwiesen.
Kurz vor Corona, als mit der Pandemie dann die großen grünen Areale im
Grunewald und in Köpenick, in Tegel und Pankow monatelang zu den letzten
öffentlichen Orten gehörten, die fast uneingeschränkt zugänglich blieben,
richteten die Berliner Forsten den „1. Berliner Waldkongress“ aus. Unter
dem Motto „Wald tut gut“ referierten Fachleute aus Deutschland, Österreich,
Japan und Finnland über die positiven Kräfte dieses Biotops, das definitiv
mehr als die Summe seiner Bäume ist.
## Von gesunden Orten regelrecht eingekreist
Studien belegten, „dass ‚in der Natur sein‘ bzw. Naturexposition bereits
für sich ein Naturheilverfahren darstellt“, sagt Andreas Michalsen,
Professor für klinische Naturheilkunde an der Charité. „Patienten in einem
Krankenhaus, die auf Bäume oder einen Park blicken können, weisen eine
kürzere Verweildauer und Heilungszeit auf.“
Sein Kollege Qing Li von der Nippon Medical School Tokyo zählte auf, welche
gesundheitlichen Vorteile das Walderlebnis hat, zu dem auch die
feinstaubarme und mit ätherischen Ölen angereicherte Luft gehört: Blutdruck
und Herzfrequenz sinken, Stresshormone wie Adrenalin und Noradrenalin
ebenso, das autonome Nervensystem stabilisiert sich, während depressive
Gefühlslagen und Ängste zurücktreten.
In einer Stadt zu leben, die von derart gesunden Orten regelrecht
eingekreist ist, darf man durchaus als Privileg bezeichnen, auch wenn
viele, sogar sehr viele BerlinerInnen das nicht wissen oder aus
irgendwelchen Gründen den regelmäßigen Weg dorthin scheuen. Dabei nimmt der
Nutzen eines kühlen Waldbesuchs gerade in Zeiten häufigerer oder heftigerer
Hitzewellen noch einmal zu.
Zum Teil mag die Waldferne mancher Menschen daran liegen, dass ihr
persönliches Walderleben von Langeweile geprägt war. In einem monotonen
Kiefernforst, wie es ihn auch in Berlin mit seinem schon vergleichsweise
hohen Mischwaldanteil noch gibt, lässt sich weder allzu viel Aufregendes
noch Schönes besichtigen. Aber es gibt schon jetzt genügend positive
Beispiele, etwa wenn der landschaftlich ohnehin reizvolle Grunewald mit
seinen Hügeln, Seen und Mooren durch den vor wenigen Jahren eingerichteten
und gut durchdachten Klimalehrpfad ergänzt wird.
Zum Waldumbau, der längst im Gange ist, aber auch sehr lange dauert, muss
die richtige Vermittlung kommen. Hier gibt es bereits gute pädagogische
Angebote, etwa im Rahmen der neun Berliner Waldschulen. Das sind
Investitionen, die sich auch global betrachtet lohnen: „Es gibt eine
Verbindung von positiven Naturerlebnissen – vor allem in der Kindheit – und
umweltpfleglichen Einstellungen“, so Ulrich Gebhard,
Naturwissenschaftsdidaktiker an der Uni Hamburg, auf besagtem Waldkongress.
„Unsere Beziehung zur Natur scheint eher von positiven Erlebnissen und von
Intuitionen als von rationalen Argumenten geprägt zu sein.“
In der Zukunft mit Begeisterung das Klima und die Artenvielfalt zu schützen
heißt heute also offensichtlich: mehr Waldbaden wagen.
26 Jun 2021
## AUTOREN
Claudius Prößer
## TAGS
Grunewald
Erholung
Wald
Stadtnatur
Treptow-Köpenick
Lesestück Recherche und Reportage
Sonnenbaden
Wandern
Waldbaden
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