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# taz.de -- Joggen gehen und nachdenken: So schön lost and alone
> Unser Autor mag es, sich in Innenräumen aufzuhalten - aber noch lieber,
> draußen zu sein. Beim Joggen denkt er über Romane nach und hat dabei
> Erkenntnisse.
Bild: Durch ruhige Landschaften joggen und nachdenken über Schnee, Schnaps, Sc…
Bibliotheken, Theater, Küchen, das Alleinsein am Schreibtisch und ziemlich
oft sogar meine Redaktion – das alles gefällt mir sehr. Am liebsten aber
bin ich doch draußen. Und wenn ich draußen bin, dann will ich auch was
mitbekommen: das süße Ningeln der Nachtigallen, die hektischen Rufe der
Hundeleute, das hysterische Hupen der Autofahrer und nicht zuletzt das, was
sich in meinem Kopf abspielt.
Ich würde beim Joggen also nie auch noch so coole Musik hören, [1][wie etwa
der neue Berliner Kultursenator] (DMX: [2][X Gon]’ Give It To Ya – das
Video dazu handelt von einem illegalen Straßenrennen) oder intime
Telefongespräche führen – dafür wurde ja auch extra der Handybereich in den
Zügen der Deutschen Bahn eingerichtet.
Ich jogge, wie ein Bauer sein Land abgeht, und wenn ich anhalte, um meine
Altersübungen zu machen, dann eingedenk des Lyrikers Billy Collins: [3][Der
zitierte kürzlich im New Yorker ] Samuel Beckett („'A ray of sunshine and a
free bench’ – what more can you ask?“) und konstatierte angesichts
zahlreicher, in ihre Smartphones versunkener Studierender: „They’re afraid
of being alone. But, if you can’t be lost and alone, how can you find
inspiration?“
## Schnee, Schnaps, Schäbigkeit und Schönheit
Wo der Schriftsteller Sven Heuchert seine Inspiration hernimmt, weiß ich
ein bisschen, [4][ich war mit ihm schon in seinen rheinischen Revieren
unterwegs]. Es sind Gegenden, wo Stadt und Land ineinanderwogen, wo der
Hase an Getränke Hoffmann heranhoppelt.
Gerade hat Heuchert einen neuen Roman rausgebracht, „[5][Das Gewicht des
Ganzen“], für den er sich eine andere Qualität von Weite ausgesucht hat,
Kanada, wo ich noch nie war. Ich habe das Buch trotzdem an drei Abenden
weggezogen. Es hat mich beruhigt. Ich würde es eine Idylle nennen, gemacht
aus Schnee, Schnaps, Schäbigkeit und Schönheit, lauter Dinge, die mich
anziehen.
Was „Das Gewicht des Ganzen“ aber in diesem Text zu suchen hat, ist die
Tatsache, dass ich dachte: Wie Heuchert die Natur in Sprache bringt als
einerseits ja nur vorhanden, weil wir sie ansehen, und gleichzeitig als das
uns Entgegengesetzte, das uns gnadenlos Verzehrende – das würde ich mir,
gut vorgelesen, bei meinen Laufpartien anhören. Weil es einen Bezug hätte
zu dem, was ich beim Laufen suche.
Noch besser liefe das Buch beim Autofahren rein, bei einer langen
nächtlichen Überlandfahrt. Es ist eher episch als dramatisch. Es gibt
Geschichten und sogar Geschichte, aber die Vorkommnisse stehen nicht im
Vordergrund, die Landschaft ist so weit und breit und der Himmel so hoch,
dass die Menschen es gar nicht schaffen, irrsinnig groß und wichtig
rüberzukommen.
Was sie aber natürlich sind – und das ist dann die tiefere Erkenntnis: „Das
Gewicht des Ganzen“ zeigt mir, dass ich noch nicht bereit bin für das ewige
Ausatmen. Es ist, wie das Laufen, ein Luftholen nach all dem Stickigen,
wohin ich aber zurückmuss, weil nur dort verhandelt wird, was mich
zumindest derzeit noch mehr als alles andere interessiert.
15 May 2023
## LINKS
[1] https://www.tip-berlin.de/stadtleben/joe-chialo-wie-tickt-berlins-neuer-kul…
[2] https://www.youtube.com/watch?v=fGx6K90TmCI
[3] https://www.newyorker.com/magazine/2023/03/20/a-new-york-poet-laureate-in-d…
[4] /Zweiter-Roman-von-Sven-Heuchert/!5712858
[5] https://www.ullstein.de/werke/das-gewicht-des-ganzen/hardcover/9783550050725
## AUTOREN
Ambros Waibel
## TAGS
Joggen
Großstadt
Natur
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