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# taz.de -- Gefahren des Kindseins: Beim Auto bleibt alles beim Alten
> Manche Ängste sind irrational. Die ums eigene Kind im Berliner Verkehr
> ist es nicht. Denn in Berlin regiert das Auto, Veränderung ist nicht in
> Sicht.
Bild: Einer von unzähligen Berliner Orten, die an Verkehrstote erinnern
Wenn wir unsere achtjährige Tochter kurz vor dem Abendessen fragen, ob sie
noch schnell zum Supermarkt springt, dann ist das immer ein bedeutender
Moment für uns alle. Unsere Tochter lässt alles stehen und liegen, verlangt
genaue Angaben über die zu besorgenden Dinge, während sie in Jacke und
Schuhe schlüpft und Einkaufstüte und Geld einfordert.
Dann ist sie weg und wir kochen und decken den Tisch und unterhalten uns
und machen den Brei für unser Baby und verfüttern den Brei und falten die
Servietten nochmal – aber wahrscheinlich mache ich das nur alles, bis es
endlich klingelt und ich ganz cool zur Tür gehe und den Öffner drücke.
Ich habe Ängste, unbestimmte, irrationale. Bestimmt und rational und
erfahrungsgestützt sind sie, wenn es um die Entscheidung geht, ob meine
Tochter schon alleine ihren halbstündigen Schulweg inklusive 15-minütiger
U-Bahn-Fahrt antreten kann. Kann sie leider nicht, nicht wegen der armen,
jungen syrischen Junkies, die an unserer Station ihre Brett rauchen und
sich damit umbringen; sondern weil in Berlin das Auto regiert, auf den
Straßen, bei den Ampelphasen, auf den winzigen, vom Verkehr umtosten
Verkehrsinseln.
Insofern ist es mir egal, ob es bei der derzeitigen Koalition bleibt oder
der wie ein Angstbeißer in die Kameras irrlichternde Kai – [1][was für ein
Vorname by the way] – Wegner einer anderen Autolobby vorsitzt. Ich habe nur
deswegen Grün gewählt, weil es wenigstens für erwachsene Radelnde minimale
Fortschritte gegeben hat – und weil die ach so dufte Berliner Linke zu
feige ist, die Fans des Putinfaschismus rauszuschmeißen.
## Unwidersprochene Gewalt
Schließen wir diese unerfreuliche Baustelle. Die letzten Tage war ich
krank, ich habe versucht eine Kolumne zu schreiben, es ging nicht. Ich war
zu bedrogt, es gab keine Verbindung zum Unterbewusstsein. Dann wurde ich
gesund, ich träumte wieder, ich sah mich als Bub, wie ich für die Eltern
Bier holte.
Das haben wir als Kinder tatsächlich noch gemacht, gern auch, so gern halt,
wie meine Tochter zum Supermarkt geht. Man wurde zum Ausschank der
Nachbarschaftswirtschaft geschickt, ein Dolomiti-Eis gab’s zur Belohnung,
das Geld war abgezählt und wenn’s nicht gestimmt hat, dann „kommst halt
morgen wieder.“
Aber nein: So harmlos war es nicht. Als Kinder der 1970er Jahre wussten wir
nie, was uns bei Begegnungen mit den Erwachsenen zustoßen würde. Wir waren
auf alles gefasst, nicht mehr unbedingt auf eine grundlose Watschn, aber
doch auf eine grobe Anrede, wenn den Großen etwas nicht passte, wir ihnen
in die Quere kamen. Und von anderen Erwachsenen war keine Hilfe zu
erwarten.
Die Gewalt, ja Brutalität war allgegenwärtig und ich bin verdammt froh,
dass dieses Ausgeliefertsein wenn nicht der Vergangenheit angehört, so doch
nicht mehr unwidersprochen bleibt. Außer natürlich, es geht ums Autofahren:
Da sind Kinder genauso rechtlos wie vor vierzig Jahren.
21 Feb 2023
## LINKS
[1] /Rassistischer-Wahlkampf/!5913773
## AUTOREN
Ambros Waibel
## TAGS
Kolumne Das bisschen Haushalt
Kinderrechte
Verkehrsunfälle
Autolobby
Joggen
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