| # taz.de -- Zeitenwende auch in der Küche: Wirsing, Weißwein, Widerstand | |
| > Kämpft, wer den Kochlöffel schwingt, schon gegen unmenschliche | |
| > Verhältnisse? Natürlich nicht – aber solch diskursiven Albernheiten waren | |
| > mal in Mode. | |
| Bild: Wirsing: ein Widerstandssymbol? | |
| Die Elternzeit ist vorbei, die Arbeit hat mich wieder, Blümchen vom lieben | |
| Ressort stehen auf meinem Schreibtisch, und ich tue, was getan werden muss, | |
| ich checke Mails. Eine mit dem Betreff „Großes Glück mit kleiner Flamme. | |
| Kochen ist Widerstand“ erregt mein Interesse. „Geschrieben von einem, der | |
| Essen und Trinken als Widerstand versteht“ wird mir von Verlagsseite die | |
| Rezension eines Kochbuchs nahegelegt. | |
| „Widerstand“ – habe ich im vergangenen, der Care- und Hausarbeit gewidmet… | |
| Jahr mehr geleistet, als mir bewusst war? Also jedenfalls immer dann, wenn | |
| ich tatsächlich gekocht und nicht nur die Fischstäbchen aus der Packung in | |
| die Pfanne habe gleiten lassen? | |
| Ich muss an eine Kollegin aus New York denken, die vor zwei Jahren bei uns | |
| in der Redaktion zu Gast war. Berlin, das böllernde Babel der Leutchen | |
| draußen im Lande, fand die Kollegin kleinstädtisch. Warum kleinstädtisch? | |
| „Hier kochen die Leute noch.“ Passt doch, denke ich, Widerstand gegen den | |
| entfesselten Turbo- und Thermomix-Kapitalismus, das ist es, was ich die | |
| letzten Monate ausgeübt habe; und da ist das Trinken und Essen noch gar | |
| nicht mitgerechnet: Wirsing, Weißwein, Widerstand! | |
| Dann aber meldet sich mein Gewissen. Kann Widerstand etwas sein, was du | |
| freiwillig tust, ganz ohne Leiden und Verzicht, ohne nasse Füße, | |
| Pfefferspray im Gesicht und Polizeilügen in den Ohren? Was dir sogar | |
| manchmal Spaß macht (Stichwort: trinken) und was zu deinen elterlichen | |
| Pflichten gehört gegenüber dem von dir in diese wacklige Welt gesetzten | |
| Nachwuchs? Zeugt es bereits von ausreichendem Kampfgeist gegen die | |
| Verhältnisse, dass ich die wöchentliche Biokiste trotz Pastinaken und | |
| Schwarzwurzeln verkocht habe und das Zubereitete sogar manchmal den Weg in | |
| die offenen Mäulchen und nicht gleich in die Biotonne gefunden hat? Oder | |
| dass ich [1][in meinem Biosupermarkt mit dem Baby] im Kindersitz mich gegen | |
| die Drängelmentalität der straßenkampferprobten Generation 60+ behaupte? | |
| ## Davor und Danach | |
| So viele Fragen. Was wäre denn Widerstand? Schreiben? Wo doch die Besten | |
| von Kurt Tucholsky bis Irmgard Keun den deutschen Faschismus damit nicht | |
| aufhalten konnten? [2][Journalismus?] | |
| Wo doch die deutsche Außenministerin bei ihren Besuchen in der Ukraine dem | |
| Kriegsgeschehen meist näher gekommen ist als die heimischen Medien? Darf | |
| sich Widerstand nur nennen, was so erfolgreich und tödlich ist wie | |
| Stalingrad, Dresden oder Cherson? | |
| Wenn, wie es der Dichter Durs Grünbein letzte Woche in einem Gedicht in der | |
| FAZ gefasst hat, der russische Überfall auf die Ukraine tatsächlich „alles | |
| teilte in ein Davor und Danach“, dann ist die gemütliche Epoche seit den | |
| 1970er Jahren – die zufälligerweise meine bisherige Lebenszeit umfasst – | |
| vorbei: jene nun etwas fad schmeckende Zeit, in der wir uns noch erlauben | |
| konnten, Kochen als Widerstandsgeste zu verkaufen. | |
| 22 Jan 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ambros Waibel | |
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