| # taz.de -- Kolumne Apocalypse Now: Generation Assad | |
| > Der Pariser Klimagipfel hat ehrgeizige Ziele. In Berliner Biomärkten | |
| > bleiben schon die menschlichen Basics auf der Strecke. | |
| Bild: Mit diesem kleinen Einkaufswagen tut das Schubsen zumindest nicht so weh. | |
| Wenn ich die Filiale des grundguten Biomarktes verlasse, in dem ich drei, | |
| wenn nicht vier Mal die Woche einkaufe, jeweils bepackt mit mindestens zwei | |
| Tüten und zumeist noch mit dem Töchterchen auf den Arm: dann tue ich das | |
| mit dem mal amüsierten, mal wütenden, meist schlicht ratlosen Kopfschütteln | |
| des Zeitgenossen, der nicht begreifen kann, wie Menschen, die sich und | |
| ihrer Umwelt durch den Erwerb von Biowaren etwas Gutes tun, zu derart | |
| missmutigen Kotzbrocken geworden sind. | |
| So. Luft holen (solange das noch geht!). Und Aufklärung versuchen. Oder, um | |
| die Parallele zum linksalternativen Gammeldiskurs zu Militäreinsätzen in | |
| Syrien zu ziehen: Kraftausdrücke allein ändern ja nichts an einer | |
| beschissenen Lage. | |
| Ähnlich wie Syrien (Assad) ist mein Biomarktfeind hochobstinat, was | |
| Veränderungen angeht. Die Durchschnittskundx ist etwa 10 Jahre älter als | |
| ich, d. h. es handelt sich um meine Vorgängergeneration, die 55-somethings. | |
| Das sind zumeist Leute, die in den 1980ern Jahren, als die Bundesrepublik | |
| begann so etwas wie Geschmack zu entwickeln, in Opposition standen, also | |
| sich in irgendwelche heillos-hässlichen Projekte, Politsekten und | |
| Partnerschaftsprozesse absonderten. Als sie aus dieser Phase erwachten, war | |
| der Zug für ein erfülltes Leben klarerweise abgefahren: „Begeisterung ist | |
| keine Heringsware, die man einpökelt auf einige Jahre“, sagt Goethe. | |
| ## Matsch in allen Tönen | |
| Aber natürlich war der Teil dieser Generation, der sich heute meinen | |
| Biomarkt leisten kann, immer auf Nummer sicher gegangen, konnte ein | |
| Lehramtsstudium wiederaufnehmen, hatte sich heimlich stets für Steuerrecht | |
| interessiert oder eben schlicht irgendwann das Haus vom verhassten Naziopa | |
| geerbt. | |
| Kohle haben sie, das ist nicht das Problem. Man sieht das an ihrer | |
| Kleidung: Matsch in allen Tönen, funktionell, die Männer oft mit | |
| Outdoorhüten, ein Accessoire, das verlässlich auf ein beschädigtes Selbst | |
| schließen lässt. | |
| Alle sind sie ungepflegt und unfreundlich, Kinder verstören sie, weil | |
| Kinder lachen und weinen, und sie über beides sehr weit hinaus sind. | |
| Sie lassen sich von Promotern zum Kauf überteuerter, in letzter Zeit immer | |
| öfter: deutscher Weine verführen, haben aber kein Geld übrig für eine | |
| professionelle Zahnreinigung – und die wäre weiß Gott dringlicher. | |
| ## Kinder wegrammen | |
| Und wenn sie in meinem zugegeben verwinkelten Biomarkt wo durchwollen – das | |
| ist immer der Höhepunkt meiner Einkäufe –, dann schaffen sie es nicht zu | |
| sagen: „Entschuldigung, darf ich mal kurz durch“ oder so. Nein, sie bleiben | |
| entweder stehen und starren einen sadomasochistisch an; oder sie rammen | |
| Erwachsene wie Kleinkinder altautonom aus dem Weg, Männlein wie Weiblein, | |
| unter Zuhilfenahme ihrer Schöffelrucksackfassbomben oder ihrer | |
| Hackenpanzer. | |
| Was also tun? Freiwilig ins Exil nach sagen wir Moskau wird sich diese | |
| Generation so wenig wie Assad begeben. Außerdem ginge dann mein Markt | |
| pleite – und das hieße ja wohl, das Bioolivenöl mit dem Altwasser | |
| auszuschütten. | |
| Also setze ich weiter auf Dialog, verbünde mich im Lächeln mit den | |
| einheimischen Bodentruppen, den sehr netten Angestellten. Und harre einer | |
| einvernehmlichen, einer natürlichen Lösung. | |
| 2 Dec 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Ambros Waibel | |
| ## TAGS | |
| Ambros Waibel | |
| Bio-Lebensmittel | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Ambros Waibel | |
| Fahrrad | |
| Gift | |
| deutsch | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Homs | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Kolumne Mittelalter: Deutsche Kellergeister | |
| Alle reden von Obergrenzen für Flüchtlinge. Aber tief unten in den | |
| deutschen Kellern – da ist auch ganz schön was los. | |
| Kolumne Apocalypse Now: Huldigt mir! | |
| Der fiese Klimaradler: Aus ökologischen Gründen quält er sich durch Wind | |
| und Wetter und erfreut sich dann am schlechten Gewissen anderer. | |
| Kolumne Apocalypse Now: Wo sind die Gifte von gestern? | |
| Der Regen: radioaktiv. Der Wein: frostschutzmittelgetränkt. Das Spielzeug: | |
| weichmacherverseucht. Ein Blick zurück in die Achtziger. | |
| Kolumne Apocalypse Now: Das ödipale Dreieck der Bedrohung | |
| „Unsere“ braven Mädchen lassen nur noch die Anderen ran. Gefährlich ist d… | |
| traditionsreiche Verpackung in „Deutsches Mädel, sei wachsam!“ | |
| Kolumne Apocalypse Now: Berlin und seine Vögel | |
| Der Autor Jonathan Franzen ist skeptisch ob der vielen Bekenntnisse gegen | |
| den Klimawandel. Die Beobachtung von Vögeln ist seine Spezialität. | |
| Kolumne Apocalypse Now: Die Brombeere lässt grüßen | |
| Der Halbschwimmer-Nasenfrosch ist ein cleveres Kerlchen. Leider gilt er als | |
| ausgestorben. Nur der Vorbote für ein großes Artensterben? | |
| Verhandlungen der UNO in Syrien: Die letzten Rebellen verlassen Homs | |
| Das Regime übernimmt wieder die Kontrolle über die ehemalige „Hauptstadt | |
| der Revolution“. Dafür wurde ein Waffenstillstand ausgehandelt. | |
| Kolumne Apocalypse Now: Ich möchte nicht alles richtig machen | |
| Mach das Licht aus! Fahr kein Auto! Iss kein Fleisch! Agitation und | |
| Propaganda werden nicht besser, nur weil sie einer guten Sache dienen. | |
| Kolumne Apocalypse Now: Daunenjacken statt Bombenwesten | |
| Dass einem Schmuddelwetter aufs Gemüt schlagen kann, ist ja in Ordnung. | |
| Aber schiebt doch bitte nicht den Terrorismus auf den Klimawandel. |