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# taz.de -- Kolumne Apocalypse Now: Die Brombeere lässt grüßen
> Der Halbschwimmer-Nasenfrosch ist ein cleveres Kerlchen. Leider gilt er
> als ausgestorben. Nur der Vorbote für ein großes Artensterben?
Bild: Ist da etwa noch ein Frosch oder nur noch sein Schatten?
Ich habe meine Abneigung gegen Brombeeren seitdem nicht überwinden können.
2003 schlug ich mich mit einem Wissenschaftler-Team wochenlang durch
Gebüsche und Forste im zentralen Chile. Unsere Mission lautete, den
Halbschwimmer-Nasenfrosch wiederzuentdecken.
Das kleine Fröschlein besticht mit einer einzigartigen
Fortpflanzungsbiologie: Das Männchen nimmt die Kaulquappen in seinen
Kehlsack auf und lässt sie dort eine Weile heranwachsen, bevor es die schon
deutlich gestärkten Larven dann in kleine Bäche entlässt. Aber seit zwanzig
Jahren hatte niemand den früher durchaus häufigen Lurch mehr gesehen.
Wir suchten an allen historisch bekannten Fundorten, wir versuchten, die
Männchen durch Abspielen von in den 1970er Jahren aufgenommenem
Froschgepöbel zu provozieren, wir fischten in den Bächen nach Quappen, wir
schlugen uns kilometerweit durch ebenjene Brombeerhecken, die die
ehemaligen Froschbiotope großräumig überwuchert hatten. Wir fanden: nichts.
Kein Halbschwimmer-Nasenfrosch, nirgends. Inzwischen gilt Rhinoderma rufum
als vermutlich ausgestorben.
Das ist aus vielen Gründen extrem bedauerlich. Und beunruhigend. Denn das
Verschwinden lässt sich nicht nur durch die großflächigen
Lebensraumzerstörungen erklären. Das ehemalige Verbreitungsgebiet der Art
ist sehr groß und hat immerhin eine Nord-Süd-Ausdehnung von etwa tausend
Kilometern. Auch wenn es land- und forstwirtschaftlich intensiv genutzt
wird, gibt es doch genügend Schutz- und Wildnisgebiete, in denen die
Frösche eigentlich hätten überleben müssen.
Der Grund für das Aus bleibt rätselhaft, aber es fügt sich ein in
gespenstische Vorgänge überall auf der Welt. Ganze Froscharten verschwinden
aus scheinbar ungestörten Biotopen, von Australien bis Südamerika.
Vermutlich mitverantwortlich ist eine Pilzerkrankung. Inzwischen wissen wir
aber von Museumsmaterial, dass es die berüchtigten
Amphibienkiller-Chytridpilze schon seit langer Zeit gibt, ohne dass sie
ihre heutige verheerende Wirkung entfaltet hätten. Die genauen
Zusammenhänge sind ungeklärt, als sicher gilt aber, dass veränderte
Klimabedingungen die Frösche schwächen, sodass der Pilz plötzlich
zuschlagen kann.
Es ist nicht die Erhöhung der globalen Durchschnittstemperatur, sondern die
dadurch ausgelösten kleinräumigen Wetterextrema wie verlängerte
Dürreperioden, die den Amphibien zusetzen und dem tödlichen Mikroorganismus
den Weg ebnen.
Immer noch ist die Lebensraumzerstörung das größte Problem für den
Naturschutz. Die Brombeere lässt grüßen. Der Klimawandel aber droht schon
kurz- bis mittelfristig Folgen für die Artenvielfalt zu zeitigen, die wir
überhaupt noch nicht einschätzen können.
Das Zusammenspiel beider Faktoren dürfte vielen Arten den Rest geben. Die
Wissenschaftler sprechen bereits vom drohenden sechsten großen Artensterben
der Erdgeschichte. Nur dass es diesmal kein Komet ist, sondern ein
hochentwickelter Säuger, der das globale Gleichgewicht aus den Fugen
bringt. Es besteht die reale Gefahr, dass der Halbschwimmer-Nasenfrosch nur
die Vorhut war.
6 Dec 2015
## AUTOREN
Heiko Werning
## TAGS
Schwerpunkt Klimawandel
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