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# taz.de -- Kolumne Apocalypse Now: Das ödipale Dreieck der Bedrohung
> „Unsere“ braven Mädchen lassen nur noch die Anderen ran. Gefährlich ist
> die traditionsreiche Verpackung in „Deutsches Mädel, sei wachsam!“
Bild: Junge deutsche Nadelbäume.
Ich gehöre zur Generation Stoßlüften. Schon wenn jemand im Winter ein
Fenster auf Kipp stellt, werde ich wütend. „Mein Freund der Baum“ ist zwar
etwas älter. Aber die Stimmung hat mich geprägt. Das ewige Reden vom
Waldsterben.
Überhaupt, der deutsche Wald, diese zu schützende Sehnsuchtslandschaft, der
sich alle bedient haben – die Romantiker, die Nazis, die Ökobewegung, die
Wohlhabenden (der Manufaktum-Effekt). Als Kind hatte ich Angst, dass es
bald keine Tiere mehr gibt – die Menschen waren mir damals ziemlich egal.
Was für Zeiten! Die Welt war so einfach. Heute ist alles kompliziert. Und
es ist gar nicht mehr klar, wer vor was geschützt werden muss. Selbst die
politische Ordnung ist komplett verrutscht. Linke finden Merkel gut. Und
eigenen Reihen rebellieren gegen die Kanzlerin. Sie malen ein Horrorbild
der allmächtigen Mutter, die im Volksmund auch so heißt: Mutti. In der
abendländischen Geschichte hat sie viele Vorbilder, der Weg von der
heiligen Mutter zur Hure ist kurz. Und so lauert hinter der Anerkennung der
Vorwurf: überfordert, irrational, ohne Weitblick. Der ganze Rattenschwanz
an misogynen Stereotypen.
Dahinter steckt die uralte Idee vom Staatskopf, der für den Volkskörper
entscheidet. Frauen dürfen gerade mal 100 Jahre wählen, klar wurmt es da
manch einen, dass so eine jetzt ganz oben steht. Und als wäre die
Übermutter nicht schon schlimm genug, vervollständigt sich das ödipale
Dreieck der Bedrohung durch die einwandernden jungen, muslimischen Männer.
Wir kennen die rassistischen Legenden über ihre Potenz: Falschmeldung über
eine Vergewaltigung hier, dort eine Schule, die ihre Mädchen anweist, sich
ordentlich anzuziehen. Zum eigenen Schutz natürlich. Klassischer Fall von
Übertragung.
## Die Frau ist ein Risiko
Der Philologenverband Sachsen-Anhalt, ein Club alter, heterosexueller
Männer hat es schön und klar ausformuliert: „Wie können wir unsere jungen
Mädchen ab 12 Jahren so aufklären, dass sie sich nicht auf ein
oberflächliches sexuelles Abenteuer mit sicher oft attraktiven muslimischen
Männern einlassen?“ Ein Satz wie aus einer Analysesitzung.
Im Klartext heißt das: Meine Zeit ist vorbei, „unsere“ braven reinen Mäde…
lassen nur noch die anderen ran. So weit, so armselig. Gefährlich ist aber
die traditionsreiche Verpackung in „Deutsches Mädel, sei wachsam!“
Schließlich kann auch der privilegierteste Mann nie sicher wissen, von wem
ein Kind stammt. Qua Mutterschaft ist die Frau ein Risiko.
Hier zeigt sich nicht nur, wie Rassismus und Misogynie verschränkt sind,
sondern auch die Sprechposition des patriarchalen Mannes: die vorgebliche
Ich-Losigkeit, befreit vom eigenen Begehren zugunsten der moralischen
Überlegenheit. Nicht ich, sondern wir.
Bisher hatten die alten Herrschaften keinen Grund sich um die eigene
Position zu sorgen, Alter und Geschlecht schlägt schließlich noch
Qualifikation. Vielleicht aber geht den alten Herren jetzt der Arsch
richtig auf Grundeis. Schönwär’s ja. Der Chef der Philologen
Sachsen-Anhalt, Jürgen Mannke, hat den Anfang gemacht und ist abgetreten.
8 Dec 2015
## AUTOREN
Sonja Vogel
## TAGS
deutsch
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Ambros Waibel
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