Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Heimatverrichtungsbox Auto: Heimat mit Motor
> Während unser Kolumnist an der Ampel warten muss, bemerkt er: Autos sind
> für einige Heimat. Sie sind Rauchstube, Hobbyraum und Abenteuerland
> zugleich.
Bild: Auch in diesem Auto lassen sich hervorragend die Fußnägel schneiden
[1][Wo ist zu Hause, Mama“], singt Johnny Cash im gleichnamigen Lied. Ich
mag den Song, mich spricht die suggestive Poesie der Frage an. Noch
interessanter wird die Sache dadurch, dass „Wo ist zu Hause, Mama“ die
deutsche Fassung von [2][„Five Feet High and Rising“] ist, einem Lied
darüber, wie bei Familie Cash 1937 die große Flut ins Farmhaus kommt und
das Wasser immer weitersteigt.
Wenn ich die beiden Versionen zusammennehme – die ganz realistische
US-amerikanische und die ganz schön geschlagerte deutsche –, dann sehe ich
mich an der Fußgängerampel wieder, einer Institution, mit der ich viel Zeit
verbringe; und in Zukunft noch mehr, wenn es nach dem Entwurf der Berliner
CDU für ein [3][geändertes Mobilitätsgesetz] geht. Der Fußgängervorrang
solle unter den Vorbehalt der „Anforderungen und Bedürfnissen anderer
Verkehrsteilnehmer“ gestellt werden.
Von einem Vorrang als Fußgänger habe ich bisher noch nichts mitbekommen,
insofern werde ich ihn auch nicht vermissen. Wie ich überhaupt von jedem
Fanatismus in der Verkehrsfrage Abstand nehme, soweit nur ich persönlich
betroffen bin. Ich schaue mir ganz gern den Autoverkehr an – eben weil so
viele der Menschen, die dort allein in ihren Kisten sitzen, die Frage von
Johnny Cash beziehungsweise seinem deutschen Textdichter Joachim Relin
beantworten: Zu Hause ist in ihrem Auto. Hier telefonieren sie, hier
rauchen sie, hier schneiden sie ihre Nägel, hier ist ihr Hobbyraum und ihr
Abenteuerland, hier fahren sie sportlich an und lassen entspannt einen
fahren, hier leben sie sich aus, regen sich an, auf und wieder ab.
## Warten auf Grün
Und die Flut steigt; die Hühner, singt Cash, sitzen schon in den Bäumen,
die Bienenstöcke sind verloren, und den Kühen steht das Wasser bis zum
Knie. In den Worten [4][von Cash-Biograf Franz Dobler]: „Aus der Frage nach
dem Wasserstand wurde die Frage, wo das neue Zuhause ist.“ Oder für unsere
Zwecke: Aus der Frage nach unserem Zuhause ist eine nach dem Wasserstand
geworden, wissen schon die Leute im Ahrtal, in Slowenien oder in der
Poebene.
Und doch ist die Frage, die sich aufdrängt: Wenn für all diese Menschen ihr
Auto ein Zuhause ist – was ist dann mit ihrem nicht rollenden Heim? Was
dürfen sie da nicht? Ist das Auto das Reich der Freiheit zwischen Wohnung
und Arbeitsplatz, beide gleich unerträglich? Und wer will es den Menschen
ernsthaft wegnehmen oder seine Benutzung auch nur einschränken, von den
Unzulänglichkeiten und Zumutungen des öffentlichen Nahtodverkehrs ganz
abgesehen? Wäre die Aufstellung von mobilen Heimatverrichtungsboxen eine
Lösung, in denen man alles tun und lassen dürfte, was in den eigenen vier
Autowänden möglich ist, nur, ohne dass die Flut steigt?
Ich glaube [5][schon eine ganze Weile] – nicht zuletzt angeregt durch meine
Feldforschung an den Fußgängerampeln dieser Republik und kürzlich bestätigt
durch eine [6][wissenschaftliche Studie zu den gänzlich fehlenden oder auch
rein apokalyptischen Zukunftsbilder]n eines leider nicht unbedeutenden
Bevölkerungsteils –, dass die Antwort in den Schlagerversen liegt: „Bei den
hellen Sternen“ – da ist das Zuhause, wohin die Blechkolonne sich vor der
steigenden Flut zu retten sucht, [7][auf der Straße der Todessehnsucht,]
die mir keineswegs fremd ist. Aber eben nur, bis meine Tochter mich
anstupst, genervt „Grün!“ stöhnt und wir hastig die Straße überqueren, …
der die Pkw-Insassen schon gierig darauf warten, dass es schnellstmöglich
weiter zu Ende geht.
1 Oct 2023
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=M5XQHmKIH1g
[2] https://www.youtube.com/watch?v=5mf-BIZumaA
[3] /CDU-Verkehrspolitik-in-Berlin/!5958031
[4] https://www.franzdobler.de/
[5] /Rammstein-Fans-im-Zeitgeist/!5946772
[6] /Politologe-ueber-AfD-WaehlerInnen/!5957092
[7] https://blogs.taz.de/verantwortliche/die-mitte-ist-laengst-gruen-deshalb-ve…
## AUTOREN
Ambros Waibel
## TAGS
Autoverkehr
Heimat
Straßenverkehr
Kolumne Das bisschen Haushalt
Wochenendkrimi
Kolumne Das bisschen Haushalt
Kolumne Das bisschen Haushalt
Verkehrswende
Kolumne Das bisschen Haushalt
Kolumne Das bisschen Haushalt
Polizei Berlin
## ARTIKEL ZUM THEMA
Krimipodcast mit Bastian Pastewka: Die Gestapo in London
Im von Bastian Pastewka nerdig moderierten Krimipodcast „Kein Mucks!“
werden deutsche Hörspiele aus den 60er Jahren präsentiert. Manche klingen
älter.
Reckendorfhaus in Berlin: Was die Straße nahe der taz erzählt
Gegenüber dem taz-Gebäude befand sich früher das Haus des jüdischen
Verlegers H. Reckendorf. Seine Geschichte begleitet unseren Autor bei der
Arbeit.
Tipps für die Haushaltsführung: Nicht ohne Emotionen
Wer seine Wohnung nicht zu einem Dreckloch verkommen lassen will, muss sich
an fünf Regeln halten. Aber Vorsicht, Konflikte im Paarbereich sind
vorprogrammiert.
Studie zu Rad-Fußgänger-Unfällen: Gefährliche E-Bikes und Lastenräder
Über 5.600 Menschen wurden 2022 bei Kollisionen zwischen Radlern und
Fußgängern verletzt. Unfallforscher fordern Konsequenzen.
Zwischenstopp in Charleroi: Ich bin auch kein anderer
Ein paar Stunden in der belgischen Ex-Industriemetropole Charleroi genügen
unserem Autor, um festzustellen: Er will so schnell wie möglich weg.
Der Weg des Augustinerbiers: Vom Edelstoff zum Trendbier
In den 90ern musste man noch in abgelegene Berliner Gegenden fahren, um es
zu kriegen. Wer heute damit unterwegs ist, reiht sich ein.
Verfall und Ignoranz in Berlin: Wo ist Jesus, wenn man ihn braucht?
Unser Kolumnist lebt auf der schlechten Seite eines Berliner Viertels.
Weder Nachbarn noch Senat scheinen sich für eine Verbesserung zu
interessieren.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.