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# taz.de -- Reckendorfhaus in Berlin: Was die Straße nahe der taz erzählt
> Gegenüber dem taz-Gebäude befand sich früher das Haus des jüdischen
> Verlegers H. Reckendorf. Seine Geschichte begleitet unseren Autor bei der
> Arbeit.
Bild: Die Hedemannstraße 1932 mit SA-Hauptquartier
Kürzlich schaute ich von meinem Arbeitsplatz müßig in die Novembertrübe
hinaus. Dem taz-Gebäude westlich gegenüber öffnet sich die Hedemannstraße,
die mögen kann, wer ein Fan der [1][Westberliner Nachkriegsmoderne] ist.
Dort, wo auf ihrer nördlichen Seite seit den 1970er Jahren [2][ein
mächtig-wabenförmiger Wohnkomplex] steht, befand sich das Reckendorfhaus,
das 1914 errichtet, nach Erwerb durch den Verleger Hermann Reckendorf 1929
zum Verlagssitz umgebaut und 1945 zerbombt wurde (ziemlich alles, was ich
über Hermann Reckendorf hier mitteile, verdanke ich der großartigen, im
Netz wunderbar aufbereiteten [3][Forschung des Hamburger Kunsthistorikers
Roland Jaeger]).
Im Erdgeschoss des Reckendorfhauses befand sich ein Ladengeschäft, in dem
die Produkte des Verlags verkauft wurden, darunter – [4][wir feiern gerade
100 Jahre Radio] – die Rundfunkwochenzeitschrift Die Sendung (Auflage bis
zu 400.000), ab Anfang 1930 die erste Fernsehzeitschrift Deutschlands mit
dem Titel Fernsehen. Zeitschrift für Technik und Kultur des gesamten
elektrischen Fernsehwesens und als letztes Projekt des Verlags im Oktober
1932 mit Berlin hört und sieht die erste moderne Programmillustrierte in
Deutschland, in der wöchentlich über das Berliner Kulturangebot informiert
wurde.
Auf die Geschichte des überaus tüchtigen, hochmodernen deutsch-jüdischen
Verlegers Hermann Reckendorf – eine Geschichte, die nicht gut ausgeht – war
ich beim Stöbern in einem Online-Antiquariat gestoßen. Und vor mir liegt
jetzt das bei Reckendorf erschienene „Buch der Hausfrau“ aus dem Jahr 1926,
ein Kalender „zum Lesen, zum Eintragen und zum Nachdenken“.
## „Hecht mit Parmesankäse“
Im Vorwort „Mein Mann“ beklagt die Hausfrau, dass sie „durch das heute so
unruhig pulsierende Wirtschaftsleben und die unregelmäßigen Anforderungen
an die Zeit des Mannes“ nie recht wisse, wie sie ihrem Gatten ein warmes
Mittagessen servieren solle. Und das Büchlein verspricht nun eine
Handreichung, „wie man selbst unter schwierigsten Bedingungen der
Zeiteinteilung immer rechtzeitig ein schmackhaftes Essen bereit haben
kann“. So könne das alte Sprichwort für ein gutes Verhältnis von
(Haus-)Frau und (Geschäfts-)Mann doch noch zu seinem Recht kommen: „Füttere
die Bestie!“ In der kalendarischen Auflistung übers Jahr folgen dann
allerlei Tipps und heitere Geschichtchen, eine „Bratzeitentabelle“ und
Rezepte wie „Hecht mit Parmesankäse“.
Das alles ist weit weg und doch für mich als [5][Hausmann einer
Führungskraft] so rührend nah, dass ich erst mal aufstehe und wieder in die
Hedemannstraße schaue, in die Anfang der dreißiger Jahre Neuankömmlinge
zogen, [6][die Gauleitung Berlin der NSDAP] und zeitweise die Berliner SA.
Hermann Reckendorf und sein Unternehmen wurden von den Nazis terrorisiert
und ruiniert, ab 1936 kam als neuer Mieter in das Reckendorfhaus – einem
Ort demokratischer Populärkultur – [7][das Rasse- und Siedlungs-Hauptamt
der SS].
Hermann Reckendorf starb am 23. Dezember 1936 im Alter von erst 56 Jahren,
möglicherweise ein Freitod. Eine Moral aus alledem habe ich nicht bei der
Hand. Aber ich bin zufrieden, dass ich um die Geschichte weiß und sie mich
auf der Arbeit von nun an begleitet; und ich bin froh, in einer modernen
Normalität zu leben, die auch schon der Kalender von 1926 repräsentiert,
ohne Terror und Bürgerkrieg – und denke an alle, die auch gern weiter
„Hecht mit Parmesankäse“ zubereitet hätten.
29 Nov 2023
## LINKS
[1] /Essay-zu-Architekt-Werner-Duettmann/!5760766&s/
[2] /Deutsche-Wohnen-Berlin/!5597139
[3] https://www.rolandjaeger.online/themen-subjects/verlag-reckendorf-geschicht…
[4] /Ode-ans-Radio/!5967562
[5] /Unordnung-im-Zusammenleben/!5895178
[6] http://zeitungsviertel.de/entries/view/29
[7] http://zeitungsviertel.de/entries/view/59
## AUTOREN
Ambros Waibel
## TAGS
Kolumne Das bisschen Haushalt
NS-Gedenken
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Autoverkehr
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